Wieso sperren sich SPD und CDU gegen die Verkleinerung des Bundestages?

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Helge Lindh
SPD
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Frage von Uwe G. •

Wieso sperren sich SPD und CDU gegen die Verkleinerung des Bundestages?

Sehr geehrter Herr Lindh,

Immer mehr Abgeordnete, mehr Büros, Mitarbeiter und Kosten. Aber bessere Politik und Ergebnisse gibt es nicht. Dafür wird immer mehr Geld für Experten und Gutachten ausgegeben. Wann wird die Quasselbude endlich verkleinert. Dafür müssen nur die Wahlkreise vergrößert werden und das Wahlrecht entsprechend geändert werden. Aber wenn es ums Geld geht, gibt es keine Parteigrenzen, da seid ihr euch alle einig. Alles auf Kosten der Steuerzahler.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr G.,

vielen Dank für Ihre Frage. Der Verunglimpfung der höchsten Institution unserer Demokratie als „Quasselbude“ möchte ich ausdrücklich widersprechen. Im deutschen Bundestag werden die zentralen gesellschaftlichen Debatten geführt, Gesetze beraten und beschlossen, der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin gewählt und die Regierung kontrolliert. Die SPD-Bundestagsfraktion will sicherstellen, dass der Bundestag diese Aufgaben auch in Zukunft optimal erfüllen kann. 

Das Gesetz sieht für den Bundestag eine Regelgröße von 598 Mandaten vor. Bei der kürzlich anstehenden Wahl könnten es nach dem bislang geltenden Bundestagswahlrecht wegen Überhang- und Ausgleichsmandaten weit über 800 Mandate werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hält jede weitere Vergrößerung des Parlaments für kontraproduktiv, denn diese bedeutet eine Herausforderung für die Kapazitäten und die Arbeitsfähigkeit des Bundestages. Daher war und ist eine weitgehende Reform notwendig – daran haben wir in den letzten Jahren intensiv gearbeitet. In der vergangenen Legislaturperiode konnten wir eine Gesetzesänderung zur Eindämmung der Parlamentsgröße erzielen, die ich Ihnen später etwas ausführlicher erläutern möchte. Die notwendige große Reform ist letztlich am Widerstand unseres Noch-Koalitionspartners CDU/CSU gescheitert. Diese wollen wir aber in der kommenden Legislaturperiode zur Not auch gegen den Widerstand der Union und mit den Stimmen der anderen demokratischen Fraktionen Bündnis 90/die Grünen, FDP und die Linke erzielen. Für die SPD bleibt ausschlaggebend, dass die Sitzverteilung im Bundestag dem Zweitstimmenergebnis und somit dem Willen der Wählerinnen und Wähler entsprechen. Momentan erzielen vor allem die CDU und CSU viele Überhangmandate, die nicht durch Zweitstimmen gedeckt sind.  

Im Übrigen möchte ich hinzufügen, dass die Materie entgegen Ihrer Darstellung hochkomplex und nicht mit „einfachen“ Schritten zu lösen ist. So ist zum Beispiel die von Ihnen angesprochene Vergrößerung der Wahlkreise nicht ohne Risiken. Der Deutsche Bundestag hat bereits eine Reduktion der Anzahl der Wahlkreise beschlossen. Wir können aber nicht pauschal eine Vergrößerung der Wahlkreise befürworten, ohne die dort lebende Bevölkerung im Blick zu behalten. Bereits jetzt vertreten viele Abgeordnete bis zu einigen Hunderttausend Personen. Es ist essentiell, dass die gewählten Volksvertreter*innen nah an der Bevölkerung und für die Anliegen und Probleme einzelner Bürger*innen immer ansprechbar bleiben. Sollten Wahlkreise pauschal größer zugeschnitten werden, so wird die Gruppe der zu vertretenden Bevölkerung noch heterogener, sodass kaum ein Volksvertreter oder eine Volksvertreterin die notwendige Bürger*innennähe ohne weiteres garantieren könnte. Ein Beispiel aus meiner Abgeordnetentätigkeit: Ich vertrete den Wahlkreis Wuppertal I und bin für mehr als 300.000 Bürger*innen aus meinem Wahlkreis direkt ansprechbar. Gerade in schwierigen Situation, wie etwa bei der Flutkatastrophe in diesem Sommer, ist es entscheidend, dass mich die Bürgerinnen und Bürger schnell erreichen können. 

Deshalb braucht es eine kluge Lösung bei der Reduktion der Wahlkreise, die zur nachhaltigen Verkleinerung des Bundestages führt, ohne dabei einzelne Abgeordnete an ihre Kapazitätsgrenzen zu bringen. Da sowohl die interfraktionelle Arbeitsgruppe unter Leitung von Bundestagspräsident Schäuble als auch die  intensiven koalitionsinternen Verhandlungen in dieser Legislaturperiode leider ohne Einigung verliefen, wurde das Thema im Sommer 2020 im Koalitionsausschuss behandelt. Die Ausgangslage war sehr schwierig, weil die Vorstellungen für eine sinnvolle und nachhaltige Reform so weit auseinanderliegen.

Kernpunkt unseres bereits im März letzten Jahres vorgelegten Vorschlages war, das Wahlrecht so auszugestalten, dass keine Partei einen einseitigen Vorteil oder Nachteil erleidet. Wir haben uns nachdrücklich für die Begrenzung auf maximal 690 Abgeordnete und für die Einführung der Geschlechterparität eingesetzt. Zusätzlich haben wir eine Wahlrechtskommission gefordert, die grundsätzliche Fragen einer Reform des personalisierten Verhältniswahlrechts beraten soll. Die Union hingegen wollte kurzfristig eine Reduzierung der Wahlkreise auf 280 Wahlkreise vornehmen und sich durch den Nicht-Ausgleich von Überhangmandaten jedenfalls aus derzeitiger Perspektive ihren eigenen Vorteil  sichern. Aus unserer Sicht effektiveren und notwendigen Maßnahmen hat sie sich verweigert. 

Obwohl die Positionen so weit auseinander lagen, war es uns wichtig, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. So haben wir uns im Koalitionsausschuss mit der CDU/CSU auf einen Kompromiss verständigt, der dann als Gesetzesentwurf der Koalitionsfraktionen in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde (Bundestagsdrucksache 19/22504, 19/23187) und Gegenstand einer Anhörung am 5. Oktober 2020 war. Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz  am 8. Oktober 2020  beschlossen.

Inhalt der nun beschlossenen Wahlrechtsreform sind im Wesentlichen vier Punkte, die der Bundestagsvergrößerung entgegenwirken werden und in zwei Schritten erfolgen. Ein bereits dämpfender Effekt für die Wahl 2021 wird zum einen dadurch bewirkt, dass eine Kompensation mit Ausgleichsmandaten erst ab drei Überhangmandaten einsetzt und zum anderen die Überhangmandate einer Partei in einem Bundesland teilweise mit ihren Listenmandaten in einem anderen Bundesland verrechnet werden. Bei der Bundestagswahl 2017 wäre mit diesem Vorgehen eine Absenkung der Gesamtsitze auf bis zu 682 Abgeordnete möglich gewesen (so eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages).

Mit Wirkung zum 1. Januar 2024 wird die Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280 vorgenommen. Die kleinere Zahl von Direktmandaten verkleinert den Bundestag nicht nur schon von sich aus, sondern wirkt auch dem Umstand entgegen, dass eine Partei mehr Direktmandate gewinnt als der Landesliste nach dem Zweitstimmenverhältnis zustehen.

Desweiteren wird eine Reformkommission eingesetzt, die sich über die allgemeinen Fragen zur Modernisierung des Wahlrechts hinaus auch mit uns besonders wichtigen Themen wie Parität und Wahlalter befassen und dazu bis zum 30. Juni 2023 Empfehlungen vorlegen wird. Hier erhoffen wir uns weitere Vorschläge, damit das Parlament wieder in Richtung der Regelgröße von 598 Abgeordneten zurückgeführt werden kann.

Bei diesem Ergebnis handelt es sich um einen Kompromiss. Darüber hinaus möchten wir, wie eingangs erwähnt, eine größere Reform bewirken und wir sind optimistisch, dass so einer weiteren Vergrößerung des Parlaments entgegengewirkt wird und der Bundestag Arbeits- und Handlungsfähigkeit bleibt.

Mit freundlichen Grüßen, 

Ihr Helge Lindh

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