Frage an Jörn Wunderlich bezüglich Umwelt

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Jörn Wunderlich
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Frage von Kersten K. •

Frage an Jörn Wunderlich von Kersten K. bezüglich Umwelt

Sehr geehrter Herr Wunderlich,

seit Wochen ist die Klimafrage in Vordergrund getreten und die Politiker übertreffen sich in Vorschlägen aller Art, dass man als Bürger nur mit dem Kopf schütteln kann.
Meine Frage ist eigentlich ganz einfach und entstand in den Gesprächen im Freundeskreis: Die Atomkraftwerke sind eigentlich die saubersten Energiegewinnungsanlagen. Man müßte "nur" die Milliarden, welche in militärische Auslandsaktionen gesteckt werden und die Windkraftfördergelder in die Forschung der Atomenergie einsetzen, damit die Sicherheit der Kernkraftwerke verbessert und die Entsorgung der Brennstäbe gesichert wird.
Warum wird dies nicht in der EU diskutiert und in Angriff genommen. Deutschland sollte hier wieder Vorreiter sein und die Atomkraft wieder vorrantreiben. Wenn die saubere Atomenergie gesichert ist, dann ist doch ein effizienter Beitrag zur Erhaltung der Umwelt getan.
Wie gesagt, die Forschung und Entwicklung der Atomenergie ist in unseren Augen wichtiger als alle anderen Aternativenergieanlagen.
Vielleicht können wir über Sie Argumente erfahren, warum die Atomenergie in Deutschland so ungerecht behandelt wird.

Mit freundlichen Grüßen
K.Koch

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte/r Frau/Herr Koch,

zunächst bitte ich, die durch ein Versehen verspätete Beantwortung Ihrer Frage zu entschuldigen.
Warum die Atomenergie in Deutschland nach Ihrer Auffassung so schlecht behandelt wird, vermag ich nicht einzuschätzen. Ich kann Ihnen aber 10 Gründe nennen, weshalb Die Linke für einen Atomausstieg plädiert und ich diese Positionen unterstütze.

*1. Atomkraftwerke sind gefährlich*
Die Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 hat uns die Gefahr der Atomenergienutzung vor Augen geführt. Der überhebliche Glaube an die Beherrschbarkeit der Strahlentechnik hat Viele das Leben gekostet. Eine Viertelmillionen Menschen verloren ihre Heimat. Noch immer leiden Tausende an den Folgen des Strahlenunfalls. Seither ringt Deutschland – wie viele andere Staaten auch – um den Ausstieg aus der Atomenergie. Doch noch immer ist die Gefahr allgegenwärtig. Erst im Juli 2006 stand der schwedische Atomreaktor Forsmark wenige Minuten vor einem GAU. Nur durch einen Zufall wurde eine erneute Reaktor- Katastrophe verhindert. Ursache war ein Verdrahtungsfehler in der Notstromversorgung, der lange unbemerkt blieb. In keiner technischen Anlage gibt es 100prozentige Sicherheit. Im Falle der Atomenergie können Routine und Fehler verheerende Folgen haben. Deshalb gilt: Finger weg von der unbeherrschbaren Atomkraft.

*2. Strahlenmüll bleibt über Jahrtausende giftig*
Verbrauchte Uran-Brennstäbe, wie sie beispielsweise im Atomkraftwerk Biblis verwandt werden, enthalten zahlreiche hochradioaktive Spaltprodukte. Sie müssen über mehrere 100.000 Jahre sicher verwahrt werden, um eine Verstrahlung von Menschen und Umwelt oder einen Missbrauch des Materials zu verhindern. Doch alle bisherigen Versuche ein geeignetes Endlager zu finden sind weltweit gescheitert. In Deutschland hat sich der Salzstock Gorleben als völlig untauglich für die Brennelemente-Endlagerung herausgestellt. Trotzdem wird von Seiten der CDU/CSU und der FDP versucht, den Standort politisch durchzudrücken. Das heißt: der jetzige sorglose Umgang mit Atomenergie wird zur Bedrohung unserer Kinder und Enkel. Damit kein weiterer Strahlenmüll anfällt, ist der Atomausstieg deshalb der einzig Weg.

*3. Deutscher Atomstrom leistet kein Beitrag zum Klimaschutz*
RWE und Co. behaupten, Atomkraftwerke könnten den Ausstoß von Klimagasen verringern. Das ist schlicht falsch. Um den Ausstoß von Klimagasen einzuschränken, wurde europaweit der Emissionshandel eingeführt. Deutsche Energieversorger dürfen dabei nur begrenzte Mengen Kohlendioxid (CO2) in die Luft blasen. Dazu bekommen sie von der Bundesregierung so genannte Verschmutzungsrechte kostenlos zugeteilt. Die Konzerne beklagen sich ohnehin über eine zu knappe Ausstattung mit Emissionszertifikaten für ihre Kohle- und Gaskraftwerke. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass sie für längere laufende Atommeiler Kohlekraftwerke abschalten.

*4. Atomenergie verhindert den Ausbau der erneuerbaren Energien*
Neue Atommeiler zementieren kartellartige Strukturen in der Energieversorgung. Nur die Monopolisten RWE oder Vattenfall könnten die damit verbundenen Investitionskosten schultern. Nuklearer Grundlast-Strom verträgt sich auch nicht mit den Anforderungen an eine moderne Energieerzeugung. Gefragt sind zukünftig dezentrale, schnell regelbare Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung, die den wachsenden Anteil von Strom aus Wind, Sonne und Bioenergie ergänzen. Schon Laufzeitverlängerungen bedeuten deshalb eine fahrlässige Verzögerung im Klimaschutz.

*5. Atomstrom bedeutet hohe Strompreise*
In Deutschland sind noch 17 Atomkraftwerke am Netz und liefern gut ein Viertel des Stroms. Dennoch sind die Strompreise in den letzten Jahren rasant gestiegen. Der Trick: der Marktpreis für Strom wird am teuersten Spitzenlast-Kraftwerk festgemacht, das immer nur anspringt, wenn kurzzeitig viel Energie gebraucht wird. Das ist in etwa so, als würde für alle Äpfel auf dem Wochenmarkt immer das teuerste Preisschild gelten – egal ob das Obst wurmstichig ist oder nicht. So produzieren marode und gefährliche Atommeiler scheinbar billige Grundlast-Energie. Diese wird aber zu Höchstpreisen auf den Markt gebracht. Längere Laufzeiten von Atomreaktoren garantieren deshalb lediglich hohe Profite auf Kosten der Stromkunden.

*6. Atomenergie kann die Versorgungssicherheit nicht erhöhen*
Bei Erdgas und Mineralöl ist Deutschland überwiegend abhängig von den Importen aus anderen Ländern. Der Gasstreit zwischen Russland und Ukraine Anfang 2006 und die abgedrehte Ölhähne im Januar 2007 haben das als Problem deutlich gemacht. CDU/CSU und FDP rufen nun panikartig nach mehr Atomenergie. Aber auch Uran muss der nukleare Brennstoff zu 100 Prozent importiert werden, ein Großteil davon wiederum aus Russland. Uranerz ist aber, wie Öl und Gas auch, eine begrenzte Ressource. Beim jetzigen Verbrauch reichen die Reserven noch für 70 Jahre – bei mehr Atomenergie entsprechend kürzer. Hinzu kommt: Der Uranabbau findet oft unter menschenunwürdigen Bedingungen statt. Arbeiterinnen und Arbeiter werden verstrahlt und ganze Landstriche werden radioaktiv verseucht.

*7. Atomenergie verschlingt Steuergelder*
Mindestens 67 Milliarden Euro haben die deutschen Steuerzahler bisher über Subventionen in die Atomenergie gesteckt. Auf der anderen Seite machen die Betreiber pro Jahr und Reaktor im Schnitt 300 Millionen Euro Reingewinn. Auch der Neubau von Atommeilern wäre ohne massive Subventionen nicht vorstellbar. Augrund der hohen Baukosten sind Atomkraftwerke für Energiekonzerne unrentabel. Sie sind etwa viermal teurer als konventionelle Anlagen. Das macht massive Staatszuschüsse nötig oder es müssten Abstriche bei der Sicherheit gemacht werden.

*8. Längere Laufzeiten erhöhen die Terrorgefahr*
Atomkraftwerke und Castor-Transporte sind ein potentielles Ziel für Terroristen. Der Zugriff auf nukleares Spaltmaterial oder ein Angriff von Atomanlagen aus der Luft durch Terrorgruppen ist eine reale Gefahr. Aktuelle Gutachten belegen: deutsche Atomreaktoren halten dem Einschlag eines Flugzeugs nicht stand. Die Reaktorbetreiber wollen darauf allen Ernstes mit Nebelkerzen reagieren. Um die Anlagen vor gezielten Flugzeugabstürzen zu schützen, sollen sie im Nebel verschwinden. Es ist zu bezweifeln, dass sich Fanatiker von solchen Maßnahmen beeindrucken lassen.

*9. Die Strahlen-Technik verführt zu militärischem Missbrauch* Der Konflikt mit dem Iran um die Atomenergie macht die Gefährlichkeit der Nukleartechnik deutlich. Unter dem Deckmantel der „friedlichen Nutzung“ will sich Iran zur Atommacht aufschwingen. Das hätte fatale Folgen, denn ein militärischer Missbrauch ist nicht auszuschließen. In den vergangenen Jahren ist es bereits Indien, Pakistan und Nordkorea gelungen, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen. Der Bau von Atomkraftwerken ist dazu die „Einstiegsdroge“. Die Außenpolitik Deutschlands und Europas wird mit den Rufen nach mehr Atomenergie zunehmend unglaubwürdig. Wir können von Entwicklungs- und Schwellenländern nicht Verzicht fordern und gleichzeitig neue Atomkraftwerke in Europa planen.

*10. Es gibt keine Renaissance der Atomenergie*
In der aktuellen Diskussion um den Atomausstieg wird von der Energielobby behauptet, Europa stünde vor einem Wiedereinstieg in die Atomenergie. Das ist Unsinn. 17 von 27 EUStaaten nutzen die Atomenergie nicht oder haben den Ausstieg beschlossen. Zum Jahreswechsel 2007 sind europaweit sieben weitere Atommeiler aus Sicherheitsgründen abgeschaltet worden. Nur ein Kraftwerk in Finnland ist hingegen in Bau. Aber selbst dabei gibt es erhebliche Probleme: Aufgrund von Baumängeln und Sicherheitsverstößen verzögert sich der Bau bereits um ein auf fünf Jahr und die Betreiberfirma hat bereits einen Verlust von 300 Millionen Euro eingefahren.

Mit freundlichen Grüßen
Jörn Wunderlich