Frage an Daniela Kolbe bezüglich Recht

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Daniela Kolbe
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Frage von William W. •

Frage an Daniela Kolbe von William W. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Kolbe,

ich wende mich als Deutscher jüdischen Glaubens an Sie und ich möchte einige Entwicklungen in Deutschland und Missstände ansprechen die mich ängstigen. Es wäre schön wenn Sie die folgenden Fragen gewissenhaft und vollständig beantworten, um meine Ängste zu beruhigen und aufzeigen was bereits gemacht wird diese Missstände in unserem Land aufzuheben.

1. In wie gibt es Antisemitismus in Deutschland?

2.Wie stehen sie zur Religionsfreiheit als verbrieftes Recht.
und wie weit darf dieses Recht wahrgenommen werden.

3. Kennen Sie den Fall aus Dresden bei dem die schwangere Apothekerin Marwa El-Sherbini mit 18 Messerstichen vor Gericht wegen ihrem religiösen Aussehen (Kopftuch) ermordet wurde und ein herbeieilender Polizist fälschlicherweise den Ehemann anschoss? a)Wie wird deren Religionsfreiheit geschützt?
b) Ist das nicht das gefährliche Resultat von Hetze, die seit Jahren gegen den Islam über Medien und Internetseiten(pi-news.net) verbreitet wird, die unter dem Deckmantel der Islam-Kritik diese Art der Diskriminierung fördern?
c)Was halten sie davon das der Rektor Bernd Hinke auf der Anne-Frank-Schule in Flingern die Religionsfreiheit massiv einschränkt und ein Kopftuchverbot erlässt?

4. Wie könnte man zumindest im öffentlich rechtlichen Fernsehen der Diskriminierung entgegenwirken?

5. Wie kann man Aufklärend auf die Gesellschaft einwirken und für das im Grundgesetz verankerte Grundrecht der freien Religionsausübung das Bewusstsein stärken? Wie kann man von Gewalt bedrohte Religionsgemeinschaften beschützen?

Abschließend möchte ich als betroffener darauf aufmerksam machen, dass es wesentliche Gemeinsamkeiten existieren zwischen der Vorbereitung des Holocausts im 3.Reich, durch Propaganda und der heutigen Behandlung des Islam in Medien und Internet. Ich möchte sie auf die im folgenden Video gezeigten Parallelen aufmerksam machen: http://bit.ly/92eAwx

Ich bedanke mich im Voraus.
Mit Herzlichem Gruß
William Weizmann

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Weizmann,

vielen Dank für ihre umfangreichen Fragen zu den Themen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, denen ich hohe Bedeutung beimesse.

Ich sehe den zunehmenden, oft in veränderter Form auftretenden Antisemitismus mit großer Sorge. Ebenso beunruhigen mich die von Ihnen auch angesprochenen pauschalen Ablehnungen, Anfeindungen und Bedrohungen gegenüber Muslimen. Ich sehe beide Phänomene aber nicht unbedingt in einem engeren Zusammenhang und würde auch nicht die eine Bedrohung mit der anderen aufwiegen. Letztendlich sind alle Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit antihumanistisch und ein Angriff auf den Wesenskern unserer Verfassungsordnung, auch wenn die Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden vor allem aufgrund der Erfahrungen mit dem eleminatorischen Antisemitismus Nazi-Deutschlands singulär bleibt.

Zu ihren Fragen im Einzelnen. zu 1.) Es gibt leider weiterhin Antisemitismus in Deutschland. Auch wenn der offene, aggressive Antisemitismus mit Verherrlichung der NS-Zeit nur von einer Minderheit, zumeist im klassischen Neonazispektrum, gepflegt wird, findet er sich dort in einer abstoßenden Deutlichkeit. Darüberhinaus gibt es auch antisemtische Diskurse in sich selbst als links begreifenden Gruppen, in denen Antisemitismus mit antiimperialistischen und antiamerikanischen Denkfiguren einher geht. Oft werden auch verschwörungstheoretische Argumente der vorgeblichen Herrschaft einzelner Geheimbünde mit antisemtischen Ressentiments verbunden. Eine latente Judenfeindlichkeit, die sich in Vorbehalten und Abneigungen gegenüber Menschen jüdischen Glaubens ausdrückt, ist erschreckenderweise in einem relativ großen Teil der deutschen Bevölkerung ausgeprägt, empirische Untersuchungen sprechen von 15 bis 20%. Hier sehe ich ein sehr großes Problem, weil derartige Ressentiments immer Potentiale sind, die unter bestimmten Umständen zu offensiven Anfeindungen und Gewaltakten führen können.

zu 2.) Das Grundgesetzt gewährt allen Bürgerinnen und Bürgern Religionsfreiheit. Dieses Recht darf selbstverständlich auch wahrgenommen werden. Dort, wo die Religionsfreiheit im Spannungsfeld mit anderen gleichgewichteten Normen steht, regeln Gesetze das Nähere.

zu 3.) Der Fall Marwa El-Sherbinis ist mir selbstverständlich bekannt. Es handelt sich hierbei um einen kaltblütigen, offenkundig rassistisch motivierten Mord. Frau El-Sherbinis Grundrechte konnten nicht geschützt werden. Dieser Mord ist sicher nicht ursächlich auf einzelne Medien zurückzuführen, aber auch ich beobachte die zunehmende Tendenz zur pauschalen Anfeindungen von Muslimen mit Sorge. Menschenfeindliche Diskurse können immer auch ein Gewalthandlungen begünstigendes Klima schaffen. Der geschilderte Fall eines Kopftuchverbots in einer Schule ist mir nicht bekannt. Ich denke aber, dass pauschale Verbote ungeeignet sind, um so diffizile Fragen wie die um das Kopftuch, wo es Spannungen zwischen den Normen der Religionsfreiheit, des Rechts auf Selbstbestimmung und der religiösen Neutralität des Staates geht, aufzulösen.

zu 4.) In öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hat der Rundfunkrat eine Programmaufsicht und wacht auch darüber, dass das Programm keine Diskriminierungen enthält. Religionsgemeinschaften wie die christlichen Kirchen oder der Zentralrat der Juden in Deutschland entsenden hierin auch Vertreter/-innen. Tatsächlich gilt dies nicht für Muslime, ebenso wenig wie für Konfessionsfreie. Dies gilt es sicher in Zukunft zu diskutieren.

zu 5.) Die Aufklärung im Sinne der Wahrnehmung verfassungsmäßig garantierter Grundrechte ist Teil der politischen Bildung in den Schulen und in der Zivilgesellschaft. Darüberhinaus ist diese Form der Bildung den Religionsgemeinschaften oft selber ein Anliegen in ihrer eigenen Bildungsarbeit. Religionsgemeinschaften werden wie andere Gruppen auch nach den einschlägigen Regeln des Strafrechts vor Gewalt geschützt. Ich hoffe, dass wir eines zusätzlichen, spezifischen Schutzes, den es bisweilen noch gibt, in Zukunft immer weniger bedürfen. Sollten dennoch Bedrohungen gegen Religionsgemeinschaften existieren, werden entsprechende präventive Maßnahmen ergriffen, um diese besonders zu schützen.
Ihrer abschließenden Bemerkung möchte ich entgegensetzen, dass ich solche Gemeinsamkeiten in der von Ihnen beschriebenen Dimension nicht sehe. Tatsächlich sind die (auch in Ihrem Video) erwähnten Kommentare in Internetforen anonym oder zumindest in sehr kleinen Communitys formulierte Meinungen, während die antisemitische Propaganda im Nationalsozialismus nicht nur von weiten Teilen der Bevölkerung geduldet und unterstützt, sondern staatlicherseits systematisch vorangetrieben wurde. Eine solche Dimension sehe ich in der heutigen Zeit, unbenommen aller tatsächlich beunruhigenden und bestürzenden Ausfälle gegenüber Muslimen, nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Daniela Kolbe