Frage an Cansel Kiziltepe bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Cansel Kiziltepe
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SPD
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Frage von Doris L. •

Frage an Cansel Kiziltepe von Doris L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Kiziltepe,

mit meiner Frage zum Thema Demokratie und Bürgerrechte möchte ich meine Besorgnis über die Regierungskrise der Koalition äußern. Wo bleibt hier der starke Partner SPD? Dass sich CDU und CSU nicht einig sind, ist eine Sache, die den öffentlichen Diskurs maßgeblich bestimmt. Was aber ist die Meinung der SPD? Wo soll es langgehen? Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, sagt man. Ich habe bisher nur etwas Häme wahrgenommen. Die Freude sollte doch aber sein, dass die SPD jetzt in dieser Situation Stärke zeigen und ihre vielen Thesen und Erneuerungsabsichten in eine veritable politische Strategie umsetzen kann. Ich glaube, dass viele BürgerInnen das schätzen würden, wenn jetzt eine zuverlässig demokratische und machtvolle Stimme sich äußern würde. Wenigstens als Zustimmung zur Position der Kanzlerin oder als eigene gut räsonierte Haltung in diesem üblen Gerangel. Wenn nicht mal ich als SPD-Mitglied noch verstehe, was Ausdruck sozialdemokratischer Politik ist, wie können es dann politisch weniger interessierte WählerInnen?
Danke im Voraus für Ihre Antwort.

Freundliche Grüße,
D. L.

Cansel Kiziltepe
Antwort von
SPD

Liebe Doris,

vielen Dank für Deine Anfrage auf und Deine Eindrücke. Viele Bürger*innen dieses Landes fühlen und denken zurzeit wie Du. Die von uns Politiker*innen getroffenen Entscheidungen sind für viele nicht immer sofort verständlich oder nachvollziehbar. Umso wichtiger ist es mir, bei Anfragen wie Deiner, meiner Aufgabe als Vertreterin gerecht zu werden und den Bürger*innen und vor allem auch Genoss*innen wieder Vertrauen in unsere Entscheidungen zurückzugeben. Es stimmt, wir sind als SPD in einer der schwierigsten Situationen unserer jüngsten Geschichte.
Die aktuellen Verhältnisse zeigen uns, dass es um das Leben und das Lebensgefühl in unserer Gesellschaft geht und deshalb geht es auch um unsere Existenz als linke Volkspartei mit Mehrheitsfähigkeit.
Es geht aber auch um den Charakter der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer freiheitlichen, demokratischen, sozialen und rechtstaatlichen Ausprägung. Die Idee des demokratischen Sozialismus bleibt „eine ständige Aufgabe“ (Godesberger Programm). Mit Blick auf die hohe Dynamik gesellschaftlicher Änderungsprozesse erfordert diese Aufgabe eine große Beweglichkeit – auch von einer traditionsbewussten Volkspartei, wie wir es sind.

Unsere Politik soll das Leben der Menschen verbessern. Je schwieriger die Lebenslage, umso größer unsere politische Aufgabe. Dazu ist zum einen Selbstbewusstsein erforderlich. Wir müssen das von uns Erreichte kennen und benennen: Mindestlohn, Rente, Kinderbetreuung, Kommunalfinanzen und vieles mehr. Wir haben in den letzten Jahren unsere Erfolge oft so verzagt oder übertrieben kommuniziert, dass wir sie relativiert oder faktisch dementiert haben.

Auf der anderen Seite ist auch Selbstkritik erforderlich. Zum Beispiel beschädigt die Absenkung der Arbeitslosenhilfe ALG II auf Sozialhilfeniveau, den Wert und die Würde der Arbeit (Hartz IV). Hier wäre es längst möglich gewesen, etwas zu verändern.
Als wichtige Herausforderung für die SPD benennt Hans-Jochen Vogel „die ständige Erweiterung der sozialen Kluft zwischen Arm und Reich […].“ Der sozialdemokratische Traum vom Aufstieg durch Bildung (und Arbeit) muss wieder eine realistische Chance für viele sein. Die Kluft zwischen „oben und unten“, zwischen „reich und arm“, kann nur durch staatliche Aktivitäten verkleinert werden. Dabei müssen wir einfach konkret, statt bürokratisch verquer kommunizieren. Wir erreichen viele unserer Wählerinnen und Wähler nicht mehr, weil wir verlernt haben, verständliche Begriffe zu verwenden. Wir müssen uns um positive und klare Botschaften bemühen, um den negativen Botschaften unserer Gegner („Flüchtlingsschwemme“ und „Asyltourismus“) etwas entgegenzusetzen. Philipp Scheidemann sagte 1918: „Der Feind steht rechts.“ Diese Worte richten sich auch heute gegen diejenigen, welche eine andere Republik und nicht nur eine andere Politik wollen. Das beginnt bei der AfD und geht über PEGIDA bis hin zur Identitären Bewegung, Reichsbürgern etc. Wir müssen dagegen stehen: an jedem Tag, an jedem Ort, jeder Hassparole und jeder Lüge widersprechen. Demokrat*innen dürfen nicht so oft schweigen wie bisher.

Ich möchte Dir mit diesem Brief versichern und aufzeigen, dass wir als Vertreter*innen der Bürger*innen nicht stillstehen und stetig an einer gerechteren Gesellschaft und an Verbesserungen für alle Menschen in Deutschland arbeiten. Ich hoffe, ich konnte Dir wieder Vertrauen in unsere gemeinsamen sozialdemokratischen Werte zurückgeben.

Mit freundlichen Grüßen
Cansel Kiziltepe