Frage an Fritz Kuhn bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Fritz Kuhn
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Hans-Rudolf R. •

Frage an Fritz Kuhn von Hans-Rudolf R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kuhn,

mich regt schon seit längerem der Begriff "Fraktionszwang" auf.

Wenn durch die Partei, im Rahmen des Fraktionszwanges, ein so erheblicher Druck auf Abgeordnete ausgeübt werden kann, dass sogar schon mit einem Parteiausschlußverfahren gedroht wird, wenn man nicht im Sinne der Fraktion abstimmt, so ist das meiner Ansicht nach gegen das Grundgesetz. Wo bleibt denn da die Unabhängigkeit der Abgeordneten ?

Im Umkehrschluß kann ich dann auch ketzerisch behaupten - wir sparen uns den Bundestag und lassen nur die Fraktionsvorsitzenden abstimmen. Dies würde uns - dem Volk - viel Geld sparen.

Ist der Fraktionszwang grundgesetzwidrig ?

Mich würde Ihre Meinung dazu interessieren.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Rudolf Reinecke, Dipl.-Ing.

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Reinecke,

der sogenannte Fraktionszwang ist nicht grundgesetzwidrig. Er ist ein freiwilliges agreement zwischen Abgeordneten, die sich zu einer Fraktion zusammenschließen, um für das, wofür sie von ihrer Partei angestellt wurden, wofür sie gewählt wurden und wofür sie sich im Parlament einsetzen wollen, besser kämpfen zu können als Einzelne dies je könnten. Jede und jeder Abgeordnete entscheidet für sich, sich einer Fraktion anzuschließen. Und ebenso frei ist die Entscheidung der Abgeordneten im Einzelfall möglich, ob man einer Mehrheitsentscheidung seiner Fraktion folgt oder seine davon abweichende persönliche Haltung höher wertet und anders abstimmt. Aber
so wie der Fraktionszusammenschluss einzelnen Abgeordneten Rückhalt bietet und überhaupt erst größeren Einfluss und Machtpositionen wie beispielsweise einen Ausschusssitz oder -vorsitz eröffnet, so steht jedes Mitglied einer Fraktion auch in der Pflicht gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, den Zusammenhalt und die Durchschlagskraft der eigenen Fraktion zu gewährleisten. Daher kann und muss eine Fraktion das Recht von Sanktionen haben und am Ende auch als letztes Mittel Leute ausschließen können, wenn die gemeinsamen Schnittmengen in zentralen politischen Fragen oder das Vertrauensverhältnis nicht mehr gegeben sind, oder die Fraktion sich durch das persönliche Verhalten einer einzelnen Person zu sehr geschädigt sieht. Dies grundsätzlich zur Frage Fraktionszwang.
In der Praxis kommt es auch auf den Umgang damit an. Wir haben in unserer Fraktion schon mehrfach von der Fraktionsmehrheit abweichende Voten von Abgeordneten gehabt, ohne dass unsere Fraktion daraufhin jemand ausgeschlossen hat. Es ist eben immer auch die Frage, wie man miteinander den Konflikt führt, wie gut abweichende Voten begründet werden können und wie groß das Verständnis und die Toleranz gegenüber der jeweils anderen Position vorhanden sind. Was die Frage der Drohung eines Parteiausschlusses betrifft, so gilt es meines Erachtens ähnlich. Wer über die Macht des Zusammenschlusses Gleichgesinnter ein Mandat in einem Parlament erwirbt, steht damit auch in einer gewissen Pflicht der Loyalität gegenüber dieser Partei. Verletzt er diese wesentlich, verhält sich grob parteischädigend, dann muss eine Organisation wie eine Partei auch das Recht haben, sich von einem Mitglied zu trennen. Auch dies als letztes Mittel in einem fairen, transparenten Verfahren vor einem Parteischiedsgericht und nicht willkürlich. Womit die Partei im Falle des Ausschlusses allerdings nicht rechtlich einfordern kann, dass die Person ihr Mandat zurückgibt. Da kann sie nur an die moralische Integrität der Person appellieren. Im Übrigen ist eine solche Drohung des Parteiausschlusses leicht mal von Einzelpersonen oder Gruppen in die Welt gesetzt, ob die Partei als Ganze dem folgt, ist doch eher sehr sehr selten der Fall. Ich kenne niemand, der sich von so etwas leicht ins Bockshorn jagen lässt.

Mit freundlichem Gruß,

Fritz Kuhn