Frage an Franz Thönnes bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Franz Thönnes
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Frage an Franz Thönnes von Jürgen F. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Im Gegensatz zur sog. öffentlichen Meinung sind nicht die Löhne (und Nebenkosten) zu hoch, sondern die Binnennachfrage in Deutschland fehlt, um die Wirtschaft zu beleben und damit Arbeitsplätze zu schaffen (bzw. zu sichern).

Welche Vorstellungen haben Sie, um die Kaufkraft jener zu stärken, die zurzeit zu wenig Geld haben?

Wie würde sich eine Abschaffung der Tarifautonomie auswirken?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Fürhoff,

am 11. September 2005 hatten Sie sich über www.kandidatenwatch.de mit 2 Fragen an mich gewandt.

Zur Stärkung der Kaufkraft haben wir insbesondere durch unsere Steuerpolitik bei­getragen.
Seit der Regierungsübernahme im Jahr 1998 hat die Regierungskoalition in der Steuerpolitik viel bewirkt. Sie hat sowohl die Angebotsbedingungen für die Unternehmen verbessert als auch die Nachfrage durch die Verbraucher gestärkt. Mit dem größten Steuersenkungspro­gramm der Geschichte wurden Unternehmen und Private um 59 Milliarden Euro entlastet. Ohne diese massiven Steuerentlastungen wären die Folgen der seit dem Jahr 2001 weltweit zu beklagenden wirtschaftlichen Eintrübung noch drastischer gewesen, die Arbeitslosigkeit vermutlich noch höher und die Schwäche der Binnennachfrage noch größer als heute.

Weitere Steuerentlastungen können sich die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen aber nicht mehr leisten. Die *Steuerquote *ist mit 20,34 % im Jahr 2004 mittlerweile *so nied­rig wie nie zuvor in Deutschland*. Über Jahrzehnte hinweg hat der Staat seine Aufgaben mit einer höheren Steuerquote finanziert. Deshalb ist auch klar: Weitere Reformen in der Steuerpolitik müssen für die Haushalte aufkommensneutral realisiert werden, denn nur Rei­che können sich einen armen Staat leisten.

*Steuerliche Entlastung für Familien mit Kindern*

* *Steuerfreiheit*: Seit 2005 zahlen vierköpfige Familien unter Berücksichtigung des Kin­dergelds erst dann Steuern, wenn sie ein höheres Bruttoeinkommen als 37.540 Euro erzielen.
* *Kindergeld*: Innerhalb von drei Jahren wurde das Kindergeld um je 41,50 Euro er­höht. Es betrug 1998 noch 220 DM, wurde dann auf 270 DM und zuletzt 2002 auf 154 Euro (301,20 DM) angehoben. Das ist eine Steigerung von fast 37 %.
* *Kinderfreibeträge: *Der Kinderfreibetrag wurde seit 1998 zweimal erhöht und seit 2002 beträgt er 3.648 Euro. Mit den gleichzeitig in diesem Jahr neu eingeführten Freibeträgen* *für Betreuung, Erziehung und Ausbildung in Höhe von 2.160 Euro be­trägt der Kinderfreibetrag pro Kind damit 5.808 Euro.
* *Vereinbarkeit von Familie und Beruf: *Für erwerbsbedingte Betreuungskosten wurde ein* *Freibetrag* *bis zur Höhe von 1.500 Euro für Kinder unter 14 Jahren einge­führt. Er wird gewährt, wenn die Eltern (beide) berufstätig sind und die nachgewiese­nen Kosten 1.546 Euro (Anteil Betreuung am Kinderfreibetrag) übersteigen.
* *Entlastungsbetrag für allein Erziehende: *Allein Erziehende erhalten seit 2004 ei­nen Entlastungsfreibetrag* *von 1.308 Euro jährlich. Dieser Freibetrag ersetzt den frü­heren Haushaltsfreibetrag, der nach Meinung des Verfassungsgerichts verheiratete Eltern im Vergleich zu allein Erziehenden benachteiligt hatte.

*Steuerliche Entlastung für Arbeitnehmer und Unternehmer*

Durch die Steuerreform 2000 zahlen die Steuerzahler heute, die Entlastungen durch das Steuerentlastungsgesetz eingerechnet, unter dem Strich jährlich fast 60 Milliarden Euro we­niger als 1998. Familien, Arbeitnehmer und mittelständische Wirtschaft sind die Hauptgewin­ner der Reform: 47,3 Milliarden Euro des gesamten Entlastungsvolumens kommen privaten Haushalten und 17 Milliarden Euro dem Mittelstand zugute.

Im *internationalen Vergleich *liegt Deutschland sowohl beim Eingangssteuersatz als auch beim Spitzensteuersatz im vorderen bzw. mittleren Bereich (EU- und große Industrieländer) und hat damit seine Position seit 1998 erheblich verbessert.

*Steuerliche Eckdaten:*

* Grundfreibetrag: 7.664 Euro (1998: 6.322 Euro)
* Eingangssteuersatz: 15 % (1998: 25,9 %)
* Spitzensteuersatz: 42 % (1998: 53 %)

*Reform der Unternehmensbesteuerung*

* Der Körperschaftsteuersatz* *betrug 1998 noch 40 % für im Unternehmen belassene Ge­winne und 30 % für ausgeschüttete Gewinne. Seit 2001 beträgt er für einbehal­tene und ausgeschüttete Gewinne einheitlich 25 %.
* Die Steuerbelastungen für mittelständische Personenunternehmen sind im Jahr 2005 im Vergleich zu 1998 erheblich gesunken. Zum Beispiel durch die Senkung des Höchststeuersatzes von 53 % auf 42 % sowie durch die faktische Freistellung von der Gewerbesteuer, die im Ergebnis nur noch Kapitalgesellschaften zahlen müssen.
* Mit dem Systemwechsel bei der Unternehmensbesteuerung im Jahr 2001 ist an Stelle des Vollanrechnungsverfahren das Halbeinkünfteverfahren getreten. Dieses Verfahren sieht eine Definitivbesteuerung auf der Ebene der Kapitalgesellschaft vor und auf der Ebene des Anteileigners eine hälftige Besteuerung der ausgeschütteten Dividenden. Dieser von der Union bekämpfte Systemwechsel hat die öffentlichen Haushalte vor Steuerrückzahlungen in Milliardenhöhe bewahrt, denn mittlerweile hat der Europäische Gerichtshof das ehemalige Vollanrechnungsverfahren als rechtswid­rig verworfen.

*Mehr Steuergerechtigkeit*

Uns geht es in der Steuerpolitik nicht allein um niedrige Steuersätze. Es geht auch um mehr Steuergerechtigkeit. Es geht darum, Subventionen und steuerliche Vergünstigungen, abzu­bauen. Es geht darum, das Steuersystem einfacher und auch verständlicher zu machen. Diese Politik der Modernisierung und der strukturellen Erneuerung werden wir konsequent fortsetzen.

Die Abschaffung der *Tarifautonomie* lehnen wir ab. <> Die Tarifautonomie hat sich in Deutschland aus gesellschaftlicher, sozialer und ökonomi­scher Sicht bewährt. Die Tarifautonomie ist Verfassungsrecht. Tarifverträge sorgen dafür, dass die Beschäftigten an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben (Verteilungsfunktion) und ermöglichen ihnen eine Beteiligung an der Regelung ihrer Arbeitsbedingungen (Gestal­tungsfunktion).

Tarifverträge nützen den Arbeitgebern: Sie schaffen einheitliche Wettbewerbsbedingungen (Kartellfunktion) und sorgen während ihrer Laufzeit für Planungssicherheit. In dieser Zeit darf nicht gestreikt werden (Friedens- und Ordnungsfunktion). Verbands- und Flächentarifver­träge halten zudem den Konflikt um Löhne und Arbeitszeiten von den Betrieben fern, indem sie auf die Verbände verlagert werden (Koordinierungsfunktion). Faktisch kommen über 70 Prozent der Beschäftigten in den Genuss tariflich geregelter Abeitsbedingungen.

Was tarifvertraglich gesichert ist, kann nicht abweichend - etwa durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung - geregelt werden. Der Tarifvorrang ist in § 77 Abs. 3 Betriebsverfas­sungsgesetz (TVG) verankert. Eine Abweichung ist nach dem Tarifvertragsgesetz nur dann zulässig, wenn es der Tarifvertrag ausdrücklich gestattet oder wenn es für den Arbeitnehmer günstiger ist (so genanntes Günstigkeitsprinzip in § 4 Abs. 3 TVG). Und nur wenn sich die Tarifparteien darüber einig sind, können betriebliche Vereinbarungen wirksam werden, die darauf zielen, tarifliche Leistungen zu kürzen oder auf sie ganz zu verzichten (§ 4 Abs. 4 TVG).

Der starre Flächentarifvertrag existiert nicht: 2004 gab es rund 61.800 gültige Tarifverträge. Dezentraler, flexibler und offener für die jeweilige betriebliche Situation - so lautet der Tarif­trend seit etwa zwei Jahrzehnten. Früher wurden überwiegend Härtefallklauseln vereinbart, die vor allen Dingen zur Rettung von Betrieben in wirtschaftlicher Not gedacht waren. Heute können neuere Öffnungsklauseln auch angewandt werden zur Verbesserung der Wettbe­werbsfähigkeit und der Innovationsfähigkeit.

Differenzierungen in Tarifverträgen gibt es schon lange: Für bestimmte Beschäftigtengrup­pen, Betriebe oder Teilbranchen werden unterschiedliche Tarifstandards etabliert. Beispiel: tariflichen Regelungen zu variablen Arbeitszeiten. Arbeitgeber und Gewerkschaften haben bereits hunderte Öffnungsklauseln vereinbart. Danach können Betriebe von den einheitlichen und verbindlichen Standards der Flächentarifverträge abweichen. *Wichtig:* bei den Öff­nungsklauseln gilt der Flächentarifvertrag als „Benchmark“.

Öffnungsklauseln* *lassen - zeitlich begrenzt - in vielen Fällen Tarifabsenkungen zu. Die An­passungsmöglichkeiten der Betriebe sind groß. Die Anwendung von Öffnungsklauseln ist von der Zustimmung der Tarifvertragsparteien abhängig. Allgemeine Öffnungsklauseln* *sind nicht auf bestimmte inhaltliche Regelungsbereiche beschränkt.

- In der Chemischen Industrie besteht die Möglichkeit, das 13. Monatseinkommen bei tief greifenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kürzen.

- Im Baugewerbe Ost können die tariflichen Vergütungen um bis zu zehn Prozent sin­ken - zur Sicherung der Beschäftigung.

- In der Metall- und Elektroindustrie ermöglicht der so genannte „Pforzheimer Ab­schluss“ den Tarifvertragsparteien nach gemeinsamer Prüfung mit den Betriebsparteien, befristet von tariflichen Mindestansprüchen abzuweichen.

CDU/CSU und FDP wollen das tarifrechtliche Günstigkeitsprinzip aufweichen und den Tarif­vorrang abschaffen. Tarifverträge sollen nur noch einen unverbindlichen Rahmen abgeben. Ob sie eingehalten werden oder nicht, das soll der Arbeitgeber mit der Belegschaft oder mit dem Betriebsrat ausmachen. 3

*CDU/CSU: *

1. im BetrVG soll ein neuer § 88a „Betriebliche Bündnisse für Arbeit“ eingefügt werden. Demnach könnte der Betriebsrat oder ein von den Beschäftigten Beauftragter mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung für Beschäftigung treffen und dabei von einem für das Unternehmen geltenden Tarifvertrag abweichen. Die Vereinbarung wäre wirksam, wenn mindestens zwei Drittel der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zustimmen und die Vereinbarung jeder Tarifvertragspartei angezeigt wurde.

2. Im Tarifvertragsgesetz (TVG) soll das Günstigkeitsprinzip verändert werden. So könnte z. B. festgelegt werden, dass Arbeitslose künftig während der Probezeit 10 % unter Tarif bezahlt werden können sowie eine untertarifliche Entlohnung für Langzeitarbeitslose bis zu einem Jahr möglich ist.

*FDP:*

1. das Günstigkeitsprinzip in § 4 Abs. 3 TVG ist so zu ergänzen, dass Lohnverzicht und längere Arbeitzeiten, die zu Erhalt oder Schaffung eines Arbeitsplatzes beitragen, als „günstiger“ eingestuft werden, wenn der Betriebsrat oder 75 % der Beschäftigten zu­stimmen.

2. Betriebliche Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Belegschaftsvertretung sollen nach Zustimmung von 75 % der abstimmenden Belegschaft möglich werden und nach Willen der FDP in § 77 Abs. 3 BetrVG verankert werden.

3. Die Nachwirkung von Tarifverträgen soll einschränkt werden: Entgelttarifverträge wir­ken demnach maximal ein halbes Jahr nach, Manteltarifverträge maximal ein Jahr ab Verbandsaustritt des Arbeitgebers.

4. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVG soll abgeschafft
werden.

*_Konsequenzen:_*

Solidarische Tarifpolitik wäre am Ende, Lohndumping die Folge. Betriebsräte und Beleg­schaften würden in Hinblick auf den Verzicht von tariflichen Rechten erpressbar: In der Regel wird der Arbeitgeber einen Vorschlag machen, dem zwei Drittel der Belegschaft in der Hoff­nung auf Sicherung ihres Arbeitsplatzes zustimmen. Da Betriebsräte weder streiken dürfen noch die Möglichkeit haben, wirtschaftlichen Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, wäre die vermeintliche „Aufwertung der betrieblichen Ebene“ ein faules Geschäft. Spannungen und Konflikte würden die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Manage­ment verschlechtern. Gewerkschaften und Betriebsräte würden gegeneinander ausgespielt. Insgesamt würde die bislang im deutschen Arbeitsrecht vorgesehene klare Trennung von Tarif- und Betriebsverfassungsgesetz aufgegeben.

Eine schwarzgelbe Regierung will Flächentarifverträge zu unverbindlichen Gebrauchsmus­tern degradieren und die gemeinschaftliche Vertretung von Arbeitnehmerinteressen erheb­lich einschränken. Die Vorschläge von Union und FDP zielen eindeutig auf eine Stärkung der Kapitalseite zu Lasten der Arbeitnehmer/innen.

*Deshalb will die SPD-Bundestagsfraktion:*

- Stärkung und uneingeschränkte Sicherung der Tarifautonomie**

- Verantwortlich für die Tarifhoheit bleiben die Gewerkschaften, keine Spaltung von Betriebsräten und Gewerkschaften

- Nutzung der bestehenden Flexibilität des Tarifsystems

Mit freundlichen Grüßen

Franz Thönnes