Frage an Claudia Roth von Rita N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Roth,
Grünen war Basisdemokratie wichtig. Und Grüne setzten sich für Wahlrecht ab 16 (und mehr) ein. Wenn es aber um die Wirtschaft geht, da ist Ihnen die Demokratie nicht so wichtig?
Seit 60 Jahren gibt es in den Gremien der Handwerkskammern lediglich eine Drittelparität (IHK: Echte Parität!) und es dürfen nur Gesellen auf Arbeitnehmerseite wählen (Auszubildende, Bürokräfte, Angelernte nicht). Wenn diese Facharbeiter an der Wahl teilnehmen wollen, müssen sie sich eine Bestätigung dazu vom Chef abholen. Und laut BT 17/6844 fanden seit dem Krieg in allen deutschen Handwerkskammern zusammengenommen nur 3 richtige Wahlgänge statt. Dagegen ist halt das System der Friedenswahlen etabliert und die Listenwahlen lassen einer Opposition keine Chance.
All das ist nicht gerade demokratisch. Aber auch das aktuelle Wahlprogramm der Grünen sieht hier keinen Handlungsbedarf. Keine Reform der Vorschriften in der Handwerksordnung, keine Ultimaten – NICHTS.
Warum gehen Grüne dieses (seit 60 Jahren existierende System) nicht an, während sie an anderer Stelle regelmäßig für die Weiterentwicklung demokratischer Strukturen engagiert gekämpft wird?
Sehr geehrte Frau Nyhuis,
wir sehen das Kammernprinzip nur dann weiter vertretbar, wenn die Organisationen transparenter und demokratischer werden als bisher. Außerdem sehen auch wir die Schwierigkeit, dass kleine und mittlere Unternehmen mit ihren Interessen zum Teil unterrepräsentiert sind.
Handwerkskammern übernehmen eine Vielzahl von Aufgaben. Sie sind aufgrund der Wahrnehmung dieser öffentlich-rechtlichen Aufgaben als Körperschaften des öffentlichen Rechts durch gesetzliche Grundlage zur Erhebung von Pflichtbeiträgen ihrer Mitglieder ermächtigt. Diese Rechtsgrundlage bedarf allerdings immer wieder einer Legitimation.
Die von Ihnen vorgebrachten Kritikpunkte sehen daher auch wir als problematisch an. Insbesondere das angesprochene Demokratiedefizit wirft die Frage auf, inwiefern die Kammern tatsächlich die Interessen aller zugehörigen Unternehmen und Angestellten repräsentieren. Die geringe Wahlbeteiligung darf nicht dazu verleiten, bequeme Friedenwahlen abzuhalten. Vielmehr muss das geringe Engagement ein Ansporn sein, herauszufinden, wie die Beteiligung verbessert werden kann.
Analog zu den Reformvorschlägen für IHKen der Grünen in NRW (siehe: http://www.gruene-nrw.de/details/nachricht/selbstverwaltung-der-wirtschaft-staerken-effiziente-kundennahe-offene-und-demokratische-indust.html ) sehen wir entsprechenden Handlungsspielraum bei den Handwerkskammern. Von Interesse könnte für Sie auch das Positionspapier "Kammern der Zukunft" der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 2011 sein:
http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/kammern_der_zukunft.pdf
Die sehr kurze und allgemein gehaltene Formulierung im Wahlprogramm ist sicherlich nicht zuletzt der Fülle des Werks geschuldet. Sie können aber davon ausgehen, dass wir für die neue Legislaturperiode Schritt für Schritt konkrete Änderungen und Reformvorschläge prüfen und angehen möchten. Außerdem wollen wir auch die Meisterpflicht unter die Lupe nehmen und prüfen, inwiefern sich die Reformen von 2004 ausgewirkt haben und welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Das Mitarbeiter-Team im Bundestagsbüro