Frage an Christian Carstensen bezüglich Soziale Sicherung

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Christian Carstensen
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Frage von Jakob S. •

Frage an Christian Carstensen von Jakob S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Carstensen,

Sie haben im Herbst 2006, wenn ich mich recht erinnere, meine Schule - die in Ihrem Wahlkreis liegt - besucht und sich dort unseren Fragen gestellt.
Ich fragte Sie damals, ob Sie es als gerecht empfinden würden, dass alleinerziehende Eltern nach einer schlechteren Steuerklasse versteuert werden, als Ehepaare mit Kindern und sogar als Ehepaare ohne Kinder!
Sie haben damals gesagt, dass Sie davon nichts wüssten, sich aber darum kümmern würden.

Jetzt würde ich gerne wissen, was nach nun über einem Jahr daraus geworden ist.

Mit freundlichen Grüßen

Jakob Schlockermann
Schüler

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Antwort von
SPD

Lieber Jakob Schlockermann,

herzlichen Dank für die Frage zur steuerlichen Behandlung von
Alleinerziehenden.

Das Ganze ist nicht ganz einfach, aber ich werde im Nachfolgenden versuchen, es zu erklären.

Bis 2004 gab es den sogenannten Haushaltsfreibetrag. Dieser wurde beim Lohnsteuerabzug mit der Steuerklasse II berücksichtigt – das ist ja die Steuerklasse, in der die Alleinerziehenden eingruppiert sind. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in seiner Entscheidung vom 10. November 1998 die Gesetzesvorschrift zum Haushaltsfreibetrag für verfassungswidrig erklärt hat und den Gesetzgeber aufgefordert hatte, den Haushaltsfreibetrag in eine steuerliche Entlastung für den Erziehungsbedarf umzuwandeln, die alle Familien unabhängig vom Familienstand entlastet.

Dies hat die Bundesregierung im Zweiten Gesetz zur Familienförderung mit der steuerlichen Berücksichtigung des Erziehungsbedarfs bei allen Eltern (also auch Alleinerziehenden) im Rahmen des Familienleistungsausgleichs umgesetzt. Nun wird für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 1.824 Euro für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein Freibetrag von 1.080 Euro für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes vom Einkommen abgezogen. Diese Regelung gilt also für alle – völlig unabhängig davon ob verheiratet, in Partnerschaft lebend oder alleinerziehend.

Um den früheren Vorteil, den Alleinerziehende durch den Haushaltsfreibetrag hatten, nun nicht einfach aufzuheben, hat die damalige Bundesregierung gleichzeitig den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in Höhe von 1.308 Euro eingeführt (mit Wirkung zum 1. Januar 2004). Der Entlastungsbetrag wird beim Lohnsteuerabzug ebenfalls mit der Steuerklasse II berücksichtigt. Anders als beim früheren Haushaltsfreibetrag, der den Erziehungsaufwand der Eltern abgelten sollte, ist es jedoch Sinn und Zweck des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende, die höheren Kosten für die eigene Lebens- bzw. Haushaltsführung abzugelten, die diese auf Grund ihrer jeweiligen Lebenssituation regelmäßig gegenüber Eltern haben, die einen gemeinsamen Haushalt mit dem anderen Elternteil oder mit einer anderen erwachsenen Person führen können. Alleinerziehende tragen für den Haushalt die alleinige Verantwortung und können keine Spareffekte auf Grund einer gemeinsamen Haushaltsführung mit einem anderen Erwachsenen zur Haushaltsersparnis nutzen.

Das bedeutet also: Eltern, die an einem gemeinsamen Wohnsitz ihre Kinder aufziehen (egal ob verheiratet oder nicht) können lediglich den Kinderfreibetrag sowie den Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung steuerlich geltend machen. Alleinerziehende hingegen können zusätzlich den Entlastungsbetrag geltend machen. Aus meiner Sicht ist das schon mal positiv.

Dass verheiratete Ehepaare gegenüber unverheirateten Paaren und Alleinerziehenden generell durch die Möglichkeiten des Ehegattensplittings (dies spiegelt sich in der Steuerklasse III wieder) steuerlich besser gestellt sind, kritisiert die SPD seit langem. Folgende Punkte stören mich dabei auch nach Gesprächen mit den fachlich dafür zuständigen Abgeordneten meine Fraktion besonders:

• Das Ehegattensplitting ist im Sinne der Familienförderung in mehrfacher Hinsicht wenig zielgenau und nicht effizient. Zum einen fördert es einseitig die Ehe, und zwar auch dann, wenn keine Kinder vorhanden sind. Demgegenüber profitieren Paare ohne Trauscheine mit Kindern nicht. Außerdem fällt die Entlastung durch das Splitting dann am größten aus, wenn die Eheleute älter sind und die Kinder i.d.R. bereits das Haus verlassen haben.

• Das Ehegattensplitting ist ein Steuermodell, dem ein überholtes Rollenverständnis zugrunde liegt. Denn vom Splitting profitieren am stärksten diejenigen Paare mit nur einem Verdiener/ einer Verdienerin. Es setzt damit negative Erwerbsanreize. Außerdem profitieren Paare mit partnerschaftlicher Arbeitsteilung und gleich hohem Erwerbseinkommen nicht.

• Das Ehegattensplitting ist in seiner Verteilungswirkung ungerecht, da höhere Einkommen stärker profitieren als niedrige und mittlere.

• Das Ehegattensplitting passt nicht mehr zur Lebenswirklichkeit von Familien: Als es 1958 eingeführt wurde, gab es noch in fast jeder Ehe Kinder, nur wenige Kinder wuchsen bei Alleinerziehenden oder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften auf. Dies hat sich geändert. Mittlerweile werden 30% aller Kinder nichtehelich geboren.

Die SPD hat Anfang März 2007 einen Vorschlag zur Reformierung des Ehegattensplittings gemacht. Damit machen wir deutlich, dass die Familienförderung für uns Vorrang gegenüber der Eheförderung hat. Das von uns vorgeschlagene Reformmodell berücksichtigt in seiner Belastungswirkung sehr stark soziale Aspekte: Belastet werden höhere Einkommen, niedrige Einkommen werden gar nicht belastet, mittlere Einkommen moderat.

Wir wollen damit für eine gerechtere Besteuerung sorgen, indem wir die eingeschränkte steuerliche Leistungsfähigkeit von Zwei-Verdienerpaaren gegenüber Alleinverdiener-Paaren berücksichtigen. Denn indem das Steuerrecht den Grundsatz der gleichen Besteuerung gleicher Einkommen an alle Ehepaare anlegt und dabei völlig unberücksichtigt lässt, ob das Einkommen von nur einem der beiden Partner oder von beiden erwirtschaftet wird, begünstigt es Alleinverdienerehepaare. Das Steuerrecht unterstellt damit, dass Zweiverdienerehepaare bei gleicher Einkommenshöhe die gleiche steuerliche Leistungsfähigkeit haben wie Alleinverdienerehepaare. Tatsächlich ist ihre steuerliche Leistungsfähigkeit aber deutlich gemindert. Grund hierfür ist das schlechtere Zeitbudget, das beispielsweise weniger Zeit für die Erbringungen von Eigenleistungen und Preisvergleichen lässt. Folge sind häufig höhere Kosten für haushaltsnahe Dienstleistungen. Auch die Werbungskosten sind deutlich höher aufgrund von höheren Kinderbetreuungskosten, zusätzlichen Fahrtkosten zur Arbeit, Kleidung, Mahlzeiten außer Haus.

Das Ehegattensplitting ist also als Förderung von Familien zielungenau. Wichtiger wäre, mit dem Geld endlich das zu machen, worüber alle reden: Mehr Betreuung für Kinder, mehr Bildung, mehr Integration. Leider ist dies mit unserem aktuellen Koalitionspartner derzeit nicht zu machen.

Lieber Jan Schlockermann, ich hoffe ich konnte mit diesen Informationen ein wenig weiterhelfen. Falls es weitere Fragen gibt, können wir gerne im Rahmen meiner Bürgersprechstunde darüber detailliert sprechen. Für die Terminvereinbarung reicht ein Anruf unter 040- 500 903 89.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Carstensen