Frage an Antje Blumenthal von Stephan S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Blumenthal,
da Sie für das BKA-Gesetz gestimmt haben, können Sie mir sicher ein paar Fragen zu dieser Thematik beantworten.
In Punkt F ist die Rede von neuen Informationspflichten. Um welche Informationen handelt es sich dort und wer wird gegenüber wem verpflichtet?
In § 20w steht, dass "die Benachrichtiung einer in Satz 1 Nr 6, 7 und 8 bezeichneten Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, unterbleiben" kann," wenn diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat."
Bitte definieren Sie "unerheblich betroffen".
Warum gehen Sie davon aus, dass es Bürger gibt, die kein Interesse daran haben, von einer Bespitzelung unterrichtet zu werden?
Wo können die interessierten Bürger schon jetzt kund tun, dass sie grundsätzlich und immer benachrichtigt werden wollen?
Worin liegen Ihrer Meinung nach die Ursachen für den internationalen Terrorismus und was werden Sie unternehmen, um diese zu beseitigen. Die in den letzten Jahren beschlossenen Gesetzte zielen schließlich nur auf die Symptome, ohne das Problem direkt anzugehen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Schümann
Sehr geehrter Herr Schümann,
vielen Dank für Ihre Anfrage, in der Sie Ihrer Sorge anlässlich des Gesetzentwurfs „zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ Ausdruck verleihen.
Angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, in dessen Fadenkreuz Deutschland und Europa gerückt sind, haben wir beschlossen, Maßnahmen dagegen zu unternehmen.
Die Große Koalition hatte bereits im November 2005 im Koalitionsvertrag vereinbart, dass dem Bundeskriminalamt zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus Präventivbefugnisse gewährt werden sollen. Ein Jahr später erhielt das BKA dafür die grundgesetzliche Kompetenz durch eine Verfassungsänderung. Mit dem aktuellen Gesetzentwurf sollen dem BKA nun die polizeilichen Befugnisse, die es zur Erfüllung dieser Aufgabe benötigt, erteilt werden. Die Maßnahmen entsprechen den Befugnissen, die den Länderpolizeien als Standardmaßnahmen zum allergrößten Teil bereits seit Jahren zur Verfügung stehen. Die Befugnis zur Online-Durchsuchung ist bislang erst in einem Landespolizeigesetz (PAG BY) geregelt.
Bezug nehmend auf Ihre erste Frage, werden mit der Einführung des BKA-Gesetzes eine Reihe von Informationspflichten für die Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft und die Verwaltung entstehen.
Zur Verdeutlichung ein Beispiel im Bereich der Verwaltung:
Nichtöffentliche Stellen sind zur Übermittlung personenbezogener Daten an das BKA verpflichtet, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Diese hängen sehr stark von der jeweiligen Sicherheitslage ab und liegen dann vor, wenn von einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen ist. Zu den nichtöffentlichen Stellen zählen natürliche und juristische Personen, Gesellschaften und andere Personenvereinigungen des privaten Rechts. Unter personenbezogenen Daten versteht man „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“.
Alle anderen Informationspflichten finden Sie im entsprechenden Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Diese sind dort zusammengefasst und maßnahmenbezogen konkretisiert.
In einem weiteren Punkt erwähnen Sie die Benachrichtigungspflichten im Zusammenhang mit Maßnahmen durch das BKA und bitten um Definition der Begriffe „unerheblich betroffen“. Um Ihnen dies besser erklären zu können, stelle ich Ihnen ein kurzes Beispiel vor:
Wenn in einer Parkanlage z.B. ein Gespräch zwischen zwei Zielpersonen abgehört wird und dabei einzelne „Wortfetzen“ zufällig vorübergehender Personen mit erfasst werden, so wird es weder als sachgerecht, noch aus verfassungsrechtlichen Gründen für erforderlich erachtet, diese „vorbeispazierenden“ Personen von der Maßnahme zu benachrichtigen. Zum einen richtet sich diese Maßnahme nicht gegen die vorbeigehenden Personen, somit sind sie unerheblich betroffen, zum anderen handelt es sich bei diesen Personen nicht um die Zielpersonen oder erheblich mitbetroffene Personen. Somit sind in diesem Fall die zufälligen „Wortfetzen“ nicht relevant für die Maßnahme. Natürlich gehen wir nicht davon aus, dass es Bürger gibt, die kein Interesse daran haben, von einer Bespitzelung unterrichtet zu werden. Eine Benachrichtigung erfolgt immer dann, wenn Personen erheblich von einer Maßnahme betroffen sind und sobald eine Gefährdung der Maßnahme, des Bestandes des Staates oder einer Person ausgeschlossen werden kann.
Da der Bundesrat den Gesetzentwurf nicht verabschiedet hat und sich die Koalitionspartner nochmals beraten haben, werden wir demnächst erfahren, wie der Kompromiss zu dem BKA-Gesetz aussehen wird.
Die aktuellen Ereignisse in der indischen Metropole Bombay zeigen auf grausame Weise, dass weiterhin von einer hohen, weltweiten Gefährdung auszugehen ist. Auch die Anschlagsversuche in Deutschland deuten darauf hin, dass sich eine im Vergleich dazu zwar geringere – aber gleichwohl relevante – Gefährdung jederzeit und überall abzeichnen kann. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass auch Anschläge im Bundesgebiet bzw. gegen deutsche Einrichtungen im Ausland jederzeit möglich sind. Über die Ursachen des internationalen Terrorismus herrschen verschiedene Ansichten vor: Zum einen wird er als Versuch gedeutet, die Expansion von Modernisierungsprozessen nach westlichem Muster abzuwehren, die traditionelle islamische Länder kulturell, ökonomisch und politisch zu Modernisierungsverlierern machen. Religion wird dabei als Instrument zur Rekrutierung von Aktivisten und zur Legitimierung von Gewalttaten gedeutet. Zum anderen wird religiöser Fanatismus selbst als Ursache des Terrorismus angesehen. Ein weiterer Aspekt, der zu den Ursachen des internationalen Terrorismus gezählt werden kann, ist die sich verbreitende Armut von einem Großteil der Weltbevölkerung. Daraus kann Unzufriedenheit, aber auch zunehmende Gewalt entstehen. Deshalb muss auf nationaler Ebene, aber auch in Europa eine Politik entwickelt werden, die auf friedlichen und gerechten Interessensausgleich zwischen den wohlhabenden Industriestaaten und den ärmeren Ländern abzielt. Ich bin der Auffassung, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht allein eine militärische Aufgabe ist, sondern in einem Gesamtansatz in erster Linie mit politischen und entwicklungspolitischen Mitteln geführt werden muss.
Mit freundlichen Grüßen
Antje Blumenthal