Frage an Gerold Reichenbach bezüglich Wirtschaft

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Gerold Reichenbach
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Frage von Christina F. •

Frage an Gerold Reichenbach von Christina F. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Reichenbach,

ich habe Ihre Erklärung zu Ihrem Abstimmungsverhalten auf Ihrer Internetseite gelesen. Sie haben gegen den Fiskalpakt gestimmt, aber für die Regelungen zum ESM.

Deshalb die Frage:
Soll u. a. Deutschland die Haftung für das Wirtschaften anderer Euro-Länder übernehmen, ohne dass diese Länder kontrolliert werden können, z. B. mit Hilfe des Fiskalpaktes (gemeinsame Fiskalpolitik etc.)? Falls ja, warum?

Warum haben Sie dem ESM zugestimmt, obwohl dessen Inhalte durch die neuen Abkommen bereits Makulatur sind?

Weitere Fragen:
Wie können Sie sicherstellen, dass die ebenfalls von der SPD gewünschte und auch durchgesetzte Finanztransaktionssteuer nicht letztendlich vom Verbraucher, z. B. über erhöhte Bankgebühren gezahlt werden muss?

Was genau und für welche Länder wird der von der SPD geforderte Wachstumspakt etwas bringen, mit dem die Bundesregierung in Brüssel genötigt wurde, Zugeständnisse zu machen.

Mit freundlichen Grüßen
C. Fischer-Hart

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SPD

Sehr geehrte Frau Fischer-Hart,

vielen Dank für Ihr Schreiben, indem Sie mein Abstimmungsverhalten zu den aktuellen Maßnahmen zur Eurorettung thematisieren.

Sie fragen mich, weshalb ich dem ESM zugestimmt, gleichzeitig aber den Fiskalpakt abgelehnt habe.
Ich halte den ESM derzeit für einen wichtigen Mechanismus, um wieder Ruhe in die Eurozone zu bringen. Allerdings ist der ESM allein nicht ausreichend. Aus meiner Sicht ist es unerlässlich, dass endlich weitreichende Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte - auch über eine Finanztransaktionssteuer hinaus - getroffen werden, sonst sind die Staaten dauerhaft getriebene von Spekulanten und Bankiers. Solche Regulierungen müssen allerdings auf internationaler Ebene getroffen werden. Es ist längst überfällig, dass Frau Merkel ihren Einfluss auf die Länder der Eurozone dahingehend geltend macht, um so auch Druck auf die USA und andere Finanzzentren der Welt auszuüben. Deutschland allein wird hier nur wenig ausrichten können; Europa und insbesondere die Eurozone müssen hier mit einer Stimme sprechen, um zu Ländern wie den USA oder auch den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) ein Gegengewicht zu bilden. Allerdings scheint hier von Seiten der schwarz-gelben Bundesregierung bislang nur wenig Einsehen zu bestehen, dass zum einen die Verursacher der Krise an ihren Kosten beteiligt und Maßnahmen um solche Krisen in Zukunft zu vermeiden, getroffen werden müssen.

Die aktuelle Situation ist höchst komplex und es reicht bei weitem nicht, nur an den Baustellen der Liquidität der Staaten (ESM) und der Konsolidierung der Haushalte tätig zu sein. Insbesondere die Rolle der Finanzmärkte muss stärker ins Visier gerückt, aber natürlich auch strukturelle Defizite insbesondere in den Krisenländern herausgearbeitet und angegangen werden.

Der Fiskalpakt dient keiner Kontrolle, sondern schreibt eine reine Austeritätspolitik (Sparpolitik) vor. Schon der einfache Häuslebauer weiß, dass er nicht besonders gut beraten ist, das beschädigte Dach nicht zu decken, nur weil er dafür Schulden machen müsste. Es ist eine Tatsache, dass die Staaten die bisher zu massivem Sparen gezwungen wurden, nicht aus der Krise herauskommen, sondern immer tiefer ins Defizit reinrutschen, weil die Wirtschaft in eine Depression gespart wurde und die Steuereinnahmen massiv wegbrechen. Sinnvoll wäre eine Politik der Einnahmenerhöhung (Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Erhöhung der Steuersätze auf große Vermögen und eine aktive Binnenmarktstützungs- und Beschäftigungspolitik). Genau das hat die SPD in der Großen Koalition erfolgreich in der ersten Bankenkrise gemacht, mit dem Ergebnis, dass zwar kurzfristig die Verschuldung weiter gestiegen ist, wir jetzt aber massiv davon profitieren. Aufgrund der steigenden Steuereinnahmen könnte das Defizit drastisch reduziert werden, wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht ständig Klientelgeschenke verteilen würde (Betreuungsgeld, 50 Euro Zuschuss zur privaten Pflegeversicherung, Erhöhung der Preiszuschläge für Apotheker - letzteres Zahlen die Beitragszahler). Ein sinnvolles Gegensteuern, wie es die SPD in der Großen Koalition durch kurzfristige Ausgabenerhöhung durchgesetzt hat, ist unter dem Fiskalpakt nicht mehr möglich.

Sie fragen mich außerdem, warum ich dem ESM zugestimmt habe, obwohl dieser angesichts neuer Abkommen bereits Makulatur ist. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel das, was sie nachträglich noch in Brüssel vereinbart hat, einlösen will, muss sie nochmal in den Bundestag, weil diese Vereinbarungen- wie Sie schon richtig festgestellt haben - durch das jetzige ESM-Gesetz nicht abgedeckt sind. Sie müsste dann eine Änderung beantragen. Dafür wird sie meine Stimme nicht bekommen.

Darüberhinaus möchten Sie wissen, wie sichergestellt wird, dass die ebenfalls von der SPD gewünschte und auch durchgesetzte Finanztransaktionssteuer nicht letztendlich vom Verbraucher, z.B. über erhöhte Bankgebühren gezahlt werden muss.
Den Verbraucher trifft die Finanztransaktionssteuer nur insoweit er sehr in kurzen oder sehr kurzen (sogenannter Sekundenhandel) Abständen große Mengen an Aktien, Derivaten oder Kapital umschichtet. Die Bearbeitungsgebühren bei Bankgeschäften sind wesentlich höher. Die Steuer liegt bei 0,05% das heißt, sollte ein "normaler Arbeitnehmer" Anlagen im Wert von einer halben Million kaufen und verkaufen, dann würde er mit 250 Euro besteuert. Ich glaube, das kann dieser "normale Arbeitnehmer" verkraften.

Neben ESM, Fiskalpakt und Finanztransaktionssteuer thematisieren Sie auch den von der SPD geforderten Wachstumspakt. Mit dem Wachstumspakt soll im Wesentlichen die immens hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Italien Griechenland und Portugal bekämpft werden. Aber auch andere Länder können auf das Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit zurückgreifen. Der zweite Teil sind Investitionsprogramme für den Ausbau der Infrastruktur. Beides ist richtig und sinnvoll. Wenn nicht in die Jugend und die Infrastruktur investiert wird, dann haben die Staaten auch ökonomisch keine Zukunftsperspektive.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen, sehr geehrte Frau Fischer-Hart, Ihre Fragen beantworten und bedanke mich für Ihr Interesse an den aktuellen Problemen, vor denen Deutschland und die EU stehen.

Mit freundlichen Grüßen

Gerold Reichenbach, MdB