Frage an Frank Thiel bezüglich Wirtschaft

Frank Thiel
DIE LINKE
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Frage von Andreas K. •

Frage an Frank Thiel von Andreas K. bezüglich Wirtschaft

Laut Karl Marx ist das Kapital bestrebt, sich eine möglichst große „Reservearmee“ an Arbeitslosen zu halten, um so den Wert der damit im Überfluß vorhandenen Ware Arbeitskraft ständig senken zu können und auf diese Reserve im Falle von Streiks etc. zurückgreifen zu können. Den Preis einer Ware, die im Überfluß vorhanden ist, durch gesellschaftliche Eingriffe wie Mindestlohn oder Tarifvereinbarungen wieder erhöhen zu können, ist naiv. Das Kapital wird genug geeignete Wege finden, diese zu umgehen.
Das das tatsächlich so ist, beweist die immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich.
Unser Land weist eine beträchtliche Zahl von „Reserve-Arbeitslosen“ auf. Mit Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Mai ist anzunehmen, daß weitere Arbeitskräfte nach Deutschland strömen. Gemeinsam mit der wachsenden Zahl an Migranten werden auch diese dafür sorgen, daß die verfügbare Ware Arbeitskraft mehr und mehr wird und damit an Wert verliert.
Ebenso ist es für das „Kapital“ von Vorteil, daß diese Menschen nicht in Deutschland ausgebildet werden müssen, sondern es werden den Herkunftsländern die Früchte ihrer eigenen Bildungssysteme geraubt. Fleißige, qualifizierte Menschen, die in ihrer eigenen Heimat gebraucht werden, verlassen ihr Land.
Trotzdem unterstützt die Linke die Zuwanderung und dient damit einem Grundinteresse des Kapitals! So verrät sie ihre Wähler, die glauben, daß die Linke den „kleinen Leuten“ dient.

- Können Sie mir diesen Widerspruch erklären ?
- Täuscht die Linke ihre Wähler in einer so grundsätzlichen Frage?
- Wie stehen Sie persönlich zu dieser Problematik?

Diese Frage wurde auch schon von Anderen und an andere Kanditaten der Linke gestellt, jedoch nie vernünftig und sachlich beantwortet. Statt einer Erklärung kamen Exkurse in die Nazizeit und zum Rassismus. Meine Frage hat nichts mit diesen Dingen zu tun!
Die „Reservearmee“ wird gleichermaßen von einem nationalistischem Rußlanddeutschen wie von einem kommunistischem Afrikaner aufgefüllt!

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Köhler,

Karl Marx hat die wirtschaftliche Situation seiner Zeit treffend und mit Scharfsinn beschrieben und eine Vielzahl von Analysen vorgenommen, die heute noch zutreffend sind. Dennoch konnte auch er nicht die Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie in all ihren Facetten beschreiben, die heute wirksam sind.
Für mich ist "Kapital" eine Kategorie zur Beschreibung von ökonomischen Prozessen, aber zu anonym für die Bewertung der Wirklichkeit. Es sind noch immer handelnde Personen, die in einem ökonomischen Prozess auftreten. In diesem Sinne hat immer noch die Gesellschaft die entscheidenden Prämissen für ihre ökonomische Basis zu setzen. In diesem Sinne vertritt DIE LINKE die Auffassung, dass Politik wieder das Primat vor der Wirtschaft hat und nicht umgekehrt. Das die Gesellschaft sich so entwickelt hat, wie wir sie heute erleben, ist kein "vom Himmel herunter gefallener Vorgang", sondern von Menschen gemacht, also können Menschen auch wieder über Politik in gesellschaftliche Prozesse eingreifen. Dass Wirtschaft ein dynamischer Prozess ist, der mit Umbau und Strukturveränderungen bei Produktivkräften und Produktionsverhältnissen vor sich geht, gilt für alle gesellschaftlichen Systeme in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Hauptfrage ist, wie stellt man sich diesen Veränderungsprozessen, wenn es um die Produktivkraft Mensch geht. Von einem "Überfluss an Ware Arbeitskraft" kann man derzeit kaum sprechen. Im Gegenteil, durch die HARTZ-Gesetzgebung ist insbesondere eine Entwertung von Arbeitskraft eingetreten, die sich in Langzeitarbeitslosigkeit widerspiegelt. Darüber hinaus hat sich gerade in Sachsen-Anhalt eine Situation herausgebildet, wo wir im Vergleich zu den neuen Bundesländern 104% an Arbeitsproduktivität erreicht (im Vergleich zu Deutschland insgesamt 83%), aber im Lohnniveau bei 97% liegen (im Vergleich zu Deutschland 75%). Das liegt weniger an "anonymen Kategorien", sondern im Handeln von Menschen begründet: Tarifkämpfe, Kampf um familienfreundliche Arbeitsbedingungen etc. Daher ist für DIE LINKE die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes eine zwingende Vorraussetzung, um die ökonomische Abwärtsspirale für einen nicht unerheblichen Teil der Gesellschaft zu beenden. Davon war bei Marx, so glaube ich, noch nicht die Rede. Also, der "Wert der Ware Arbeitskraft" wird unter den Bedingungen, unter denen wir derzeit leben, tatsächlich davon bestimmt, wie er mit Hilfe von Tarifvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bzw. gesetzlichen Vorgaben unter Einbeziehung der Tarifpartner geregelt ist.

Was die Zuwanderung betrifft, so möchte ich keine abgeschottete Welt mehr. Ich persönlich bin froh, dass Grenzen durchlässig geworden sind, auch wenn sich daraus vorerst scheinbar Nachteile ergeben. Gerade deshalb spricht sich DIE LINKE dafür aus, dass mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit Dumpinglöhne für in- und ausländische Arbeitskräfte von vornherein unterbunden werden. Für viele ausländische Arbeitskräfte ist übrigens Deutschland bereits aufgrund seiner Dumpinglohnstruktur kein "Wunschland Nummer 1" mehr. Zuwanderung wird unser grundsätzliches Problem für den künftigen Fachkräftebedarf nicht lösen. DIE LINKE in Sachsen-Anhalt ist deshalb angetreten, um beginnend im Kindergarten eine Chancengleichheit und solide Ausbildung für jedes Kind zu erreichen, die Rahmenbedingungen für ständige Aus- und Weiterbildung zu verbessern, Langzeitarbeitslosen durch sinnvolle Qualifizierung und öffentlich geförderte Beschäftigung wieder auf den Weg in Arbeit zu bringen. Das hat mit "Verrat von Interessen der kleinen Leute" oder "Täuschung" nichts zu tun. Für mich ist Engagement in der Politik so zu agieren, dass durch mein Zutun die "Welt jeden Tag ein bisschen besser zu machen". Wir leben im hier und heute, in einer Gesellschaft, die noch viele Veränderungen nötig hat. Diese Veränderungen einzuleiten ist auch meine Aufgabe als Politiker der LINKEN. Ich werde es nicht allein können, sondern wir müssen viele sein, auch aus anderen Parteien und Bewegungen. Auch Sie können mittun.

Soweit meine Antworten auf Ihre Fragen, bleiben Sie auch weiter neugierig in der Politik!

Ihr Dr. Frank Thiel