Frage an Herbert Schulz bezüglich Bildung und Erziehung

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Herbert Schulz
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Frage von Anne P. •

Frage an Herbert Schulz von Anne P. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Schulz,

da eine gut gebildete Gesellschaft der Volkswirtschaft gut tut, interessieren mich folgende Bildungsthemen brennend, auch wenn ich selbst nicht mehr studiere. (Allerdings studiert mein Freund noch und erhält BAföG.)

- Wie stehen Sie persönlich zum Thema Studiengebühren?
a) für Bachelor-/Master-Studierende
b) für Langzeitstudierende
c) für Studierende mit Zweitstudium

- Wie stehen Sie zum Thema "Hochschulrat" mit Wirtschaftsvertretern, die über die Belange der Uni mitentscheiden?

- Wie sehen Sie die Zukunft der Gesamtschule, bzw. wie stehen Sie zur Gemeinschaftsschule?

- Was halten Sie vom Abitur in 12 Jahren?

Mir reichen knappe Antworten.
Vielen Dank und schöne Grüße

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Pohl,

ich bin mit Ihnen der Meinung, dass Bildung für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland der entscheidende "Rohstoff" ist. Umfassende Bildung für so viele Menschen wie möglich, das muss meiner Ansicht nach die generelle Zielstellung sein. Studiengebühren sind aber ein Instrument der sozialen Auslese. Deshalb lehne ich sie kategorisch ab. Gebührenfreiheit nicht nur für die Hochschulen, sondern für das gesamte Bildungswesen ist nicht nur für mich persönlich, sondern für DIE LINKE insgesamt ein programmatischer Grundwert.

Ich selbst war Anfang der 70er Jahre in der Hochschulpolitik aktiv, im FSR Soz/Pol, als Mitglied im Studentenparlament und im AStA der Uni Hamburg. Wir haben erfolgreich für die Demokratisierung der Hochschulen, für Studienreform und für die soziale Absicherung der Studierenden gekämpft. Die erste sozialliberale Koalition hatte damals Studiengebühren abgeschafft und das BAFöG eingeführt. Mehr Arbeiterkinder an die Universitäten, das war damals die Losung. Ich selbst komme aus einer Arbeiterfamilie, meine Frau ebenso, wir kamen beide über den zweiten Bildungsweg, und wir haben beide BAFöG in Anspruch genommen. Ich weiß nicht, wie unser Studium verlaufen wäre, wenn wir neben dem Studium hätten unseren Lebensunterhalt verdienen müssen. Hätte mir damals jemand prophezeit, dass in der Bundesrepublik eines Tages wieder Studiengebühren eingeführt werden, ich hätte ihn für verrückt erklärt.
Jetzt ist es so, dass Studierende, die Leistungen nach dem BAFöG beziehen, von der Gebührenpflicht nicht ausgenommen werden. Damit entsteht die groteske Situation, dass staatliche Transferleistungen des Bundes, die eigentlich der Studienfinanzierung von bedürftigen Studierenden dienen, von den Ländern zur Hochschulfinanzierung herangezogen werden. BAFöG-Studierende werden gezwungen, sich doppelt zu verschulden: einerseits zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts während des Studiums, andererseits zur Hochschulfinanzierung der Universitäten. Die eklatante Benachteiligung von Studierenden aus Arbeiterfamilien, die sich ihren Weg durch das Schulsystem erkämpft haben, liegt auf der Hand. Dass Studiengebühren für ausländische Studierende dramatische Auswirkungen haben, möchte ich ebenfalls noch erwähnen.

Ich kann Ihnen versprechen, dass die Abschaffung der Studiengebühren eine der ersten parlamentarischen Intiativen der Fraktion der LINKEN sein wird. Da die Beschlusslage bei SPD und GAL in dieser Frage ebenfalls klar ist, sollte die Abschaffung eigentlich kein Problem sein. Eigentlich. Die Studierenden jedenfalls haben einen Anspruch auf Rechtssicherheit in dieser Angelegenheit.
Für die anderen von Ihnen angesprochenen Probleme müssen adäquate Lösungen gefunden werden, Studiengebühren sind ganz sicher der falsche Weg. Die Einführung von verschulten Bachelor-/Masterstudiengängen mit der Brechstange zerstört bestehende und bewährte Studiengänge an den Hochschulen. Die pauschale Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master führt zu einem drastischen Abbau von Studienplätzen und ist faktisch eine Bildungskürzung. Etwa zwei Drittel der Studierenden soll nach dem Bachelor aus den Hochschulen verwiesen werden, der Zugang zu den Masterstudiengängen wird erheblich eingeschränkt. Das muss beendet werden. Da dies insgesamt zu einem dramatischen Qualitätsverlust in der Lehre führt, sind hier qualitätssichernde Sofortmaßnahmen erforderlich.
Das "Problem" der Langzeitstudierenden ist vor allem ein Problem mangelnder sozialer Absicherung vieler Studierender mit der Folge, neben dem Studium arbeiten zu müssen. Die Ablösung des BAFöG durch Einführung einer bedarfsdeckenden elternunabhängigen Ausbildungsfinanzierung, wie die LINKE sie seit langem fordert, würde dies "Problem" innerhalb kurzer Zeit auf ein Minimum reduzieren. Für Fragen des Zweitstudiums müssen hochschulinterne Regelungen gefunden werden, die den Einzelfall berüchsichtigen. Gebühren sind auch hier der falsche Weg.

Die Einführung eines externen Hochschulrats in Verbindung mit einer Stärkung des Präsidiums hat zu einer Entdemokratisierung der Hochschulen und der faktischen Entmachtung der akademischen Selbstverwaltung, insbesondere des Akademischen Senats geführt. DIE LINKE fordert die Auflösung des Hochschulrats zugunsten eines internen Hochschulkonvents, damit die Mitglieder der Hochschulen demokratisch über die Wissenschaftsentwicklung entscheiden können. Auch auf diesem Gebiet wird DIE LINKE im Laufe der Legilaturperiode parlamentarische Initiativen ergreifen.

Ich befürworte das Prinzip der Gemeinschaftsschule, das gemeinsame Lernen bis Klasse 10, das Prinzip der frühen Auslese gehört auch in diesem Zusammenhang abgeschafft. Gesamtschulen sollten gefördert und ausgebaut werden (meine Tochter hat an einer Gesamtschule ihr Abitur gemacht). Die Kompetenzen, die das Kollegium einer Gemeinschaftsschule braucht, sind hier am weitesten entwickelt.
Die Einführung des Abiturs nach 12 Jahren per Dekret, ohne zugleich die curricularen, sachlichen und personellen Voraussetzungen zu schaffen, halte ich für eine krasse Fehlentscheidung, die aber wohl nicht mehr rückgängig zu machen ist.

Ich hoffe, ihre Fragen beantwortet zu haben und verbleibe
mit freundlichem Gruß

Herbert Schulz