Frage an Jerzy Montag bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Jerzy Montag
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Johann G. •

Frage an Jerzy Montag von Johann G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Montag,

Sie haben dem "Gesetz zur Zwangsmedikation von (psychisch) Kranken" zugestimmt! Auch in Ihrer besonderen Verantwortung als Ausschußvorsitzender!

Frage 1: Aus welchen Gründen haben Sie diesem Gesetz zugestimmt ?
Frage 2: Weshalb haben Sie sich nicht dafür eingesetzt, dass dieses Gesetzesvorhaben angemessene Zeit in der Öffentlichkeit diskutiert wird?

Frage 3: Welche Motivation hatten Sie stattdessen dabei mitzuwirken, das dieses Gesetz im sogenannten parlamentarischen Schnellverfahren beschlossen wird, obwohl Sie realisieren können das auf Grundlage dieses Gesetzes schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte von hilflosen, isolierten psychisch kranken Menschen und die weit verbreitenden Mißbräuche in der Psychiatrie, der Forensik und sogar in Alten- und Pflegeheimen dadurch legalisiert werden?

Frage 4: Ist Ihnen bekannt, dass auch in Deutschland sehr viele Menschen zu Unrecht, unschuldig in die Forensik abgeschoben werden bwz. völlig unverhältnismäßig lange Zeit dort ihre Leben fristen müssen und ohnehin bereits fragwürdig sediert werden. ( z.B. im Bericht in der SZ über einen Mann der wegen weit zurückliegendem harmlosen Exhibitionismus seit f ü n f z e h n Jahren im BKH Mainkofen festgehalten wird.)

Frage 5: Weshalb habe Sie sich nicht dafür eingesetzt, dass Sicherungsmechanismen, exakte Kriterien in das Gesetz aufgenommen worden sind, die einen Mißbrauch hätten verhindern können? Dies wurde von namhaften und humanistisch gesinnten Experten gefordert!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Johann Gura,

vielen Dank für Fragen vom 15 Februar 2013. In Anbetracht des Umstandes, dass sämtliche Anwürfe, welche Sie gegen mich erheben unzutreffend sind, und da ich auch kein Ausschussvorsitzender bin, habe ich aber den Eindruck, dass Sie ihre Fragen eigentlich an einen anderen Abgeordneten richten sollten. So habe ich in der Bundestagssitzung vom 17. Januar 2013 keineswegs für das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme der Regierungskoalition gestimmt. Vielmehr habe ich mich - wie die gesamte Bundestagfraktion von Bündnis90/die Grünen- der Stimme enthalten. Ich tat dies aus wohlüberlegten Gründen, die ich Ihnen im Folgenden darlegen möchte. Grundsätzlich halte ich ein Gesetz zur Regelung der medizinischen Zwangsbehandlung für erforderlich. Es gibt Patienten, die aufgrund ihrer psychischen Krankheit die Notwendigkeit einer Behandlung nicht erkennen können und dadurch in die Gefahr ernster Gesundheitsschädigung oder sogar des Todes geraten. Es sind weiter Fälle denkbar, in denen die krankheitsbedingte Unfähigkeit, die eigene Erkrankung zu erkennen und deshalb in eine Behandlung derselben einzuwilligen, letztlich zu einer unbegrenzten und unbehandelten Verwahrung der Betroffenen führen würde, da sie gefährlich für sich und die Allgemeinheit sind. Ein solches Gesetz ist aber nur unter allerengsten Voraussetzungen denkbar. Diesen hohen Anforderungen wird der Regierungsentwurf letztlich leider nicht ganz gerecht. Lobenswerter Weise sieht das Gesetz vor, dass vor Beginn einer Zwangsbehandlung versucht werden soll, den Patienten von der Notwendigkeit einer Behandlung zu überzeugen, um die Ausübung von Zwang eben zu vermeiden. Leider wurde aber nicht gesetzlich festgelegt, dass der Versuch, den Patienten zu Überzeugen, ohne Druck und mit angemessenem Zeitaufwand erfolgen muss. So kann der Überzeugungsversuch leicht zu bloßem Formalismus missraten. Ein weiteres Problem ist der Umstand, dass das Gesetz die Begutachtung des Patienten durch einen Gutachter vor Beginn einer Zwangsmedikation vorsieht, ohne die Anforderungen, welche an diesen Gutachter zu stellen sind, hinreichend zu konkretisieren. So besteht leider die Möglichkeit, dass diese Begutachtung durch einen Arzt vorgenommen wird, welcher in derselben Einrichtung arbeitet wie der Arzt, der die Behandlung auch durchführt. Auf diese Art sind Interessenkonflikte vorprogrammiert und von einer wirklich unabhängigen Begutachtung kann keine Rede sein. Diese Schwächen des Regierungsentwurfes machten es mir unmöglich, für das Gesetz zu Stimmen. Da aber der Erlass einer Regelung dringend geboten war und der Regierungsentwurf grundsätzlich in die Richtige Richtung ging, war eine Stimmenthaltung folgerichtig. Weiterhin haben wir von Bündnis90/die Grünen und ich persönlich im Rechtsausschuss überhaupt erst dafür gesorgt, dass der Gesetzentwurf nicht- wie ursprünglich von der Regierungskoalition geplant- im Schnellverfahren und ohne tiefgreifende parlamentarische Diskussion durch den Bundestag geschleust wurde. So wäre diese Regelung ohne öffentliche Debatte, ohne eine öffentliche Sachverständigenanhörung und ohne Einbeziehung der Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker des Gesundheitsausschusses mit nur einer Lesung verabschiedet worden. Eben dies haben ich und meine Fraktion verhindert Meine Fraktion und ich haben dieses Vorgehen deutlich kritisiert und als unzulässig zurückgewiesen. Der Entwurf berührte wichtige Grundrechte und musste daher bei aller Eilbedürftigkeit unbedingt sorgfältig und vor allem öffentlich beraten werden.

Die Frage ob und wie viele Menschen derzeit zu Unrecht in psychiatrischen Krankenhäusern in Deutschland untergebracht sind, ist eine durchaus brisante und wird derzeit zu Recht auch in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Sie steht allerdings in keinem Zusammenhang mit dem Gesetz zur betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme. Ich warne dringend davor, diese beiden Themenbereiche miteinander zu vermengen; durch eine solche Vermengung wird man keinem dieser beiden hochsensiblen Themen gerecht. Ich hoffe, dass Sie meine Überlegungen nachvollziehen und vielleicht sogar richtig finden und verbleibe mit freundlichen Grüßen,

Jerzy Montag