Frage an Elvira Drobinski-Weiß bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Elvira Drobinski-Weiß
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Frage von Norbert H. •

Frage an Elvira Drobinski-Weiß von Norbert H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Drobinski-Weiß,

sie haben wie ich oben entnehmen konnte für den EU-Vertrag von Lissabon zugestimmt?
Warum?
Es ist doch bekannt das er sich inhaltlich teilweise widerspricht (einerseits ist er für mehr Frieden in der Welt, andererseits für mehr Aufrüstung).

Außerdem ist es bekannt das sich innerhalb des Volkes einiges tut und viele neidisch mit den Worten "Wir werden ja nicht mal gefragt" nach Irland schauen.

Wie stehen sie zum Volksentscheide, würde er unser Parlament nicht gut ergänzen und die Bundesrepublik nicht demokratischer gestalten?

Mit freundlichen Grüßen
Norbert Hense

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hense,

ich freue mich sehr über Ihre Frage, weil sie mir die Gelegenheit gibt, zu einem sehr wichtigen Thema zu antworten. Europa und seine Bedeutung berühren uns alle stark. Leider geht das Thema in den alltäglichen Debatten oft unter.
Ich habe dem Vertrag von Lissabon aus verschiedenen Gründen mit voller Überzeugung zugestimmt.
Europa bietet uns große Vorteile und Zukunftschancen. Freizügigkeit im Urlaub oder als Arbeitnehmer, ein einheitlicher Markt ohne Zölle und Hindernisse und der Schutz vor unfairem Wettbewerb sind nur einige der Stichworte, die hier zu nennen sind. In den letzten Jahrzehnten hat die Europäische Union aber nicht nur an politischer Bedeutung gewonnen, sie ist auch zahlenmäßig größer geworden. Die Organe und Entscheidungsprozesse sind aber nicht auf 27 sondern auf weniger Mitgliedsstaaten ausgelegt. Dadurch entsteht berechtigte Kritik an Europa, etwa dass es keine starke Stimme in Verhandlungen mit anderen großen Partnern wie den USA oder China besitzt, dass einzelne Länder Fortschritte blockieren können, dass unnötigerweise zu viel auf der europäischen Ebene geregelt wird. Auch dies ist nur eine Auswahl der Argumente. Der Vertrag von Lissabon schafft nun Abhilfe für viele dieser Probleme. Nicht alle Aspekte sind überzeugend, aber das Gesamtpaket ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Dabei gibt es nicht nur Schwarz und Weiß. Gerade in Fragen der Sicherheitspolitik ist er differenziert, so daß ich Ihr Argument leider nicht teile. Aber Europa bekommt eine Stimme für die Vertretung nach außen, Entscheidungen werden nicht mehr so einfach von einzelnen blockiert werden, nach dem Subsidiaritätsprinzip wird auf europäischer Ebene entschieden, was dort besser zur regeln ist, ansonsten sind die anderen Ebenen wie die einzelnen Staaten selbst zuständig.
Volksabstimmungen sind im übrigen ein zweischneidiges Schwert. Sie ermöglichen eine direkte Beteiligung, bergen aber auch zahlreiche Risiken, die sich gerade an den Abstimmungen zu europapolitischen Fragen in den letzten Jahren sehr gut studieren lassen.
Nehmen Sie das Referendum in Frankreich zum ursprünglichen Entwurf einer Verfassung. Alle Befragungen der Wählerinnen und Wähler belegen, dass die Franzosen in erster Linie gar nicht über den Vertrag abgestimmt haben, sondern über die eigene Regierung. Woran liegt das? Vereinfacht dargestellt ging es darum, die Unzufriedenheit mit der französischen Regierung auszudrücken. Die Abstimmung war ein gutes Mittel dazu, da für viele der Vertrag sowieso als kompliziert galt. Zu recht. Denn um solche vielschichtigen Fragen wie die Konstruktion der EU wirklich mit dem nötigen Hintergrundwissen zu beantworten, braucht es Zeit, um sich damit zu beschäftigen. Diese können sich die meisten Menschen nicht nehmen. Daher hätte ich mir auch einen einfachen, klaren Vertrag von Lissabon gewünscht. Das hätte der Zustimmung zu Europa sicher gut getan. Aber auch so ist das Ergebnis gut, wenn auch kompliziert. Deshalb aber gibt es Parlamentarier, die sich damit beschäftigen und dann im von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Parlament abstimmen. Dabei hat jeder Bürger natürlich die Möglichkeit, in Gesprächen mit den Abgeordneten, Anfragen und Briefen zu versuchen, Einfluß zu nehmen. Daher ist diese Lösung durchaus demokratisch gerechtfertigt. Die negativen Erfahrungen in der Schweiz, wo sich oft weniger als die Häfte der Wahlberechtigten an den Abstimmungen beteiligen, machen die Entscheidungsfindung meines Erachtens nicht demokratischer. Daher bin auf Bundesebene gegen Refenden (die übrigens vom Grundgesetz auch nicht vorgesehen sind). Auf kommunaler Ebene, wo jeder direkt betroffen ist, sieht das übrigens wieder anders aus.

Mit freundlichen Grüßen
Elvira Drobinski-Weiß