Frage an Ekin Deligöz bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Ekin Deligöz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Rolf K. •

Frage an Ekin Deligöz von Rolf K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo !

Wie mehrfach berichtet, verkaufen manche Banken und Sparkassen – letztere öffentlich-rechtliche Unternehmen – seit einiger Zeit Darlehen von Immobilienfinanzierungen an Investoren.

Es klingt unglaublich, ist aber herrschendes „Recht“. Die Gesetze, die unsere Volksvertreter für uns (?) verabschiedet haben, machen es in Deutschland möglich, dass die Bank ein Darlehen an einen ausländischen Investor verkauft, während die Grundschuld bei der Bank verbleibt.

Im ungünstigsten Fall können nun Investor UND Bank den Betrag,vom Schuldner einfordern, und zwar ohne Berücksichtigung von ggf. bereits geleisteten Tilgungen. Der Käufer des Darlehens darf sogar rückwirkend für drei Jahre Zinsen auf das Darlehen fordern, d.h. die Schulden des Darlehensnehmers VERDOPPELN sich, ohne dass irgendeine Gegenleistung erfolgt.

Diese Verhältnisse sind das bislang Dreisteste und Unverfrorenste, was mir in unserem so genannten Rechtsstaat bislang untergekommen ist.

Unter Ausnutzung dieser Rechtslage wurden inzwischen zahlreiche Deutsche unter tatkräftiger Mithilfe von öffentlich-rechtlichen Banken nicht nur um ihr Eigenheim gebracht, sondern wegen der sich auf einmal verdoppelnden Darlehensschuld in den finanziellen Ruin getrieben.

Jeder Mensch, der ein Darlehen bei einer Bank hat und der Bank eine Grundschuld eingeräumt hat, sitzt damit auf einer Zeitbombe.
Ich kann es nicht verhehlen, daß mir solche Entwicklungen Angst machen.

Würden Sie mich bitte darüber in Kenntnis setzen, was von Seiten Ihrer Fraktion konkret dagegen unternommen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Rolf Kuntz

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kuntz,

vielen Dank für Ihr Schreiben zur Problematik der verkauften Immobilienkredite. Es handelt sich um eine vielschichtige Fragestellung. Denn einerseits muss man das Bedürfnis der Banken anerkennen, die als Sicherheit gewährten Immobilien zu verwerten, also im Extremfall eine Zwangsversteigerung durchzusetzen. Auch ist es sinnvoll, dass die Banken zumindest notleidende Kredite auslagern oder verkaufen können, um Banken die Entlastung ihrer Bilanzen und dadurch die Vergabe neuer Kredite zu günstigen Konditionen zu ermöglichen. Das ist gerade auch im Interesse von Kundinnen und Kunden der Banken. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte die rot-grüne Regierung 2002 gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen.
Andererseits muss natürlich gesichert sein, dass bei einem Verkauf von Krediten die neuen Inhaber keine Missbrauchsmöglichkeiten haben. Und hier hat sich in den letzten zwei Jahren die wirtschaftliche Realität in Deutschland massiv verändert. Am Markt sind Finanzinvestoren aufgetreten, für die eine Grundschuld nicht die Sicherheit für die Kreditgewährung darstellt, sondern ein Anlageprodukt, aus dem so viel wie möglich herausgeholt wird. Auf ein solches Geschäftsgebaren bietet die geltende Rechtsordnung keine angemessene Antwort. Viel zu oft werden Menschen in die Zwangsvollstreckung getrieben - teilweise wohl auch dann, wenn sie ihren Kredit stets ordnungsgemäß bedient haben. Diese Exzesse haben - unabhängig von jüngeren Gesetzesänderungen - mit dem geltenden Recht der Grundschuld zu tun, das seit mehr als 100 Jahren im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert ist, heute aber anders genutzt wird als früher.
Vor allem durch die Berichterstattung von Plusminus in der ARD ist auf das Problem hingewiesen worden, dass die Grundschuld, die typischerweise zur Besicherung von Immobilienkrediten dient, losgelöst von der zugrunde liegenden Darlehensforderung verwertbar ist. Das bedeutet, dass auch bei ordnungsgemäßer Zahlung von Zins und Tilgung an die Bank ein Käufer der Grundschuld auftauchen und seine Rechte einfordern kann. Weil in den meisten Verträgen die sofortige Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung vereinbart ist, kommt es dann schnell zu dieser Zwangsvollstreckung. Der Sicherungsvertrag zwischen Bank und Kreditnehmer, der eine vorzeitige Verwertung üblicherweise verhindert, gilt nicht im Verhältnis zwischen dem Käufer der Grundschuld und dem Kreditnehmer.
Was ist zu tun? Die Tatsache, dass die Grundschuld ursprünglich bewusst als Gegenstück zur Hypothek umlauffähiger ausgestaltet wurde, darf unseres Erachtens heute kein Hinderungsgrund sein, wenn es um den Schutz der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer geht. Daher haben wir am 13. Juni 2007 einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der eine Veränderung der Gesetzeslage vorschlägt (Drs. 16/5595: siehe Anlage). Die starke Grundschuldbesicherung in den Händen von Investoren, die an kurzfristiger Rendite orientiert sind, muss beschränkt werden. Die Einräumung einer Grundschuld in Verbindung mit der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung ist ein Rechtsgeschäft, das von derart persönlichem Vertrauen gekennzeichnet ist, dass es nicht einseitig durch die berechtigte Bank veräußerbar sein kann. Daneben sind auch Fragen des Datenschutzes und Informationspflichten gegenüber den Kreditnehmern und vor allem der Schutz der Betroffenen in der Zwangsvollstreckung neu zu regeln.
Dieser Antrag, aber auch ein nicht-öffentliches Fachgespräch im Finanzausschuss, das auf unsere Anregung hin statt fand, haben dazu beigetragen, den politischen Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen. Deshalb wollen die Koalitionsfraktionen inzwischen in einem sogenannten Risikobegrenzungsgesetz auf die Problematik reagieren. Noch ist aber völlig unklar, was in diesem Gesetz stehen wird. Eine Anhörung von Sachverständigen dazu wird im Finanzausschuss am 23. Januar 2008 erfolgen.
Wir werden uns im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens dafür einsetzen, dass Betroffene frühzeitig informiert sind, dass die Missbrauchsmöglichkeiten verhindert werden und der Schutz der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer deutlich verbessert wird. Dazu gehört für uns eine klare Definition, welche Kredite als notleidend zu betrachten sind. Für nicht notleidende Kredite soll der Verkauf an die Zustimmung des Kreditnehmenden gebunden sein. Für notleidende Kredite wollen wir durch einen obligatorischen Sanierungsversuch Zwangsvollstreckungen wieder auf das beschränken, was sie früher waren - das letztmögliche Mittel zum Eintreiben von Schulden, wenn Kredite nicht mehr bedient wurden. So wollen wir vermeiden, dass Menschen aufgrund verantwortungslosen Profitstrebens anderer in die Überschuldung getrieben werden.

Mit freundlichen Grüßen,

Ekin Deligöz

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