Frage an Jörn Wunderlich bezüglich Recht

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Jörn Wunderlich
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Frage von Horst S. •

Frage an Jörn Wunderlich von Horst S. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Wunderlich,

ich hätte eine Frage bezüglich der Rechtslage von Frauenhäusern bzw. deren Mitarbeiterinnen.
Angenommen eine Frau zieht mit einem Kind in ein Frauenhaus, und der sorgeberechtigte Vater kann somit sein Sorgerecht nicht ausüben. Ist es dann nicht so, daß sich die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses des Kindesentzugs strafbar machen?

Vielen Dank für eine Antwort

Gruß
Horst Schmidt

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Sehr geehrter Herr Schmidt,

ohne die Details des von Ihnen geschilderten Falles zu kennen, ist mir nur eine allgemeine Einschätzung hinsichtlich einer Strafbarkeit der MitarbeiterInnen des Frauenhauses wegen Kindesentziehung möglich.

Kindesentziehung ist gemäß § 235 des Strafgesetzbuchs (StGB) strafbar. Der vorliegend möglicherweise einschlägige Absatz 1 der Vorschrift lautet:

§ 235 Entziehung Minderjähriger

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. eine Person unter achtzehn Jahren mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List oder
2. ein Kind, ohne dessen Angehöriger zu sein, den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger entzieht oder vorenthält.

Eine Tat nach § 235 Absatz 1 Nummer 1 StGB scheidet vermutlich aus, weil den MitarbeiterInnen des Frauenhauses wohl kaum der Einsatz eines der im Tatbestand genannten Tatmittel (Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel, List) vorgeworfen werden kann. Auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Entziehung Minderjähriger nach §§ 235 Abs. 1, 27 StGB ist nicht ersichtlich. Denn dann müsste die ins Frauenhaus geflohene Mutter ein solches Tatmittel angewandt haben, was sich aber aus Ihrem Vortrag nicht ergibt. Für die Strafbarkeit wegen Teilnahme an der Tat einer anderen Person, muss diese - hier die Mutter - einen Straftatbestand vorsätzlich und rechtswidrig verwirklicht haben.

Nach § 235 Abs.1 Nr. 2 StGB bedarf es dieser Tatmittel nicht. Bei der entzogenen Person, muss es sich aber um ein Kind im Sinne des Strafrechts handeln, das heißt, es muss unter 14 Jahre alt sein (Definition aus § 176 Abs.1 StGB). Die Tathandlung muss in einem Entziehen oder Vorenthalten liegen. Dies ist bei einer räumlichen Trennung des Kindes von den Umgangs- oder Sorgeberechtigten für eine gewisse, nicht nur vorübergehende Dauer, gegeben. Die zur Erfüllung des Tatbestandes erforderliche Dauer hängt entscheidend von dem Grad der Fürsorgebedürftigkeit des Kindes ab. Bei Kleinkindern können schon Zeiträume von wenigen Minuten oder Stunden ausreichen. Bei einem 13jährigen Mädchen hat der Bundesgerichtshof zwei Tage und Nächte als ausreichend erachtet.
Das Einverständnis mit der Entziehung bzw. Vorenthaltung des Kindes durch einen sorgeberechtigten Elternteil - hier der Mutter - schließt den Tatbestand noch nicht aus, da diese den ebenfalls sorgeberechtigten Elternteil - hier den Vater - dabei nicht wirksam vertreten hat, da die Mitnahme des Kindes in das Frauenhaus gegen dessen Willen geschah und davon auszugehen ist, dass den MitarbeiterInnen dieser Umstand bewusst war.

Die MitarbeiterInnen des Frauenhauses haben aber selbst nicht das Kind räumlich von dem sorgeberechtigten Vater getrennt. Vielmehr hat die Mutter es dorthin verbracht. Das Vorenthalten eines Kindes, das von seiner Obhutsperson bereits räumlich getrennt ist, wird zu einer Straftat schon und erst dann, wenn denjenigen, der diese räumliche Trennung aufzuheben unterlässt, gerade eine Garantenpflicht zur Beseitigung dieses Erfolges trifft (Horn/Wolters in StGB Systematischer Kommentar, § 235 StGB, Randnummer 13). Die Aufrechterhaltung der räumlichen Trennung bzw. das Verschweigen des Aufenthaltsorts des Kindes (grundsätzlich strafbar gemäß §§ 235 Abs.1 Nr. 2, 13 StGB) führt also nur dann zur Strafbarkeit, wenn eine rechtliche Pflicht zur Gewährleistung des Sorgerechts bzw. zur Auskunft, beispielsweise aus Gesetz oder rechtswidrigem Vorverhalten, besteht. Da eine solche besondere rechtliche Pflicht der FrauenhausmitarbeiterInnen nicht erkennbar ist, scheidet auch eine Strafbarkeit wegen Unterlassen aus.

Ich hoffe Ihnen mit dieser Antwort etwas weiter geholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Jörn Wunderlich