Sehr geehrter Herr Hölscher,

Spätestens seit der Zusage des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl , die Türkei bei einem EU-Beitritt zu unterstützen, hat sich die Türkei darauf verlassen können, dass Deutschland bei diesem Vorhaben hinter ihr steht. Darum wäre es verantwortungslos, jetzt der Türkei die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Europa muss ein strategisches Interesse daran haben, dass ein muslimisches, nicht-fundamentalistisches Land Mitglied der Gemeinschaft wird.. Bündnis 90/Die Grünen kämpfen für eine europäische Perspektive der Türkei. Für uns gehört sie zu Europa und soll deshalb auch Mitglied der EU werden können. Wir unterstützen den intensiven Reformprozess, den die Türkei in den letzten Jahren begonnen hat. Vieles hat sich aufgrund der Aussicht auf den Beitritt zur EU geändert - ich als Frauenpolitikerin sehe hier erfreuliche Fortschritte. Dieser Reformprozess muss fortgesetzt werden. Die Ausschreitungen Anfang diesen Jahres gegenüber demonstrierenden Frauen waren allerdings kein Ruhmesblatt. Die Verstöße gegen die Menschenrechte und das Vorgehen gegen Minderheiten im eigenen Land müssen bei den Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen. Den Prozess deshalb abzubrechen, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Wir hoffen sehr, dass die vom Europäischen Rat im vergangenen Dezember festgelegten Bedingungen von der Türkei baldmöglichst erfüllt werden. Dann sollen nach unserer Auffassung die Verhandlungen über den Beitritt am 3. Oktober diesen Jahres beginnen. Wir unterstützen auch den von der Europäischen Kommission am 29. Juni vorgelegten Verhandlungsrahmen mit der Türkei und hoffen, dass er bald von den Mitgliedstaaten so beschlossen wird.

Die Verhandlungen werden viele Jahre in Anspruch nehmen. Mit einem Abschluss kann nicht vor 2014 gerechnet werden. Bis dahin muss die Türkei beweisen, das sie die Kriterien für die Aufnahme in die EU erfüllt. Erst dann wird die Entscheidung über einen tatsächlichen Beitritt endgültig fallen können.

Mit freundlichen Grüßen
Irmingard Schewe-Gerigk