Frage an Jörg van Essen bezüglich Wirtschaft

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Jörg van Essen
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Frage von Darian M. •

Frage an Jörg van Essen von Darian M. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr van Essen,

auf Grund der aktuellen Diskussion über die Zustimmung der FDP zum ESM wollten wir Sie fragen, was Ihre eigene Meinung dazu ist.
Uns ist bekannt, dass es zur Zeit innerparteiliche Differenzen über eine Zustimmung oder Ablehung des ESM gibt. Deswegen interessiert es uns, was die Basis über dieses Thema denkt und vor allem auch, wie Sie zu der Position Ihrer Parteiführung sagen.

Mit freundlichen Grüßen

D. M. .
J. M.
F. W. .

Heilwig Gymnasium Klasse 12

Portrait von Jörg van Essen
Antwort von
FDP

Sehr geehrte Frau Mengel,
sehr geehrter Herr Manuchehr,

sehr geehrter Herr Wittstamm,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage, in welcher sie sich nach meiner persönlichen Meinung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) fragen.

Meine Partei befindet sich zurzeit in einem sehr spannenden demokratischen Prozess. Als einzige etablierte Partei in Deutschland kennen die Freien Demokraten das Instrument des Mitgliederentscheids. Dieses ermöglicht eine basisdemokratische Meinungsbildung in der Partei. Politische Mitbewerber scheuen diese Form der innerparteilichen Demokratie, auch wenn sie nach Außen direktere Beteiligungsformen der Bürgerinnen und Bürger fordern. In der FDP sind dies nicht nur leere Worthülsen, sondern die Liberalen leben dieses Selbstverständnis aktiv. Im Rahmen dieses Ringens, um die bessere Positionierung in der Frage der Eurorettung, kommt es selbstverständlich zu einem Wettbewerb zwischen den Beteiligten. Dieser kann und wird die innerparteiliche Demokratie beflügeln und ist immanenter Teil einer demokratischen Meinungsbildung. Von daher bewerte ich diesen Prozess nicht negativ, sondern durchweg positiv. Die FDP lebt Demokratie.

Als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion bin ich qua Amt Mitglied im Präsidium meiner Partei und im Koalitionsausschuss der Bundesregierung. Ich halte den eingeschlagenen Weg zur Eurostabilisierung für richtig und habe ihn von Anfang an unterstützt. Von daher trage ich die Position der Parteiführung aus eigener Überzeugung uneingeschränkt mit.

Die aktuellen Ereignisse verdeutlichen die Dimension, die diese mittlerweile weltweite Schuldenkrise für uns alle hat und noch wird haben können. Diese Staatsschuldenkrise in Europa stellt die Europäische Union vor ihre bislang schwierigste Aufgabe. Die FDP stellt sich dieser Aufgabe von Beginn an mit der nötigen Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern in Deutschland, aber auch gegenüber dem europäischen Einigungsprozess und der EU insgesamt.

Entgegen der häufig verwendeten Wortwahl geht es derzeit nicht um eine Krise des Euro. Der Wert unserer gemeinsamen Währung ist ungeachtet der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise sehr stabil. Es handelt sich vielmehr um Finanzierungskrisen in einigen Mitgliedstaaten der Eurozone. Aufgrund der inzwischen verbreitet hohen Schuldenquoten von deutlich über 60% des jährlichen Bruttoinlandsproduktes und zum Teil erheblichen Wachstumsproblemen fürchten viele Experten die Gefahr einer „Ansteckung“ anderer Länder der Eurozone. Daher muss die Politik auf europäischer Ebene gemeinsame Lösungen für die betroffenen Länder finden und das Vertrauen der Finanzmärkte insgesamt wiederherstellen.

Vor dem Hintergrund Ihrer Aufforderung, einem weiteren Rettungsschirm die Zustimmung zu verweigern, muss man sich die Frage stellen, was die Alternative zu den Stabilisierungsmaßnahmen und Vorhaben der christlich-liberalen Koalition in ihrer Konsequenz bedeuten würde.

Die erste Folge einer ungeordneten Insolvenz eines Mitgliedsstaates wäre, dass Inhaber der entsprechenden Staatsanleihen diese Papiere abschreiben müssten. Dies würde Banken, Versicherungen, Rentenfonds und damit fast jeden Privatanleger insbesondere bei Fragen der Altersvorsorge treffen.

Die zweite, weitaus gravierendere Folge wäre, dass der Kapitalmarkt einen negativen Lerneffekt erzielt und fortan bei bestimmten Staaten Kredite nur noch gegen erhebliche Zinsaufschläge zur Kompensation des Ausfallrisikos gewährt. Hierdurch würden andere schwächere Staaten aufgrund immer höherer Refinanzierungskosten gewissermaßen einen Insolvenzbeschleuniger erfahren. Die Folge könnte eine Kaskade wirtschaftlich zusammenbrechender Staaten sein, die aus dem Euroraum aussteigen, ihre eigene Währung einführen und diese erheblich abwerten müssten. Eine solche Kaskade würde wiederum die Banken, Versicherungen, Rentenfonds und damit hauptsächlich Privatanleger treffen, da die Anleihen trotz eines Währungswechsels noch immer in Euro dotiert sind und entsprechend kaum zum vollen Wert abgelöst werden dürften.

In der Folge droht der Zusammenbruch eines ganzen Wirtschaftsraums, der insbesondere die hauptsächlich am Export orientierte, deutsche Volkswirtschaft treffen würde. In der Konsequenz eines derartigen Szenarios wäre mit starker Inflation und Massenarbeitslosigkeit auch hierzulande zu rechnen. Wer dann am langen Ende der Leidtragende dieser Entwicklung sein dürfe ahnen Sie sicher bereits- der Steuerzahler in Deutschland!

Vor diesem Hintergrund erscheint der ernsthafte Versuch, einen in Schwierigkeiten geratenen Mitgliedsstaat zunächst zu stützen und ihm gleichzeitig eine Sanierungskur zur Erreichung gesunder Strukturen und damit dauerhafter eigener Stabilität angedeihen zu lassen, weitaus weniger risikoreich für unsere deutschen Interessen. Daher müssen wir mit geeigneten Institutionen und Regeln vorsorgen, die eine Kettenreaktion vermeiden und den Zusammenbruch des Wirtschaftsraums gar nicht erst zulassen.

Solidarität ist jedoch keine Einbahnstraße! „Conditio sine qua non“, also absolute Bedingung jedweder Hilfeleistungen muss ein tragfähiges und zukunftsweisendes Anpassungsprogramm für den hilfesuchenden Mitgliedstaat sein, das ihm rasch zu eigener Kreditwürdigkeit am Kapitalmarkt verhilft.

Wer Hilfe beansprucht, weil er seine strukturellen Hausaufgaben in der Vergangenheit liegen ließ, kann auf Solidarität anderer Staaten nur hoffen, wenn er seinerseits Solidität bei seinem Sanierungsprogramm zeigt. Deshalb haben wir als FDP durchgesetzt, dass vor jedweder Hilfsmaßnahme immer ein zwischen dem Mitgliedstaat und IWF, der Kommission und der EZB einvernehmlich ausgehandeltes Sanierungsprogramm stehen muss.

Aus meiner Sicht muss aber klar sein, dass es nicht fortgesetzte Hilfen für ein Land geben darf, falls sich herausstellen sollte, dass dieses seine Schulden nicht aus eigener Kraft wird zurückzahlen können. Es darf nicht dazu kommen, dass ein insolventes Land dauerhaft von der internationalen Gemeinschaft finanziell unterhalten wird. Hier kommt der Schuldentragfähigkeitsanalyse des Internationalen Währungsfonds eine entscheidende Bedeutung zu.

Für die FDP-Bundestagsfraktion ist ferner die Wahrung der Parlamentsrechte besonders wichtig. Das Recht, über Einnahmen und Ausgaben des Staates zu entscheiden, ist das Königsrecht des Parlaments. Es ergibt sich direkt aus dem Demokratiegebot, welches in Art. 20 Grundgesetz verankert ist.

Bei der Einrichtung des zukünftigen, dauerhaften Euro-Stabilisierungsmechanismus „ESM“ wird die FDP-Bundestagsfraktion, auch vor dem Hintergrund der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auf ein Maximum an parlamentarischer Entscheidung drängen. Wir wollen, dass alle Entscheidungen des ESM, die das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages berühren, durch einen strikten Parlamentsvorbehalt abgesichert und damit demokratisch legitimiert werden.

Wenn Notenbanken, wie die EZB oder die Bundesbank, Staatsanleihen kaufen, kann man das zwar unerfreulich finden, die FDP wird sich jedoch nicht in die Notenbankpolitik einmischen und damit das bisher bewährte System unabhängiger Notenbanken infrage stellen.

Weil bei aller Sensibilität der Finanzmärkte Risiko und Lasten gerecht verteilt sein müssen, setzt sich die FDP für eine angemessene Beteiligung privater Gläubiger im Falle einer Staatsinsolvenz ein. Hierfür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, von denen es gilt, die für den Steuerzahler Bestmögliche zu ermitteln und einzusetzen. Einen wirklichen Einstieg in eine freiwillige und gleichwohl substanzielle Beteiligung privater Gläubiger hat der Gipfel des Europäischen Rats vom 21. Juli hervorgebracht. Wie ich finde kann insbesondere die FDP hierauf sehr stolz sein, zumal es nicht zuletzt auf unser Drängen hin überhaupt erst zu dieser Gläubigerbeteiligung gekommen ist.

Wenn Sie aber einen harten Schuldenschnitt fordern, müssen Sie sich auch mit den wahrscheinlichen Folgen einer „Default“ - Wertung am Kapitalmarkt beschäftigen. Genau taxieren jedoch lassen sich die bereits eingangs beschrieben Folgen eines europäischen Flächenbrandes nicht. Als Abgeordnete des Deutschen Bundestages tragen wir bei diesem Thema viel Verantwortung und müssen uns mit den Folgen unseres Handelns oder Unterlassens sehr genau beschäftigen.

Nach unserer Abwägung, die wir sehr sorgfältig getroffen haben, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass das fraglos bestehende Risiko einer weiteren Eurostabilisierung bei weitem geringer ist als das, was unserer Volkswirtschaft und unserem Land bei einem freien Spiel der Kräfte in dieser Erschütterungsdynamik in letzter Konsequenz drohen.

Lassen Sie mich aber auch darauf eingehen, wie die Opposition die Euroschuldenkrise meistern möchte. Hierbei sei erwähnt, dass SPD und Grüne übrigens maßgeblich selber zu dieser Verschuldungskrise beigetragen haben, indem sie die Aufnahme Griechenlands in die Eurozone ohne wirkliche Überprüfung der Erfüllung von Aufnahmebedingungen trotz berechtigter Zweifel und Warnungen seinerzeit geschehen ließen und den Stabilitäts- und Wachstumspakt in ihrer Regierungszeit aufgrund eigener haushaltspolitischer Inkompetenz in fataler Weise aufgeweicht haben.

Führende Vertreter von SPD und Grüne gerieren sich nun aber als große Lehrmeister und fordern die Einführung von Eurobonds, Schuldenrückkaufprogrammen und größeren Hilfsprogrammen zu günstigeren Konditionen für die Schuldnerländer. Sie beklagen das schlechte Image der Deutschen bei einzelnen Ländern im Mittelmeerraum und würden gerne noch umfangreichere Kredite, jedoch ohne Sanierungsbedingungen, an andere Länder vergeben. Wären sie an der Regierung beteiligt gewesen, hätten wir schon heute die Haftungsgemeinschaft in der Eurozone und damit dauernde, erhebliche Transfers des deutschen Steuerzahlers in andere Euro-Länder.

Deutschland hat seine strukturellen Hausaufgaben, nicht zuletzt mit der Agenda 2010, die die FDP konstruktiv als damalige Opposition begleitet hat, zu einem wesentlichen Teil, unter schmerzhaften Entbehrungen, bereits gemacht. Diesen anstrengenden Gesundungsprozess nun anderen Staaten ersparen zu wollen, wie SPD und Grüne es ganz offensichtlich vorhaben, indem sie aus falsch verstandener Solidarität bedingungslose Geldgeschenke machen wollen, ist nicht nur unehrlich gegenüber dem hilfebedürftigen Mitgliedsstaat, sondern vor allem ein Schlag ins Gesicht der Steuerzahler in Deutschland!

Die FDP-Bundestagsfraktion hingegen pocht bei diesem Balanceakt auf die bestmögliche Wahrung der Interessen der Steuerzahler in Deutschland. Bei den Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone finden sich wesentliche, von der FDP immer wieder geforderte, Strukturmerkmale wieder. So haben wir erreicht,

- dass Hilfskredite nur unter strengen Auflagen gewährt werden dürfen,

- dass der Internationale Währungsfonds mit seiner unabhängigen Expertise und seinen strengen Kriterien beteiligt wird und

- dass Hilfsmaßnahmen nur einstimmig ausgelöst werden dürfen, d.h. dass Deutschland hier ein Vetorecht hat.

Die FDP hat bisher verhindert, dass sog. „Eurobonds“ beschlossen werden, die eine gesamtschuldnerische Haftung der Staaten der Eurozone für Schulden anderer Eurostaaten vorsehen.

Es war keineswegs selbstverständlich, dass sich ein kleinerer Koalitionspartner in einem von 27 EU-Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene soweit durchsetzen konnte.

Die FDP wird sich als Europapartei auch weiterhin mit aller Energie dafür einsetzen, dass die der Verschuldungskrise zugrundeliegenden Probleme gelöst und nicht auf die nächste Generation verschoben werden. Denn es ist keineswegs derjenige der bessere Europäer, der mit immer neuen Hilfsprogrammen die Solidarität der solider wirtschaftenden Länder überfordert und damit auch diese in den Abgrund der Überschuldung treibt, bis die Eurozone daran zerbricht.

Daher setzen wir uns auf europäischer Ebene für eine erhebliche Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ein. Wir werden auch weiterhin dafür kämpfen, dass die Steuerzahler trotz der Verschuldungskrise so wenig wie möglich belastet werden.

Die FDP ist und bleibt die Partei der Europäischen Integration und der Wirtschaftskompetenz. Gemeinsame Konzepte für stabilitätsorientierte Haushalts- und Wirtschaftspolitiken im Euro-Währungsgebiet sind die Grundlage dafür, Verschuldungskrisen einzudämmen und künftig zu vermeiden. Nur so können wir Europa gemeinsam erfolgreich gestalten, die Europäische Integration fortsetzen und verfestigen.

Mit dem Stabilitätsmechanismusänderungsgesetz (StabMechÄndG) haben die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP die Grundlagen für die Umsetzung der Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs der Eurozone vom 11. März 2011 und der Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Eurozone und der EU-Organe vom 21. Juli 2011 zur Ertüchtigung und weiteren Flexibilisierung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) geschaffen.

Die neuen gesetzlichen Grundlagen ermöglichen einerseits die vereinbarte Bereitstellung der maximalen Darlehnskapazität von 440 Mrd. Euro durch die EFSF, indem eine Aufstockung des Garantierahmens, den Deutschland zur Verfügung stellt, von 123 Milliarden Euro auf 211,0459 Milliarden Euro erfolgt. Darüber hinaus wird die EFSF in die Lage versetzt, den konkreten Gefahren für die Stabilität unserer gemeinsamen Währung und der Eurozone insgesamt noch besser auch vorbeugend entgegenwirken zu können. So werden neben der bereits bestehenden Möglichkeit einer Kreditvergabe an Mitgliedsstaaten nun auch der Kauf von Staatsanleihen am Primär- und Sekundärmarkt, sowie vorsorgliche Kredite und Darlehen an Staaten zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten bereitgestellt. Alle Hilfsmaßnahmen der EFSF werden auch in Zukunft unter strikten Auflagen vergeben. Ziel ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Die betroffenen Länder müssen den Weg der Haushaltskonsolidierung und wirtschaftlichen Strukturreformen eigenständig gehen.

Die krisenhaften Zuspitzungen am Kapitalmarkt und der mehrfache Eingriff der Europäischen Zentralbank (EZB) zu deren Bekämpfung haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass die EFSF hinsichtlich ihres Volumens und der Flexibilität ihrer Instrumente ausgebaut werden muss, um in Zukunft möglichen Ansteckungsgefahren innerhalb der Währungsunion besser entgegenwirken zu können. Die Koalitionsfraktionen sind sich einig, dass die Stabilisierung der Gemeinschaftswährung durch geeignete Eingriffe am Kapitalmarkt zuvorderst Aufgabe der von den Mitgliedsstaaten getragenen EFSF und nicht der EZB ist.

Mit diesem Gesetz wird auch die parlamentarische Beteiligung an Entscheidungen und Handlungen einer intergouvernementalen Rettungsfaziliät auf eine substanziell höhere Stufe gehoben. So ist es den Koalitionsfraktionen gelungen, einen umfassenden Parlamentsvorbehalt zu errichten, der sämtliche maßgebliche, die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berührende, Entscheidungen von einer vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages abhängig macht.

Leitlinie der Koalitionsfraktionen war einerseits die Handlungsfähigkeit der EFSF im operativen Geschäft und damit eine effektive Abwehr konkreter Gefahren für die Stabilität der Eurozone zu gewährleisten, anderseits aber auch eine möglichst umfassende Beteiligung des Deutschen Bundestags bei allen wesentlichen, insbesondere haushaltsrelevanten Fragen sicherzustellen. Diese Maßgaben in Einklang zu bringen, ist in Form dieses Gesetzes, als Ergebnis eines intensiven Abwägungsprozesses, aus Sicht der Koalitionsfraktionen gelungen.

Um auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. September 2011 in das Gesetzgebungsverfahren optimal einzubeziehen, haben die Koalitionsfraktionen ihre Vorstellungen über eine Parlamentsbeteiligung bei erster Lesung des Gesetzes zunächst in Form eines Antrags auf Bundestagsdrucksache 17/6945 und noch nicht im Gesetzentwurf selbst festgehalten. Diese sind durch das Urteil des Verfassungsgerichtes bestätigt worden, weshalb wir diese Leitlinien sodann vollumfänglich in dem Gesetz umgesetzt haben. Damit erhält der Deutsche Bundestag die Kontrolle über alle Entscheidungen der EFSF, die die Budgetverantwortung des Bundestags berühren.

Mit vorliegendem Gesetz sind überdies die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 7. September 2011 aufgestellten Anforderungen einer Parlamentsbeteiligung aus Sicht der Koalitionsfraktionen sogar bei weitem übertroffen worden. Entgegen der in diesem Urteil ausdrücklich gebilligten Möglichkeit einer erst nachträglichen Unterrichtung des Haushaltsausschusses in Eilfällen, macht das Gesetz auch für solche Fälle besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit eine vorherige Zustimmung eines vom Deutschen Bundestag für die Dauer einer Legislaturperiode gewählten Gremiums, das mit Mitgliedern des Haushaltsausschusses besetzt wird, erforderlich.

Die Koalitionsfraktionen sind davon überzeugt, dass eine solche Regelung unabdingbar ist, um die Handlungsfähigkeit der EFSF zu wahren und um möglichen Schaden von der Währungsunion abzuwenden. Die von den Staats- und Regierungschefs am 21. Juli 2011 beschlossene Flexibilisierung der Instrumente der EFSF dient in allen Fällen der Bekämpfung von Ansteckungsgefahren. Derartige Ansteckungsgefahren können sich kurzfristig innerhalb weniger Tage oder Stunden entwickeln. Erforderlich sind deshalb Verfahren, die eine schnelle Reaktion auf kurzfristige Marktentwicklungen sicherstellen. Sowohl für die Abstimmung auf europäischer Ebene als auch für die parlamentarische Beteiligung steht daher in der Regel nur ein enges Zeitfenster zur Verfügung. Da die Instrumente auf die Beeinflussung des Marktgeschehens zielen, bedarf es normalerweise auch der Geheimhaltung, um die ergriffenen Maßnahmen nicht zu konterkarieren.

Ziel der vorsorglichen Maßnahmen (z. B. Bereitstellung einer Kreditlinie) ist es, Mitgliedstaaten, die grundsätzlich über gesunde Fundamentaldaten verfügen, bei kurzfristigen Finanzierungsschwierigkeiten zu helfen und so das Entstehen einer tatsächlichen Krise und das Übergreifen auf andere Länder zu verhindern. Derartige Situationen können sehr kurzfristig, etwa aufgrund externer Schocks auftreten. Durch vorsorgliche Bereitstellung von Mitteln soll das Vertrauen des Kapitalmarkts in die weitere Finanzierungsfähigkeit des Mitgliedstaats wiederhergestellt bzw. gesichert werden. Hierzu bedarf es flexibler und schlanker Entscheidungsverfahren, um eine sehr kurzfristige Reaktion zu ermöglichen.

Mit der Möglichkeit für Kredite zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten soll Ansteckungsgefahren begegnet werden, die durch den Ausfall von Finanzinstituten entstehen können. Aufgrund der starken Verflechtung des europäischen Finanzsektors können derartige Ausfälle die Finanzmarktstabilität und politische Stabilität auch in anderen Mitgliedstaaten gefährden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das Marktvertrauen plötzlich entzogen werden kann. Aktuell wird dies bei den Banken in einem großen Mitgliedstaat deutlich, deren Aktienkurse über Nacht einbrachen. In einem solchen Szenario bedarf es schneller Handlungsmöglichkeiten. Zudem sind vertrauliche Entscheidungsverfahren notwendig, um die Veröffentlichung sensibler Geschäftsdaten der Finanzinstitute auszuschließen.

Durch den Kauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt soll in Ausnahmefällen und nur auf Vorschlag der EZB die Funktionsfähigkeit der Anleihemärkte und eine angemessene Preisbildung hinsichtlich Staatsanleihen unterstützt und eine ausreichende Liquidität im Anleihenmarkt gewährleistet werden. Interventionen auf dem Sekundärmarkt sind jedoch nur dann erfolgversprechend, wenn zum einen kurzfristig auf schnelle Marktentwicklungen reagiert werden kann und zum anderen verhindert wird, dass entsprechende Maßnahmen vorher bekannt werden, damit die Märkte das Verhalten nicht vorwegnehmen und dagegen spekulieren können.

Das vorliegende Gesetz bildet daher einen Parlamentsvorbehalt in Form eines abgestuften Zustimmungsverfahrens ab. Für Fälle von Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit werden die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages von Mitgliedern des Haushaltsausschusses wahrgenommen, die vom Deutschen Bundestag für die Dauer einer Legislaturperiode gewählt werden. Alle neuen Hilfsmaßnahmen für in Not geratene Mitgliedstaaten der Eurozone, die weder in besonderer Weise eilbedürftig, noch vertraulich sind, erfordern hingegen konstitutiv die Befassung und Zustimmung des Plenums des Deutschen Bundestages als Form größtmöglicher parlamentarischer Einbindung. Überdies kann das Eilgremium der Einschätzung der Eilbedürftigkeit jederzeit widersprechen, mit der Folge, dass entweder der Haushaltsausschuss insgesamt oder das Plenum des Deutschen Bundestages befasst werden. Dem Deutschen Bundestag seinerseits steht natürlich frei, ein etwaiges Verfahren durch einfachen Beschluss an sich zu ziehen. Dieses Verfahren ermöglicht eine, am jeweiligen Einzelfall orientierte, maximale Einbindungsmöglichkeit des Deutschen Bundestages.

Die Koalitionsfraktionen stellen fest, dass in der Anhörung des Haushaltsauschusses am 19. September 2011 die Sachverständigen die Ausgestaltung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte, zumindest in der Form der für die Anhörung vorgelegenen grundsätzlichen Leitlinien, ausdrücklich begrüßt haben. Die öffentliche Anhörung hat zudem bestätigt, dass die Erweiterung des Rettungsschirmes sowie die neuen Instrumente dringend notwendig sind. Es wäre falsch, Europa und den Euroraum mit möglichst viel Geld der Steuerzahler zu sichern. Deshalb verschaffen wir den betroffenen Ländern Zeit, damit sie ihre Probleme selbst lösen können. Die Stabilität der Eurozone kann langfristig nur aus sich selbst heraus in Form solider Staatsfinanzen in jedem Mitgliedstaat gesichert werden.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg van Essen, MdB