Frage an Claudia Roth von André M. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Roth,
mit Interesse habe ich Ihre Rede auf dem Länderrat hier in Lübeck gehört, bei der Sie das von der Regierungskoalition beschlossene Betreuungsgeld als "gefährlich" bezeichnet haben. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen drei Fragen stellen:
Erstens, Sie argumentieren immer mit bildungspolitischen Gründen. Warum sprechen Sie Eltern die Fähigkeit ab, ihre Kinder verantwortungsvoll zu erziehen?
Zweitens, sie argumentieren mit den Kosten für das Betreuungsgeld. Gleichzeitig fordern Sie aber einen massiven Ausbau von Krippenplätzen, der noch viel teurer ist. Wie paßt das zusammen?
Drittens, meinen Sie wirklich, daß in Krippen mit einem Betreuungsschlüssel von fünf Kindern pro Erzieherin eine gute Betreuung möglich ist? Es geht hier wohlgemerkt um die Kleinsten und nicht um Kinder im traditionellen Kindergartenalter ab drei Jahren.
Und viertens lehnen Sie das Betreuungsgeld ab, weil Sie die jungen Mütter lieber möglichst rasch wieder an ihrem Arbeitsplatz sehen würden. Warum stellen Sie die Erwerbsarbeit so in den Vordergrund bzw. werten Sie die Erziehungsarbeit in der Familie so ab?
Aus Lübeck,
André Meyer
Sehr geehrter Herr Meyer,
in der Debatte um das von der Regierung beabsichtigte Betreuungsgeld geht es gar nicht darum, ob man den Eltern Kompetenzen in der Erziehung zubilligt oder nicht. Der Regierung geht es dabei vor allem um die Pflege von ideologischen Gewissheiten. Natürlich haben die allermeisten Eltern die Fähigkeit, Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. Der Versuch aber, die Familie als eine Idylle darzustellen, die durch Erziehung und Bildung außerhalb des Elternhauses, so durch staatliche Betreuungsangebote, bedroht und gestört würde, ist eine bewusste Irreführung. Bei den Regierungsplänen, die eine vollständig privat finanzierte Kinderbetreuung bei Eltern belohnen, die sich gegen Kitaplätze entscheiden, geht es wohl kaum um die Würdigung der Fähigkeit der Eltern in Erziehungsfragen. Wieso die Erziehungsleistung von privaten Erziehungskräften für - in der Regel gut situierter - Eltern mit einer staatlichen Geldleistung honoriert werden muss, jedoch die Erziehungsleistung von Eltern, deren Kinder in einer staatlich geförderten Kinderbetreuungseinrichtung betreut werden, nicht, sollte die Regierung den Kritikern erklären.
Die Verlogenheit der These mit der Fähigkeit der Eltern und dem Hochhalten diesen Prinzips macht sich beim Umgang mit den ALG-II beziehenden Familien deutlich: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass das Betreuungsgeld bei Eltern, die ALG-II beziehen, angerechnet werden soll. Dies ist nicht nur unsozial, sondern auch beschämend. Denn folgt man den - falschen - Argumenten der Befürworter des Betreuungsgeldes, dass mit dem Betreuungsgeld die Erziehungsleistung der Eltern gewürdigt und Wahlfreiheit geschaffen werden soll, so bedeutet die Anrechnung beim ALG-II, dass die Erziehungsleistung armer Eltern keiner Würdigung wert ist und sie auch keinen Anspruch auf Wahlfreiheit haben.
In der aktuellen Debatte geht es nicht um die Reduzierung der Kosten an sich, sondern um die Frage, welche Investitionen sinnvoll sind und wie man sinnlose und unsoziale Ausgaben meiden kann. Natürlich können Sie die Auffassung vertreten, dass Erwerbsarbeit nicht so wichtig ist. Wir sind aber der Meinung, dass junge Eltern die Möglichkeit und vor allem die Sicherheit haben sollten, weiterhin erwerbstätig sein zu können, wenn sie sich für Kinder entscheiden.
Mit freundlichen Grüßen
Das Mitarbeiter-Team im Bundestagsbüro