Frage an Claudia Roth von Frauke W. bezüglich Soziale Sicherung
Hallo Frau Roth,
ich bin seit Jahrzehnten Grünen-Wählerin, aber ich arbeite auch seit fast 20 Jahren in einer stationären Wohneinrichtung für psychisch Kranke als Sozialarbeiterin im 3-Schichtdienst (Früh-, Spät-, Nacht-, Wochenende-, Feiertagsdienste), der bei uns (gottseidank)recht flexibel gehandhabt wird. Mir macht die Arbeit trotz der sehr hohen Belastung viel Spaß, ich kann mir aber definitiv nicht vorstellen, meinen "Job" noch bis 67 zu machen, da ich jetzt schon (mit 46 Jahren) extreme Schlafschwierigkeiten etc. habe. Bitte sagen Sie mir Ihre Einstellung zur Rente mit 67.
Mit freundlichen Grüßen,
F. Willkomm
Sehr geehrte Frau Willkomm,
in der Tat ist es unter den heutigen Arbeitsbedingungen für viele Menschen kaum vorstellbar, bis zum 65. Lebensjahr zu arbeiten, geschweige denn bis zum 67. Lebensjahr. Arbeit macht viele Menschen krank, immer mehr auch durch die Zunahme von Stress und psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Deswegen sind bessere Arbeitsbedingungen für alle eine unverzichtbare Voraussetzung, um länger arbeiten zu können. Für einen erfolgreichen längeren Verbleib im Arbeitsmarkt ist der Gesundheitszustand ausschlaggebend. Deshalb müssen Arbeitsförderung und Gesundheitsförderung eng miteinander verzahnt werden.
Es ist evident, dass die Menschen hierzulande ein immer höheres Lebensalter erreichen. Nach den jüngsten Prognosen des Statistischen Bundesamtes wird die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland bis zum Jahr 2030 um weitere drei Jahre steigen. Und nicht nur das: Die Menschen leben nicht nur länger, sie bleiben auch länger gesund. Das sind gute Nachrichten. Sie stellen Gesellschaft und Rentenversicherung aber auch vor große Herausforderungen: Steigende Lebenserwartungen und sinkende Geburtenraten führen dazu, dass sich das Zahlenverhältnis der Alten zu den Jungen in den nächsten Jahrzehnten erheblich verändern wird. Wir werden mehr ältere Menschen haben und zugleich weniger junge. Renten werden nicht nur für mehr Rentnerinnen und Rentner, sondern auch für längere Dauer gezahlt werden müssen.
Es braucht deshalb Änderungen und Neujustierungen, damit unsere Alterssicherungssysteme auch unter den sich verändernden Bedingungen nachhaltig finanzierbar bleibt und vor Armut schützt. Dabei müssen wir darauf achten, dass Belastungen generationengerecht verteilt werden - zwischen den heutigen und zukünftigen BeitragszahlerInnen ebenso wie zwischen den aktuellen und zukünftigen RentenbezieherInnen. Eine gerechte Rentenreform muss außerdem sicherstellen, dass bei der Rentenberechnung die Verschiedenheit der Lebens- und Erwerbsbiografien besser als bisher berücksichtigt wird.
Vor diesem Hintergrund erscheint uns eine schrittweise Verlängerung der Lebensarbeitszeit sinnvoll, weil sie die Rentenversicherung in einer solidarischen Weise auf solide Beine stellen kann: durch höhere Einnahmen einerseits und durch geringere Ausgaben andererseits.
Jenseits der volkswirtschaftlichen Wirkungen sehen wir in der Verlängerung der Lebensarbeitszeit aber auch Chancen für die einzelnen Menschen. Arbeit ist mehr als Existenzsicherung; sie ist auch Teilhabe und gewährt Jung und Alt gleichermaßen Entfaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten. Viele Menschen können und wollen auch im Alter tätig sein. Dafür müssen der Arbeitsmarkt und die Alterssicherung Antworten bieten, die der Vielfalt der individuellen Lebensentwürfe und Vorstellungen gerecht werden. Wir erachten die schrittweise Erhöhung der Regelaltersgrenze für notwendig und halten deshalb an dem Fahrplan für die Rente mit 67 fest. Sie ist aber nur vertretbar, wenn sie flankiert wird durch Verbesserungen beim Arbeitsschutz, bei der betrieblichen Gesundheitsförderung und durch arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Regelungen. Damit wollen wir längere Beschäftigungen ermöglichen, eine Rentenkürzung durch die Hintertür verhindern, fließende Übergänge in den Ruhestand schaffen und Armut im Alter verhindern.
Deshalb ist es wichtig, dass die Erhöhung der Regelaltersgrenze mit reellen Chancen einhergehen muss, bis zum Alter von 67 Jahren auch arbeiten zu können. Dabei ist nicht nur die Politik gefragt, auch in den Betrieben muss sich die Kultur der Altersarbeit noch entscheidend verändern. Für uns gehören dazu insbesondere Verbesserungen beim Arbeitsschutz, bei der betrieblichen Gesundheitsförderung und arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Regelungen um Arbeit, Arbeitsinhalte und Arbeitszeiten alters- und alternsgerecht zu gestalten. Die Möglichkeiten von Weiterbildungsmaßnahmen sind auszuweiten, sowohl in Beschäftigung als auch bei Arbeitslosigkeit. Außerdem muss die Beschäftigungsförderung Älterer verbessert werden, um den Anteil mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu erhöhen.
Entscheidend wichtig und zentral ist, Möglichkeiten für fließende Übergänge in den Ruhestand zu schaffen und älteren Menschen mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen: Sie sollen entsprechend ihrer individuellen Situation Erwerbstätigkeit und Rentenbezug freier als bisher kombinieren können. Bei Verringerung der Arbeitszeit soll eine Teilrente ab dem 60. Lebensjahr möglich sein. ArbeitnehmerInnen bleiben weiterhin uneingeschränkt versichert und bauen Rentenansprüche auf.
Zugleich ist auch eine Verbesserung der Attraktivität der Teilrente für Menschen jenseits der Regelaltersgrenze wichtig, um einen längeren Verbleib in Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Die skandinavischen Länder haben damit gute Erfahrungen gemacht: Die Menschen dort arbeiten im Durchschnitt länger, aber nicht unbedingt Vollzeit. Das Motto wäre also: Länger arbeiten, aber weniger. Auch Langzeitkonten, Teilzeitoptionen oder temporäre Freistellungen können vielen Beschäftigten die Möglichkeit eröffnen, sich weiterzubilden, sich zu erholen oder sich beruflich neu zu orientieren. Notwendig dafür sind attraktivere und besser als bisher geschützte Zeitkontenmodelle.
Wir haben das Konzept einer Garantierente entwickelt und beschlossen. Damit wollen wir Altersarmut effektiv entgegenwirken. Die Anhebung der Regelaltersgrenze wird nur dann gesellschaftlich akzeptiert werden, wenn sichergestellt ist, dass Menschen nach den aktiven Jahren nicht ein Leben in Armut führen müssen. Die Anhebung der Regelaltersgrenze darf nicht dazu führen, dass die Altersarmut steigt. Altersarmut ist besonders gravierend, weil kaum eine Möglichkeit besteht, diese Situation aus eigener Kraft zu überwinden. Durch die Einführung einer Garantierente für langjährig Versicherte als Teil der Rentenversicherung werden geringe Rentenansprüche auf ein Mindestniveau aufgestockt, das über dem durchschnittlichen Grundsicherungsniveau liegt.
Statt abzuwarten, bis der Arbeitsmarkt ausreichend sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zur Verfügung stellt, müssen jetzt die Voraussetzungen geschaffen werden. Wir werden im Rahmen der vierjährigen Berichtspflicht zur Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer regelmäßig prüfen, ob sich unsere Bedingungen für die Erhöhung der Regelaltersgrenze erfüllen und daraus entsprechende Konsequenzen ziehen. Beim nächsten Bericht 2014 gilt es, Erfahrungen mit der ersten Stufe der Verlängerung der Regelaltersgrenze zu berücksichtigen.
Mit freundlichen Grüßen
Das Mitarbeiter-Team im Bundestagsbüro
Claudia Roth MdB