Frage an Andreas Schwarz bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

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Andreas Schwarz
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Frage von Julia K. •

Frage an Andreas Schwarz von Julia K. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Schwarz,

da ich Ihnen schon zwei Mal per Mail im August und November geschrieben habe und immer noch auf Ihre Antwort warte, kommt hier nochmals mein Anliegen: auf der Startseite Ihrer Homepage schreiben Sie, dass es Ihnen wichtig ist, Ihr Land gerechter und solidarischer aufzustellen.
"Das bedeutet vor allem Chancengleichheit in der Bildung. ... Das beginnt in der Kinderkrippe, geht über die Kita und die Schule bis hin zur beruflichen Ausbildung oder dem Studium."
Dem stimme ich voll zu und daher habe ich beschlossen, nach meiner Ausbildung und anschließend mehrjähriger Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin ein Studium anzuschließen. Da ich aber schon über 30 bin, wird mir dies aus finanzieller Sicht sehr schwer gemacht. Ich muss nun einen Krankenkassenbeitrag von über 175 Euro pro Monat aufbringen und das obwohl ich Studentin bin und keine Einkünfte habe.
Nach Rückfrage bei meiner Krankenkasse wurde mir mitgeteilt, dass der vergünstigte studentische Tarif für mich nur bis zum 30. Lebensjahr gilt, ungeachtet dessen, dass ich bereits mehrere Jahre den vollen Beitragssatz gezahlt habe aufgrund meiner Arbeitnehmertätigkeit. Es wurde gesagt, dass dies die Politik bestimmt habe und die Krankenkasse hier nicht die Regelung getroffen hat.
Nun frage ich Sie, warum dies so ist? Wie kann es sein, dass ich als Student einen höheren Krankenkassenbeitragssatz zahlen muss als ein Teilzeitangestellter?
Für mich fühlt es sich wie eine Bestrafung an, dass ich zuerst eine Ausbildung gemacht habe anstatt gleich zu studieren. Von Chancengleichheit sehe ich hier nichts. Zumal StudentInnen, die ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg erlangt haben, den studentischen Tarif auch über 30 erhalten.
Wieso wird die Arbeitnehmertätigkeit nicht berücksichtigt bei der studentischen Versicherung oder alle Studenten gleich behandelt?

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Sehr geehrte Frau K.,

vielen Dank für Ihre Email vom November und Ihren Eintrag hier zum Thema Krankenkassenbeiträge für Studierende. Ich bekomme jeden Tag hunderte Mails, daher kann sich eine Beantwortung manchmal etwas verzögern, da ich schon den Anspruch habe, qualifiziert zu antworten.

Vor dem ersten Januar 1989 war die Versicherungspflicht von Studenten zeitlich unbegrenzt. Mit dem „Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz)“ (CDU/FDP) vom 20. Dezember 1988 wurde unter anderem die Krankenversicherung der Studenten mit Wirkung vom 1. Januar 1989 neu geregelt.

Dabei wurde die Krankenversicherung der Studenten im Grundsatz zwar beibehalten, die Versicherungspflicht jedoch auf eine Höchstdauer der Fachstudienzeit und ein Höchstalter begrenzt, um Missbräuche zu vermeiden. Seither sind Studenten nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Halbsatz 1 SGB V grundsätzlich nur noch bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres versicherungspflichtig.

Um Härten zu vermeiden, hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die beiden vorgenannten Begrenzungen Ausnahmeregelungen eingeführt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Halbsatz 2 SGB V sind Studenten nach Abschluss des 14. Fachsemesters oder nach Vollendung des 30. Lebensjahres nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen. Als Ausnahmetatbestände sind beide Fallgestaltungen allerdings restriktiv zu handhaben.

Diese Beschränkungen, die der damalige Gesetzgeber vorgenommen hatte, wurden bereits mehrfach durch höchstrichterliche Rechtsprechung als vereinbar mit einfachem Bundesgesetz, aber insbesondere als verfassungskonform bestätigt.

Die Altersgrenze von 30 Jahren nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Halbsatz 1 SGB V ist mit dem „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)“ vom 14. August 2006, mit dem der deutsche Gesetzgeber u.a. das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nach der „Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ innerstaatlich umgesetzt hat, vereinbar, da in dem hier zu beurteilenden Sachverhalt schon der Anwendungsbereich des AGG nicht eröffnet ist. Nach der Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 1 AGG, mit der nach der Regierungsbegründung zum AGG den Anforderungen der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2002/73/EG im Bereich des Sozialschutzes Rechnung getragen wird, gelten für sämtliche, dem Sozialgesetzbuch (SGB) unterfallenden Berechtigungen und Verpflichtungen ausschließlich die in den einzelnen Büchern des SGB jeweils enthaltenen sozialrechtlichen Diskriminierungsverbote. Dies bedeutet, dass das AGG – wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 Satz 1 AGG ergibt – für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch keine Anwendung findet; es wird vielmehr durch die neu in das SGB aufgenommenen Sonderbestimmungen über sozialrechtliche Benachteiligungsverbote in den §§ 33c SGB I, 36 Abs. 2 SGB III, 19a SGB IV und § 36 Satz 3 SGB IX spezialgesetzlich verdrängt.

Die Altersbegrenzung auf das 30. Lebensjahr in § 5 Abs. 1 Nr. 9 Halbsatz 1 SGB V genügt auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Vom Bundesverfassungsgericht ist bereits mehrfach entschieden worden, dass es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt, den Mitgliederkreis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) einerseits danach abzugrenzen, welcher Personenkreis zur Bildung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist, und andererseits danach, welche Personen deren Schutz benötigen. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht stets betont, dass es sich bei der Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der GKV um einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang handelt. Der dem Gesetzgeber hierbei eröffnete Rahmen zur typisierenden Ausgestaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Studentischen Krankenversicherung wird durch die Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 9 Halbsatz 1 SGB V nach – soweit ersichtlich – allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nicht überschritten. Die für die Einführung einer Altersgrenze bzw. Höchstgrenze der Studiendauer für Studenten sprechenden Sachgründe haben vielmehr ein die Begrenzung rechtfertigendes Gewicht, zumal der Gesetzgeber über den zweiten Halbsatz des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V eine Härteregelung getroffen hat, die es ermöglicht, von der typisierenden generellen Regelung, die dem ersten Halbsatz des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V zu Grunde liegt, abzuweichen und – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – auch über die Vollendung des 30. Lebensjahres hinaus noch eine Pflichtmitgliedschaft in der Studentischen Krankenversicherung anzunehmen. Die Altersgrenze des § 5 Abs. 1 Nr. 9 Halbsatz 1 SGB V hat schließlich auch keinen die Berufswahl unmittelbar regelnden Charakter und verletzt daher auch nicht das Grundrecht auf freie Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 GG.

Nach Auffassung des Bundessozialgerichts kann in diesen vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen ein Studium regelmäßig durchgeführt und entweder erfolgreich abgeschlossen oder endgültig aufgegeben werden (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 1992 - 12 RK 40/91 - SozR 3-2500 § 5 SGB V Nr. 4 = BSGE 71,150 = NZS 1993,111 = NJW 1993,957; Zustimmend die Literatur , vgl. z.B. Felix, in: jurisPK-SGB V, § 5 Rn. 65; Felix, Studenten und gesetzliche Krankenversicherung, in: NZS 2000, 477 (478); Kruse, in: Hänlein/Kruse, LPK- SGB V, § 5 Rn. 39; Baier in: Wagner/Knittel, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 5 SGB V Rn. 34).

Der Student soll also nicht von sich aus die Möglichkeit haben, durch eine Verlängerung seiner Studienzeit über lange Zeit in den „Genuss“ der günstigen studentischen Krankenversicherung zu kommen. Nur in begründeten Ausnahmefällen soll dies möglich sein. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegt der gesetzlichen Begrenzung zwar der Gedanke der Missbrauchsabwehr (z. B. durch Dauerstudenten, mehrere Studiengänge oder ältere Studierende) zu Grunde; die Regelung sei aber nicht nur auf die Abwehr einer missbräuchlichen Begründung der KVdS beschränkt. Vielmehr habe der Gesetzgeber allgemein geltende Zeitgrenzen durch Höchststudiendauer und Lebensalter eingeführt, die zu einer Begrenzung der kostengünstigen Krankenversicherung der Studenten führe und die Versicherungspflicht wegen Überschreitens der Grenzen grundsätzlich auch dann entfallen lasse, wenn dem Studenten im konkreten Fall ein Missbrauch der KVdS nicht entgegengehalten werden könne.

Sehr geehrte Frau K., leider kann ich Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr als eine Erörterung der rechtlichen Grundlagen mitteilen. Für eine Änderung Ihres Umstandes bedürfte es insoweit einer Gesetzesnovelle. Hierfür sehe ich derzeit allerdings nicht die notwendige parlamentarische Mehrheit, auch weil dieses Thema keines ist, welches strittig ist und somit kontrovers diskutiert wird. Es ist viel mehr allgemein anerkannt, dass die Altersbegrenzung in Sachen Krankenversicherung für Studenten der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative obliegt.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Andreas Schwarz, MdB

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