Frage an Heribert Hirte bezüglich Recht

Portrait von Heribert Hirte
Heribert Hirte
CDU
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Heribert Hirte zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Stefan D. •

Frage an Heribert Hirte von Stefan D. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Prof. Hirte
am 25.03.2020 hat der deutsche Bundestag festgestellt, dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite besteht. Dies ist die rechtliche Grundlage dafür das nach dem IfSG (§32,28) die Grundrechte per Rechtsverordnung eingeschränkt werden können.

Die Einschränkungen der Grundrechte alleine per Verordnung widerspricht dem Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt, diese Grundrecht besagen, dass Grundrechte nur per Gesetz eingeschränkt werden können.

Die sogenannte Normalität muss daher sofort beendet werden. Nach dem Stand von heute 29.05.2020 haben wir nach den zahlen des RKI einen Infektionsstand von
180.458 - 164.100 (wieder gesund) - 8.450 (verstorben) = 7.908 infizierte Personen. Dies entspricht 0,0095% der Bevölkerung.

Für mich ist dies keine epidemische Lage von nationaler Tragweite. Ich bitte Sie daher, dass Sie dafür eintreten, dass bei der nächsten Sitzung des Bundestages neu darüber abgestimmt wird, ob wir noch eine epidemische Lage haben, oder eben nicht und die Coronagesetze damit außer Kraft gesetzt werden, damit wir zur alten rechtlichen Normalität zurückkehren können.
Wie denken Sie darüber?
demokratischer Gruss
D. S. D.

Portrait von Heribert Hirte
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Dr. Dietsche,

haben Sie vielen Dank für Ihren „Hirtenbrief“, den Sie nach Vorlage und nach dem Aufruf von Herrn Rechtsanwalt Gordon Pankalla an mich gesendet haben. Ich hoffe Ihnen mit diesem Schreiben Ihre Bedenken ein wenig nehmen zu können, denn die derzeitige Situation ist das Ergebnis sorgfältiger Abwägungsüberlegungen. Dabei nehmen die Verantwortlichen die Grundrechte und Freiheiten des Einzelnen ebenso ernst wie den öffentlichen Gesundheitsschutz.

Bei der aktuellen Pandemie des Coronavirus (SARS-CoV-2) handelt es sich - von Beginn an - um ein sehr dynamisches Geschehen, in Deutschland wie auch weltweit. Alle Entscheidungen der Bundesregierung wurden abhängig vom jeweiligen Infektionsgeschehen auf nationaler und internationaler Ebene sowie in Abwägung der verfügbaren fachlich-wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Zusammenhang getroffen. Die Bewertung des Infektionsgeschehens erfolgt kontinuierlich u.a. durch das Robert Koch-Institut (RKI) und kann tagesaktuell auf dessen Internetseite abgerufen werden. Dies beinhaltet auch umfangreiche Informationen zum verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisstand.

Vorrangiges Ziel der jeweils eingeleiteten Maßnahmen war und ist es, die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland einzudämmen bzw. zu verlangsamen, um Menschen vor Infektionen zu schützen und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Durch die eingeführten Beschränkungen wurde die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus in Deutschland erfolgreich verlangsamt. Diese Erfolge gilt es in den nächsten Wochen zu sichern und gleichzeitig Beschränkungen des öffentlichen Lebens unter Berücksichtigung der epidemischen Lage gegebenenfalls nach und nach zu lockern.

Vielleich erinnern Sie sich an den Anfang der Pandemie? Oft wurde beispielsweise Gesundheitsminister Spahn dafür kritisiert, dass er nur „appelliere“, oder zu Absagen und Einschränkungen aufrief, obwohl die WHO das Pandemie-Risiko des Coronavirus bereits seit dem 28. Februar auf globaler Ebene als „sehr hoch“ einstufte. Doch diese eingeschränkten Befugnisse von Minister Spahn und damit der Bundesregierung sind beabsichtigt. Denn so will es das Infektionsschutzgesetz, das Anfang 2001 in Kraft trat. Nur im Falle einer Pandemie ermöglicht es das Infektionsschutzgesetz, unsere Grundrechte teilweise weitreichend einzuschränken. Diese Einschränkungen müssen allerdings verhältnismäßig sein. Bislang hielten die getroffenen Entscheidungen einer Überprüfung durch die jeweiligen Landesverfassungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich stand.

Ausdrücklich haben erst einmal die Bundesländer nach § 32 IfSG die Möglichkeit, eigene Rechtsverordnungen mit weiteren Ge- und Verboten zu erlassen. Viele Länder haben auf das Rechtmittel der Allgemeinverfügung zurückgegriffen, andere wiederum auf Rechtsverordnungen. Vornehmlich haben also die Bundesländer die Einschränkungen der Grundrechte beschlossen. Da es die Bundesländer für wichtig hielten, möglichst einheitliche Maßnahmen zu treffen, gibt es mittlerweile mehrere Bund-Länder-Vereinbarungen.

Ein konkreter Blick in die Länder zeigt auch, dass es völlig abwegig ist, in Bezug auf Corona und die Grundrechte von einem absolutistischen Staat zu sprechen. Beachten Sie al-lein die Vielzahl unterschiedlicher Regeln und unterschiedlicher Vorgehensweisen in den Bundesländern. Diese Unterschiede sind ein sehr offensichtlicher Beweis für die demokratische Vielfalt und die eingeschränkte Durchgriffsmacht der Bundesregierung. Zum anderen verlangten Verfassungsgerichte durchaus Nachbesserungen, wie beispiels-weise durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. April. Dieser besagt, dass Demonstrationen nicht grundsätzlich untersagt werden durften, sondern nur an-hand des Einzelfalls begründet; grundsätzlich seien Demonstrationen unter Auflagen möglich.

Am 27. März 2020 hat der Deutsche Bundestag erste Änderungen des Infektionsschutzgesetzes erlassen und mit überfraktioneller Mehrheit die epidemische Lage von nationaler Tragweite beschlossen. Ja, dieses Gesetz räumt nun der Bundesregierung mehr Möglichkeiten ein, sollte eine Pandemie-Lage durch das Parlament festgestellt werden. Doch auch durch diese Gesetzesänderung und die Feststellung der epidemischen Lage gehen nicht alle gesetzlichen Hoheiten von den Ländern auf die Bundesregierung über. In einem solchen Fall darf die Bundesregierung unter anderem:

• Anordnungen treffen, die beispielsweise den grenzüberschreitenden Personenverkehr beschränken oder Maßnahmen festlegen, um die Identität und den Gesundheitszustand von Einreisenden festzustellen;
• durch Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arznei-, Heilmitteln, mit Medizinprodukten, Produkten zur Desinfektion und Labordiagnostik treffen;
• die personellen Ressourcen im Gesundheitswesen stärken - insbesondere, indem etwa Pflegekräfte eingesetzt werden, um bei der Bekämpfung des Krankheitsgeschehens mitzuwirken.

Diese neuen Befugnisse erhält der Bund nur im Fall einer festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite und zeitlich begrenzt.

Sie erinnern sich vielleicht wiederum: Um die Gefahr zu erklären, die durch den Virus für unser Gesundheitssystem besteht, benutzten Experten und führende Politiker verschiedene Zahlen: Die Anzahl der Intensivbetten, die in Deutschland zur Verfügung steht, die täglichen Neuinfektionen oder den R-Wert, der kurz gefasst die Anzahl an Menschen angibt, die jeder Infizierte wiederum ansteckt. Doch die Feststellung einer epidemischen Lage nationaler Tragweite ist an keine dieser Zahlen gebunden. Eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ wird so festgestellt, dass entweder die WHO eine Pandemie ausruft und die Einschleppung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit möglich erscheint oder eine bundesländerübergreifende Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit droht. Eine Gesamtschau verschiedener Faktoren ermöglicht es, auch vor dem Hintergrund jedweder Dynamik eines (unbekannten) Infektions- und Seuchengeschehen unser Gesundheitssystem handlungsfähig zu halten.

Ich erlaube mir noch einen Hinweis mit Blick auf Ihre Gesundheit. Die „neue Normalität“, mit der in Ihrem Brief nur die Einschränkung der Grundrechte verbunden ist, meint eben dieses genau nicht. Die „neue Normalität“ bezeichnet den Umstand, dass wir noch längere Zeit mit der Bedrohung des Corona-Virus leben müssen. Bislang gibt es keine Medikamente oder einen Impfstoff gegen das Virus. In der „neuen Normalität“ sollten wir auf unsere Hygiene achten, etwas mehr Abstand als bislang einhalten, öffentliche Versammlungen vorsichtig durchführen und ggf. einen Mundschutz tragen, damit sich nicht erneut massenhaft Menschen anstecken. Die „neue Normalität“ als Begriff soll eben genau das verhindern, was Herr Pankalla mit dem Begriff unterstellt, nämlich dass wir als Gesellschaft gezwungen wären, erneut unsere Grundrechte einzuschränken. Ein zurück in eine Welt ohne den Virus wird es nicht geben; deshalb müssen wir Wege und Umgangsformen finden, mit denen wir unsere Mitmenschen nicht unnötig gefährden und das Gesundheitssystem nicht über seine Grenzen hinaus fordern.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Heribert Hirte