Frage an Claudia Roth bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Claudia Roth
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Max B. •

Frage an Claudia Roth von Max B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth,

meine Frage bezieht sich auf Ihre Ansichten zur Migrationspolitik in Deutschland.

Im Wahlprogramm der Union wird die Forderung vertreten, dass volljährige Straftäter mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit ab einer Freiheitsstrafe von einem Jahr abgeschoben werden sollen.
Ich bin zwar kein Unionsanhänger, und ich bin auch der festen Überzeugung, dass es sich wieder einmal Populismus handelt (wie z. B. "Patriotismusdebatte" oder "Deutsch ins Grundgesetz"), der sich niemals konkret im Gesetzesblatt wiederfinden wird und einfach nur Symbolpolitik für den rechten Flügel darstellt.
Ihre Reaktion im Tagesspiegel vom 01.07.09 fand ich jedoch für eine deutsche Volksvertreterin sehr irritierend.
Besonders Ihre Aussage, dass diese Forderung integrationsfeindlich sei, kann ich nicht nachvollziehen.
Ich lebe in einem Stadtteil mit einem hohen Anteil von Migranten. Das möchte ich nicht pauschal kritisieren, da ich ansonsten einige meiner besten Freunde niemals kennengelernt hätte.
Aber ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass eine konsequentere Abschiebung ausländischer Straftäter die Integration massiv begünstigen würde. Erstens leiden in multikulturell geprägten Gegenden auf Grund der Bevölkerungsstruktur die Ausländer genauso so sehr unter (Ausländer-)Kriminalität wie die Deutschen. Zweitens würde es weniger Ressintements gegen Ausländer geben, wenn weniger auslänische Straftäter in Deutschland leben würden. Speziell intellektuell schwächere und konservative Menschen neigen dazu, Berichte oder Erfahrungen mit Ausländerkriminalität zu generalisieren, was sich in latentem Rassismus niederschlägt. Drittens würde der Abschreckungseffekt helfen, auch integrationsunwillige Ausländer zumindest von Straftaten abzuhalten welche bekanntlich einen Teufelskreis auslösen, da sich mit Vorstrafen schlecht ein Job finden lässt usw.

Auch wenn Sie mir, wie der Union, jetzt bestimmt Rassimus unterstellen werden, bitte ich um eine Stellungnahme zu meinen Ansichten.

Gruß, Bauer

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Bauer,

Erfahrungen in Auseinandersetzungen mit Rassismus und diverse Studien belegen, dass rassistische Einstellungen eigentlich keiner Begründung wie Kriminalität oder anderer Auffälligkeiten von Betroffenen bedürfen. Die Bekämpfung von Kriminalität, insbesondere die der organisierten Kriminalität, ist eine wichtige rechtsstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Kriminalität zu ethnisieren und bei ihrer Bekämpfung auf einfache und scheinbar naheliegende Lösungen zu setzen, ist der Versuch, die Ursachen von Kriminalität nicht anzutasten bzw. sie zu verschweigen.

Es ist eine trügerische Hoffnung, bei der Bekämpfung der Kriminalität nur auf die Abschiebung bzw. Ausweisung von Personen zu setzen, die aus Sicht der deutschen Gesetzgebung als „Ausländer“ definiert werden. Die Jugendlichen, die aus unterschiedlichen Gründen straffällig werden, für „Ausländer“ zu halten oder als solche behandeln zu wollen, ist eine bewusste Ignoranz der Lebensrealitäten in unserem Lande und gehört damit zu den Lebenslügen, die sich seit der Gründung der BRD hartnäckig halten. Diese Jugendlichen sind meistens hier geboren, leben in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland und kennen keine andere Heimat als Deutschland. Deshalb ist es integrationsfeindlich, familienfeindlich und menschenverachtend, diese Menschen in Länder zu schicken, die für sie in jeder Hinsicht die Fremde darstellen. Es ist integrationsfeindlich, weil von diesem Instrument das Signal ausgeht, dass Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft nicht hier hingehören und wir unsere hausgemachten Probleme lieber abschieben, statt sie zu lösen.

Selbstverständlich können rechtskräftig verurteilte Menschen nach geltender Rechtslage ausgewiesen werden. Bei Ausweisungen sind aber sowohl die Vorschriften über den besonderen Ausweisungsschutz (z. B. für in Deutschland geborene bzw. aufgewachsene Ausländerinnen und Ausländer; vgl. §56 AufenthG) als auch etwaige (menschen)rechtliche oder tatsächliche Abschiebungshindernisse (§60 AufenthG) zu beachten. Trotz dieser gesetzlichen Einschränkungen ständig von Abschiebung und Ausweisung „ausländischer Kriminellen“ zu reden, ist reine Stimmungsmache und Wahlkampf auf Kosten derjenigen, die sich nicht mal mit ihrer Stimme dagegen wehren können.

Mit freundlichen Grüßen

Das Büro-Team von Claudia Roth

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