Frage an Hans-Christian Ströbele bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Portrait von Hans-Christian Ströbele
Hans-Christian Ströbele
Bündnis 90/Die Grünen
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Hans-Christian Ströbele zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Marc P. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Marc P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Herr Ströbele,

um meine Frage zu untermauern möchte ich ein paar Fakten zu den Taliban aufführen:

- Totale Diskriminierung anderer Glaubensrichtungen z.B. die Zerstörung deren Kulturgüter. Siehe dazu die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan

Link: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,121092,00.html

- Vollständiges Verbot für Frauen, außerhalb ihres Hauses zu arbeiten, welches auch auf Lehrerinnen, Ingenieurinnen und die meisten weiblichen Professionellen angewendet wird. Nur sehr wenigen Medizinerinnen und Krankenschwestern ist es erlaubt, in einigen Kabuler Krankenhäusern zu arbeiten.

- Vollständiges Verbot für Frauen, irgendeine Aktivität außerhalb ihres Hauses ohne Begleitung eines Mahram (naher männlicher Verwandter wie Vater, Bruder oder Ehemann) durchzuführen.

- Verbot für Frauen, sich von männlichen Ärzten behandeln zu lassen.

- Forderung an die Frauen, einen langen Schleier (Bubka) zu tragen, der sie vom Kopf bis zu den Zehen einhüllt. Auspeitschen, Schlagen und verbale Misshandlung von Frauen, die nicht in Einklang mit der talibanischen Kleiderordnung gekleidet sind oder nicht von einem Mahram begleitet werden.

- Verbot von öffentlichen Bädern für Frauen.

- usw

Link: http://www.rawa.org/rules_de.htm

Man könnte nun sagen, das wäre Vergangenheit, aber die Taliban habe sich ja nicht fundamental geändert:

- In Kundus wurde möglicherweise Giftgas gegen eine Mädchenschule eingesetzt

Link: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,691131,00.html

All diese Artikel zeigen, welches menschenverachtende Regime, die Taliban in ihrer Regierungszeit geführt haben. Leider ist es nicht auszuschließen, dass nachdem Rückzug der ISAF Kräfte die Taliban wieder an die Macht gelangen.

Daher meine Frage an Sie Herr Ströbele:

Wäre eine erneute Machtergreifung der Taliban, mit den möglichen oben skizzierten Folgen für Sie ein Preis, den man für den Rückzug der ISAF Kräfte bereit sein müsste zu zahlen?

Portrait von Hans-Christian Ströbele
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Pötsch.

Nach fast einem Jahr beantworte ich Ihre Frage vom 2.5. 2010 nochmal, obwohl mein PC angibt, daß ich bereits am 8.5. 2010 geantwortet hatte. Aber irgendwie scheint diese Antwort nicht angekommen zu sein.

Es stimmt, daß die Taliban vor dem Kriegsanfang 2001 ein ziemliches Schreckensregime in Afghanistan installiert hatten. Besonders die Frauen wurde in unglaublichem Ausmaß unterdrückt. Alles, was Sie anführen, hat wohl stattgefunden. Lediglich gegen die Beschädigung der Buddha-Figuren gab es internationale Proteste.
Das alles hatte aber die westlichen Staaten wie USA und Deutschland nicht davon abgehalten, gute Beziehungen zum Taliban-Regime zu unterhalten und die wirtschaftliche Zusammenarbeit auszubauen. Sogar eine Pipeline für Öl war in Planung. Schließlich hatte der US-Geheimdienst die Taliban im Kampf gegen die sowjetische Besatzung mit aufgebaut und unterstützt.

Selbstverständlich will auch ich das Mögliche tun, um eine Rückkehr dieser Schreckensherrschaft zu verhindern. Das erreichen wir aber nicht, indem wir den Krieg noch vier, zehn oder 20 Jahre weiterführen mit jährlich zehntausend Opfer an getöteten und verletzten Menschen und unendlichen Zerstörungen.
Hinzu kommt, daß auch im jetzigen Afghanistan unter der zutiefst korrupten Regierung Karsai die Unterdrückung der Frauen keineswegs beseitigt ist und die Scharia Gültigkeit behalten hat trotz Oberkommando der NATO und 140 000 Nato-Kampftruppen im Land. Über den erfreulichen Schulbesuch auch der meisten Mädchen ist nicht zu übersehen, daß in weiten Teilen des Landes, auch in den Städten, die meisten Frauen weiter nur unter der Burka in der Öffentlichkeit erscheinen und daß die hergebrachten Familienstrukturen weitgehend unangetastet geblieben sind.

Die Alternative ist nicht ein sofortiger Abzug aller Soldaten, sondern Waffenstillstand und Verhandlungen mit allen, die dazu bereit sind, auch um einen raschen verantwortlichen Abzug der ausländischen Truppen zu vereinbaren. Erste Einheiten sollten als Signal dafür, daß das Abzugsangebot ernst gemeint ist, unverzüglich das Land verlassen. Waffenstillstand hieße, daß das Töten und Verletzen auf beiden Seiten aufhört und nicht mit Bomben und Raketen aus der Luft, durch Scharfschützenkommandos und mittels Drohnen, aber auch nicht mit Überfällen und Selbstmordanschlägen weitergeht. Gewaltanwendung kommt nur noch aus Notwehr oder zur konkreten Nothilfe in Notsituationen für andere in Betracht.
Mit Aufständischen, auch Taliban, sind Verhandlungen und Vereinbarungen möglich. In den vergangen Jahren gab es immer wieder Waffenstillstandsvereinbarungen mit diesen für einzelne Täler oder Regionen, die nicht von Aufständischen zuerst gebrochen wurden. Es gibt schon bisher Vereinbarungen von NGOs mit Taliban, die eingehalten werden, etwa Mädchen den Besuch von Schulen zu gestatten und neu mit internationaler Hilfe gebaute Brunnen, Straßen, Wasser- und Brücken sowie Wasser- und Stromversorgung zuzulassen.

Zutreffend weisen Sie daraufhin, daß Taliban auch neugebaute Schulen angezündet haben, meist solche mit der US-Flagge davor. Aber es gibt eben auch die vorgenannten anderen Beispiele.

Nach 10 Jahren Krieg mit immer mehr Soldaten und immer schwererem Kriegsgerät, der den Afghanen nicht mehr Sicherheit und Wohlstand gebracht, sondern die Sicherheitslage in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert hat und in dem unzählige Menschen getötet und verletzt wurden, müssen neue Wege probiert werden.
Niemand kann sagen, ob es gut geht, aber man muß es doch wenigstens versuchen.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele