Frage an Gerhard Schick bezüglich Finanzen

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Gerhard Schick
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Frage an Gerhard Schick von Alexander Z. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Dr. Schick,

wie bewerten Sie den ESM-Vertrag? Insbesondere interessiert mich Ihre Einschätzung zu folgenden Artikeln des Vertrages:

Art. 9, Ziff. 3: … Die ESM-Mitglieder sagen hiermit unwiderruflich und bedingungslos zu, bei
Anforderung jeglichem gemäß vorliegendem Absatz durch den Geschäftsführenden Direktor
an sie gerichteten Kapitalabruf binnen 7 (sieben) Tagen nach Erhalt dieser Anforderung
nachzukommen.

Art. 10, Ziff. 1: … Er kann die Änderung des Grundkapitals beschließen und Artikel 8 und Anlage 2 entsprechend ändern. …

Art. 17, Ziff. 1 & 2: … Der ESM ist ermächtigt, zur Erfüllung seiner Aufgaben auf den Kapitalmärkten Kredite von Banken, Finanzinstituten oder sonstigen Personen oder Einrichtungen aufzunehmen. Die Modalitäten der Kreditaufnahmen werden vom Geschäftsführenden Direktor im
Einklang mit den die Einzelheiten regelnden, vom Direktorium zu verabschiedenden
Leitlinien bestimmt.

Artikel 27 (vollständig), der den ESM, seine Räumlichkeiten, Archive sowie seine Mitglieder der jurisdiktion entzieht und vollständig Immunität gewährt.

Dazu folgende weitergehende Fragen:

- kommt dieser Vertrag nicht letztlich der Abschaffung jeglicher fiskalischer Souveränität aller EURO-Staaten gleich (vgl. Art. 8, 9, 10)?
- schafft dieser Vertrag nicht letztlich ein nicht demokratisch bestimmtes, legitimiertes oder kontrolliertes Gremium?
- kommt dieser Vertrag nicht der Abschaffung des Sourveräns gleich, bei gleichzeitigem Zugriff auf Steuern in unbestimmter Höhe durch den ESM (vgl. Art. 10)?
- wie schätzen Sie ein, wie Bürger vertrauen in eine Währung bekommen sollen, wenn es eines Gremium bedarf, dass über Steuergeld frei verfügen kann, auf welches wir als Volk aber _genau_ keine Einfluss haben?

Beabsichtigen Sie, diesem Vertrag zuzustimmen?

mfg, A. Zschach

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Zschach,

vielen Dank für Ihre Fragen, die ich wie folgt beantworten möchte:

Sie äußern Bedenken, dass Deutschland seine Souveränität verliere. Diese Bedenken sind unbegründet: Der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) bedeutet keine Übertragung von nationalen Haushaltsrechten an Brüssel. Der ESM stellt Kredite für Staaten zur Verfügung, die Schwierigkeiten haben, am Kapitalmarkt Geld zu bekommen. Dabei ist die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag, und sie kann nicht überschritten werden.

Ferner sind Sie besorgt, dass der ESM-Vertrag ein "nicht demokratisch bestimmtes, legitimiertes oder kontrolliertes Gremium" (...) "bei gleichzeitigem Zugriff auf Steuern in unbestimmter Höhe" (vgl. hierzu auch Ihre Verweise auf Art. 9, 10 und 17 des ESM-Vertrages) schaffe.

Auch diese Sorgen sind unbegründet:

Einer Ausweitung des ESM müssten alle 17 Euro-Staaten einstimmig zustimmen. In Deutschland geht das nicht ohne eine Beteiligung des Bundestags. Wie bei der EFSF (dem derzeitigen Euro-Rettungsschirm) gilt: ohne Zustimmung des Bundestages keine Erhöhung.

Auch das von ihnen genannte Gremium - der Gouverneursrat und seine Gouverneure (die Finanzminister der Euro-Zone) - agiert nicht im rechtsfreien, nicht-legitimierten und unkontrollierten Raum: Die von Ihnen zitierte Immunität der ESM-Gouverneure (Ihr Verweis auf Art. 27 des ESM-Vertrags) bezieht sich auf die amtlichen Handlungen der Gouverneure. Die Immunität erstreckt sich jedoch nicht auf strafbare Handlungen, die nichts mit Amtshandlungen zu tun haben. Zudem kann die Immunität aufgehoben werden. Und natürlich ist und bleibt der (demokratisch legitimierte) deutsche Bundesfinanzminister auch als Gouverneur im ESM dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit über die Bandbreite seines Handelns rechenschaftspflichtig - und damit auch über von ihm getroffene Entscheidungen und sein Handeln im ESM. Eine Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit ist also gewährleistet.

Es ist auch nicht richtig, dass es keine Klagemöglichkeiten geben wird: Die Vertragspartner (17 Eurostaaten) entscheiden Streitigkeiten innerhalb des Gouverneursrats (Euro-Finanzminister). Diesbezügliche Entscheidungen des Gouverneursrats können vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig gemacht werden. Das Urteil ist dieses Rechtsstreits ist verbindlich.

Ferner fragen Sie nach meinem Abstimmungsverhalten: Über den ESM-Vertrag selbst hat der Deutsche Bundestag noch nicht abgestimmt. Grundsätzlich ist es richtig, eine Art Europäischen Währungsfonds zu etablieren. Der ESM geht in diese Richtung, was ich unterstütze. Bisher, also im (alten) ESM-Vertrag war jedoch vorgesehen, dass künftig ein überschuldeter Staat erst dann Kredithilfen aus dem ESM bekommt, wenn die privaten Gläubiger (zum Beispiel Banken) beteiligt werden. Das ist richtig, denn wer Wertpapiere eines Landes kauft und Zinsen kassiert, muss auch das Risiko eines Ausfalls tragen. Auf ihrem letzten Gipfel vom Dezember haben die Staats- und Regierungschefs der Eurozone sich von diesem Prinzip der Gläubigerbeteiligung im Falle insolventer Staaten allerdings verabschiedet: entsprechende Passagen aus dem ESM-Vertrag sollen gestrichen werden. Damit werden auch künftig die Risiken für Staatsinsolvenzen beim Steuerzahler abgeladen, während die Chancen bei den Investoren bleiben. Auch sind eine Reihe weiterer Fragen beim ESM noch ungeklärt. Deshalb kann ich derzeit noch nicht sagen, ob ich einem überarbeiteten ESM-Vertrag meine Zustimmung geben werde oder nicht.

Ich hoffe, Ihre Fragen beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Gerhard Schick