Frage an Franz-Josef Jung bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Franz-Josef Jung
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Frage an Franz-Josef Jung von Christoph B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Jung,

wiso hält die Bundesrepublik auch 18 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs an der sicherheitspolitisch völlig überholten Wehrpflicht fest? Eine Wehrpflicht dient primär dazu, im Fall eines Landkriegs schnell ein großes Heer zur Verfügung zu haben. Während des Kalten Kriegs mag dies ja noch sinnvoll gewesen sein, aber seit 1990 besteht diese Gefahr nicht mehr. Der oft hervorgebrachte Grund, dass durch die Wehrpflicht die Bundeswehr im steten Austausch mit der Bevölkerung stehe und die Bundeswehr von außen kontrolliert wird ist auch mehr als abwegig: 1. Frauen werden nicht zum "Dienen" gezwungen. 2. Ein Großteil eines männlichen Jahrgangs wird ausgemustert, wird zurückgestellt oder ganz "vergessen". 3. Die Verweigerungszahlen sind extrem hoch. 4. Die Wehrpflichtigen befinden sich in einem System von Befehl und Gehorsam auf der untersten Ebene. Wie sollen sie dort eine Kontrolle ausüben?

Weiterhin möchte ich auf die Totalverweigererproblematik eingehen: Wie kann es sein, dass Totalverweigerer teilweise 3 bis 4 Mal in Arrest genommen werden? Ein Arrest soll dazu dienen die Bereitschaft zum "Dienen" zu fördern. Bei sämtlichen Totalverweigerern liegt aber keinerlei Bereitschaft zum "Dienen" vor. Hier wird der Arrest zur rechtswidrigen Freiheitsstrafe. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Mit freundlichen Grüßen
Christoph Büttcher

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Sehr geehrter Herr Büttcher,

die Bundeswehr leistet einen unverzichtbaren Beitrag zu einer umfassend angelegten und aktiv gestalteten deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Deutschland stellt im Rahmen seiner sicherheitspolitischen Interessen in angemessenem Umfang Streitkräfte bereit, die schnell, wirksam, durchsetzungs- und durchhaltefähig zusammen mit Streitkräften anderer Nationen eingesetzt werden können.

Für Deutschland hat sich die allgemeine Wehrpflicht auch unter den wechselnden sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen uneingeschränkt bewährt. Mit ihrer Einführung vor über fünf Jahrzehnten hat sich eine Verteidigungs- und Streitkräftestruktur entwickelt, die mit einer intelligenten Kombination aus Berufs- und Zeitsoldatinnen/-soldaten, Grundwehrdienst Leistenden und freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst Leistenden sowie den Reservistinnen und Reservisten hohe Professionalität und gesellschaftliche Integration garantiert.

Grundwehrdienst Leistende und freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst Leistende bringen breite Kenntnisse und Fähigkeiten in die Streitkräfte ein. Durch sie bleibt die Bundeswehr in stetem Austausch mit der Gesellschaft, insbesondere jedoch mit der jungen Generation. Die wehrpflichtigen Mannschaften erfüllen in den Streitkräften ein vielfältiges Aufgabenspektrum, das auf breiten schulischen und beruflichen Qualifikationen aufbaut. Dies reduziert den Ausbildungsaufwand und trägt zur hohen personellen Qualität der Streitkräfte bei. Die Grundwehrdienst Leistenden nehmen dabei wichtige Aufgaben in allen militärischen Organisationsbereichen wahr.

Der Schutz Deutschlands und seiner Bürger ist ein Verfassungsauftrag. Ein wichtiges Kriterium für Wehrform und Umfang der Streitkräfte zur Erfüllung dieses Auftrages ist der sicherheitspolitische Bedarf. Dieser Bedarf resultiert aus mehr als einer tagespolitisch orientierten Lageeinschätzung. Unabhängig von aktuellen Entwicklungen hat der Staat eine langfristige und weitreichende Sicherheitsvorsorge für seine Bürger zu treffen.

Durch die Wehrpflicht verfügt die Bundeswehr über personelle Reserven, die sie im Spannungsfall oder, soweit die besonderen grundgesetzlichen Voraussetzungen hierzu vorliegen, zur Hilfeleistung im Katastrophenfall aktivieren kann. Dieses Personal stünde ohne die Wehrpflicht in diesem Umfang nicht zur Verfügung. Ein demokratischer, fürsorglicher Staat tut gut daran, für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Seine Bürger haben ein Recht darauf.

Es wird deshalb keine Veranlassung gesehen, die Wehrpflicht auszusetzen oder gar abzuschaffen. Dies gilt auch angesichts gegenteiliger Entscheidungen unserer europäischen Partner, die die Wehrpflicht in jüngster Zeit abgeschafft oder ausgesetzt haben. Die negativen Erfahrungen, die man dort als Folge dieser Entscheidung gemacht hat, sind zusätzliche Argumente für unsere Entscheidung zur Beibehaltung der Wehrpflicht.

Zu Ihren Fragen im Einzelnen:

1. Dass ausschließlich Männer zum Wehrdienst bzw. zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden können, steht zwar in einem inhaltlichen Spannungsverhältnis zu dem allgemeinen Verfassungsgrundsatz, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden darf (Artikel 3 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes = GG). Jedoch haben sämtliche Vorschriften des Grundgesetzes den gleichen verfassungsrechtlichen Rang, so dass der Verfassungsgeber in der Verfassung selbst eine Ausnahmeregelung von dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 GG schaffen kann. Was die Verfassung selbst als Ausnahme vom Grundsatz der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zulässt, ist verfassungsgemäß.

2. Die Regelungen zur Tauglichkeit sind im Hinblick auf eine qualitativ gute personelle Bedarfsdeckung der Streitkräfte sachgerecht getroffen worden und werden adäquat umgesetzt. Sie gewährleisten eine nachvollziehbare und faire Auswahl der zum Grundwehrdienst heranzuziehenden jungen Männer. Weder beruhen sie auf willkürlichen Erwägungen noch führen sie zu willkürlichen Ergebnissen. Eine Absenkung der gesundheitlichen Anforderungen an die Wehrpflichtigen würde aufgrund der Einsatzorientierung der Streitkräfte zu gravierenden Abstrichen bei der Aufgabenerfüllung führen.

In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder behauptet, dass bei weitem nicht alle jungen Männer zum Grundwehrdienst oder einen auf diesen anrechenbaren sonstigen Dienst herangezogen würden und Wehrgerechtigkeit deshalb nicht mehr gewährleistet sei.

In diesen Diskussionen wird regelmäßig unterstellt, dass ein bestimmter - hoher - Prozentsatz junger Männer aus jedem Geburtsjahrgang einberufen werden müsse, um Wehrgerechtigkeit sicher zu stellen. Dies trifft jedoch nicht zu. Wehrgerechtigkeit orientiert sich gerade nicht an der Stärke eines Geburtsjahrgangs, sondern ausschließlich an der Zahl der tatsächlich für den Wehrdienst verfügbaren Wehrpflichtigen.

Diese ist erheblich geringer als die jeweilige Jahrgangsstärke. Für die Ableistung des Grundwehrdienstes stehen neben den nicht wehrdienstfähigen Wehrpflichtigen auch diejenigen nicht zur Verfügung, denen eine gesetzliche Wehrdienstausnahme zur Seite steht. Anerkannte Kriegsdienstverweigerer leisten statt des Wehrdienstes Zivildienst sowie verschiedene andere Dienste - insbesondere bei der Polizei und beim Katastrophenschutz -- und ersetzen den Wehrdienst gleichwertig.

Objektiv ist Wehrgerechtigkeit somit ausschließlich an dem Anteil der Wehrpflichtigen zu bemessen, der - trotz entsprechender Verfügbarkeit - keinen Wehrdienst geleistet hat. Diesbezüglich ist festzustellen, dass heute wie auch künftig der weitaus überwiegende Teil aller verfügbaren jungen Männer zum Wehrdienst herangezogen wird.

3. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland stellt sicher, dass niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf. Das Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Zahl der anerkannten Kriegsdienstverweigerer ist weder vorhersehbar noch für die Bundeswehr planbar. Es handelt sich um vom Gewissen getragene Entscheidungen, die zu akzeptieren sind. Als Folge einer Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ist ein Ersatzdienst (von gleicher Länge wie der Wehrdienst) zu leisten.

4. Die Bundeswehr untersteht im Frieden dem Bundesminister der Verteidigung, im Verteidigungsfall der Bundeskanzlerin, einem Angehörigen der vom Deutschen Bundestag getragenen Bundesregierung. Dadurch wird das Primat der Politik, das heißt der Vorrang politischer vor militärischen Überlegungen bei allen Entscheidungen sichergestellt.

Da die Bundeswehr Teil der Exekutive des Bundes ist, hat der Bundestag bedeutende Kontrollrechte. Deshalb wird die Bundeswehr als eine Parlamentsarmee bezeichnet. Das Parlament verfügt über Kontrollinstrumente gegenüber der Bundeswehr mit erheblich weiter gehenden Rechten, als es sie für andere Bereiche der Exekutive des Bundes gibt, wie etwa der Bundespolizei oder der Finanzverwaltung. Es handelt sich dabei z.B. um die besonderen Rechte des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuss und den Wehr­beauftragten des Deutschen Bundestages. Jede Eingabe eines Wehrpflichtigen an den Wehr­beauftragten des Deutschen Bundestages muss vom Bundesministerium der Vertei­digung bearbeitet und beantwortet werden.

Als "Totalverweigerer" bezeichnet man diejenigen, die sowohl den Wehrdienst als auch den als Ersatzdienst geltenden Zivildienst verweigern. Ein gesetzlich anerkanntes Recht auf "Totalverweigerung" besteht nicht. Es steht nach dem Grundgesetz und dem Kriegs­dienstverweigerungsgesetz jedem Wehrpflichtigen frei, einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu stellen, wenn sein Gewissen ihm eine Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen verbietet. Wird er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt, leistet er grundsätzlich Zivildienst. Hier hat er die Möglichkeit, sich selbst eine Stelle zu suchen, die seinen Neigungen entgegen kommt und keinen unmittelbaren Gewissenskonflikt verursacht.

Verzichtet ein Wehrpflichtiger auf die Antragstellung oder wird sein Antrag abgelehnt, erfolgt eine Einberufung zum Grundwehrdienst mit der Folge, dass er zum im Einberufungsbescheid festgesetzten Termin Soldat wird und damit allen Rechten und Pflichten dieses Dienstverhältnisses unterliegt. Dazu gehört in erster Linie die Pflicht, Dienst zu leisten und den erteilten Befehlen Folge zu leisten. Kommt er diesen Pflichten nicht nach, begeht er ein Dienstvergehen. Darauf haben die Disziplinarvorgesetzten nach den Bestimmungen der Wehrdisziplinarordnung (WDO) zu reagieren.

Eine von der WDO vorgesehene Disziplinarmaßnahme ist der Disziplinararrest, der allerdings einer richterlichen Zustimmung unterliegt, d.h. der Disziplinarvorgesetzte stellt beim zuständigen Truppendienstgericht einen Antrag auf Verhängung von Disziplinararrest, dem der zuständige Truppendienstrichter zustimmen muss. Dies wird er nur dann tun, wenn er die Maßnahme für zulässig und angebracht hält. Die Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme ist daher zu verneinen, weil der Truppendienstrichter in den von Ihnen geschilderten Fällen - keine Bereitschaft mehr zum "Dienen" - die Arrestzustimmung verweigern wird. Ob und wann der Disziplinarvorgesetzte bzw. der Truppendienstrichter den jeweiligen Soldaten im Hinblick auf die Erfüllung der soldatischen Pflichten mit sicherer Überzeugung für nicht mehr erziehbar hält, obliegt der Einzelfallbeurteilung. Daher kann es durchaus zur Verhängung und Vollstreckung mehrerer Disziplinararreste kommen, die aber durch den zustimmenden Truppendienstrichter jeweils auf ihre Zulässigkeit und Angemessenheit hin geprüft werden.

Würde bei Wehrpflichtigen, die sich selbst als "Totalverweigerer" bezeichnen, von der Einberufung zum Grundwehrdienst bzw. von der Verhängung von Arresten abgesehen, hätte es jeder Wehrpflichtige selbst in der Hand, sich durch die vorherige Abgabe einer solchen Erklärung einseitig vom Dienst sowie den damit verbundenen Pflichten loszusagen und - im Falle einer Einberufung - faktisch dafür lediglich eine in der Regel nicht sehr hohe Geldstrafe zu entrichten. Dies widerspricht der geltenden Rechtslage.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Franz Josef Jung