Frage an Anette Kramme bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Anette Kramme
SPD
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Frage von Anke W. •

Frage an Anette Kramme von Anke W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geeehrte Frau Kramme,

wie stehen Sie zu der geplanten Impfpflicht, die sich aus meiner Sicht nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren läßt? Was sagen Sie zur Verletzung des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit?
Ich kann mein demokratisches Verständnis- ob man nun Impfen befürwortet oder nicht, nicht damit in Einklang bringen.
Ich freue mich auf Ihre Stellungnahme.

Mit freundlichem Gruß
Anke W.

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SPD

Sehr geehrte Frau W.,

vielen Dank für Ihre Frage zu aktuellen Diskussion über eine Impfpflicht gegen Masern.

Eine gesetzliche Regelung für eine Impfpflicht setzt eine Gesetzgebungskompetenz voraus. Eine Zuständigkeit des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, wonach der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten ausüben kann.

Impfungen dienen dem eigenen Schutz vor Erkrankungen sowie insbesondere aber auch der Ausrottung eines Keimes auf Bevölkerungsebene. Unter Berücksichtigung der dem Gesetzgeber zustehenden Einschätzungsprärogative wird mit einer generellen Impfpflicht ein legitimes Ziel verfolgt.

Es liegt dabei ein Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit vor, da es in seltenen Fällen zu Nebenwirkungen kommen kann. Demgegenüber ist aber auch zu berücksichtigen, dass laut Robert Koch-Institut moderne Impfstoffe gut verträglich sind. Des Weiteren können mit einer generellen Impfpflicht auch Menschen vor der Übertragung von Erkrankungen geschützt werden, die aufgrund ihres Alters noch nicht oder wegen gesundheitlichen Einschränkungen grundsätzlich nicht geimpft werden können. In der Abwägung beider Positionen sind außerdem die Schwere der Gefahr sowie die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu berücksichtigen.

Wir haben mit dem Koalitionsvertrag vereinbart, Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Impfquoten zum Schutz der Bevölkerung zu erreichen. Die Verbesserung der Impfprävention ist ein wichtiges gesundheitspolitisches Vorhaben, neben zahlreichen weiteren, zu denen wir in dieser Legislaturperiode bereits gesetzgeberische Maßnahmen umgesetzt haben. Alle Vorhaben und Initiativen dienen dem Ziel, die Qualität der medizinischen Versorgung im Interesse der Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern und damit letztlich auch Behandlungsfehler zu vermeiden. Wir beschäftigen uns also bei weitem nicht nur, aber eben auch mit dem Thema Impfen.

Zur Wirksamkeit von Impfungen sowie weitergehende Informationen zu einer Reihe von häufig vorgebrachten Einwände finden Sie auf den Seiten des Robert-Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Bedeutung/Schutzimpfungen_20_Einwaende.html#doc2378400bodyText2

Die individuelle Entscheidungsfreiheit kann dort ihre Grenze finden, wo die Gesundheit und sogar das Leben anderer gefährdet ist und andere geeignetere Mittel nicht zur Verfügung stehen. Von einer Masernerkrankung sind besonders häufig Kinder in den ersten beiden Lebensjahren betroffen. Sie tragen auch ein erhöhtes Risiko dafür, dass eine Maserninfektion zu schwerwiegenden Komplikationen führt und müssen besonders häufig wegen einer Masern-Erkrankung stationär behandelt werden. Durch eine vorübergehende Immunschwäche kommt es nach einer Masernerkrankung zu anderen Erkrankungen wie z.B. Durchfall, Mittelohrentzündung, Hörschäden, Lungenentzündung und Gehirnentzündung. Bei 10 von 10.000 Masern-Erkrankten entwickelt sich in Folge der Erkrankung eine Gehirnentzündung, etwa 2 bis 3 Betroffene behalten schwere Schäden wie geistige Behinderungen und Lähmungen zurück. Als Spätfolge kann die so genannte subakut sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) auftreten, eine schwere und stets tödlich verlaufende Gehirnerkrankung. Eine SSPE entwickelt sich bei 2 bis 6 von 10.000 Kindern, die zum Zeitpunkt der Maserninfektion jünger als 5 Jahre alt sind. Die Wahrscheinlichkeit, an Masern zu sterben, liegt bei 1 Todesfall pro 1.000 Masernerkrankte. Gegen die Masern-Erkrankung selbst gibt es keine Behandlung. Masern sind extrem ansteckend. Ohne Impfschutz infizieren sich etwa 95 von 100 Menschen, wenn sie Kontakt zu einem Erkrankten hatten. Sowohl für den individuellen Schutz jeder und jedes Einzelnen als auch für den Gemeinschaftsschutz zugunsten von Menschen, die nicht geimpft werden können, brauchen wir eine ausreichende Masern-Impfquote.

In der Europa-Region der WHO sind die Masernfälle zuletzt stark angestiegen. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 30. Juni 2019 berichteten 49 der 53 Länder der Region zusammen über 174 000 Masernfälle und über 100 masernbedingte Todesfälle. Vier Länder in der Europaregion der WHO haben ihren Masern-Eliminierungsstatus verloren: Albanien, Griechenland, Tschechien und das Vereinigte Königreich. Weltweit haben sich die Masernfälle 2019 vervierfacht.

Unser Ziel ist es, Masern in Deutschland zu überwinden und in Europa weiter einzudämmen. Dazu brauchen wir eine Impfquote von mindestens 95 Prozent der Bevölkerung. Bei Kindern vor dem Schuleintritt erreichen wir mit der ersten Masernimpfung deutschlandweit zwar 97 Prozent, aber schon hier gibt es deutliche regionale Unterschiede. Zweimal gegen Masern geimpft sind nur noch 93 Prozent der Schulanfängerinnen und Schulanfänger. Laut BARMER-Arzneimittelreport 2019 könnten die Impfquoten sogar noch darunter liegen. Wir wollen einen besseren individuellen Schutz insbesondere von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht geimpft werden können, sowie einen ausreichenden Gemeinschaftsschutz vor Maserninfektionen erreichen. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes verhindert die zweifache MMR-Impfung bei 93-99% der Geimpften den Ausbruch einer Erkrankung und führt bei diesen erfolgreich Geimpften in der Regel zu lebenslanger Immunität.

Das Paul-Ehrlich-Institut prüft und bewertet fortlaufend anhand aktueller wissenschaftlicher Daten den Nutzen und das Risiko von Impfstoffen und dokumentiert jährlich die Meldungen des Verdachts einer Impfkomplikation oder einer Nebenwirkung nach Impfung. Neben den bestehenden gesetzlichen Meldepflichten können seit 2012 auch betroffene Personen und deren Angehörige den Verdachtsfall einer unerwünschten Impfreaktion oder Nebenwirkung melden. Das Meldeverfahren ist in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert worden.

Der Deutsche Bundestag wird die parlamentarischen Beratungen zum Entwurf eines Masernschutzgesetzes der Bundesregierung aufnehmen und sich intensiv mit den Regelungen des Gesetzentwurfes auseinandersetzen. Wir werden dazu voraussichtlich im Oktober eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss durchführen und Fragen zum Nutzen-Risiko-Verhältnis und zur Verfassungsmäßigkeit mit den Expertinnen und Experten, beispielsweise vom Robert-Koch-Institut oder dem Paul-Ehrlich-Institut, beraten.

Mit freundlichen Grüßen
Anette Kramme

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