Frage an Josip Juratovic bezüglich Soziale Sicherung

Josip Juratovic MdB
Josip Juratovic
SPD
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Frage von Nicolai W. •

Frage an Josip Juratovic von Nicolai W. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Juratovic,

vor allem sozialdemokratische Politiker bemühen in Interviews oft das Sinnbild der "starken Schultern", wenn es darum geht, von (bestimmten) Bürgern mehr Steuern, Gebühren oder Beiträge zu verlangen.
Mich würde Ihre persönliche Meinung als der Vertreter Ihrer Partei für Arbeit und Soziales in BW interessieren.
Wo genau ist der Übergang von "normalen Schultern" auf "starke Schultern"? Ab welchem Jahres- oder Monats- Gehalt (als Single, Familie ... netto o. brutto) oder ab welcher Höhe von Eigentum sollte ich mich angesprochen fühlen wenn weitere Belastungen zumindest diskutiert bzw geplant wird?

Ehrlich gesagt weiß ich nie genau, ob meine Familie bzw ich selber mit meiner individuellen und konkreten Gehaltssituation mit einer derartigen Ankündigung Ihrer Parteigenossen gemeint bin oder nicht.

Vielen Dank für Ihre Hinweise zur Interpretation eines doch recht oft gewählten Sinnbildes,

mit freundlichen Grüßen,

Nicolai Wrigg

Josip Juratovic MdB
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wrigg,

ich bedanke mich für Ihre Frage, die ein in der Tat häufig - und meiner Meinung nach auch zu recht - benutztes Symbol aufgreift. Dass starke Schultern mehr tragen sollen als schwache Schultern, ist die solidarische Prämisse unserer Gesellschaft.

Insbesondere das Steuersystem baut darauf auf. Durch die Steuerprogression tragen Bürgerinnen und Bürger mehr zu unserem Staat bei, je mehr sie verdienen. Eine genaue Definition von ,reich´ ist hier nicht sinnvoll, da die Progression nicht auf einem Stufenmodell aufbaut, sondern progressiv mit dem Einkommen ansteigt. Die Aussage, dass stärkere Schultern mehr tragen sollen als schwache, drückt damit im Fall der Steuerprogression das Ansteigen des Steuersatzes mit höherem Einkommen aus.

Der Spitzensteuersatz von 42 % fällt ab einem zu versteuernden Einkommen von 52.152 Euro an. Seit 2007 wird bei Ledigen ab 250.000 Euro, bei Verheirateten ab 500.000 Euro Einkommen für jeden Euro, der über diesem Grenzwert liegt, der Grenzsteuersatz von 45 % fällig. Dass Menschen, die nach allen Steuererleichterungen unter den Spitzensteuersatz oder die so genannte ,Reichensteuer´ fallen, als ,starke Schultern´ gelten können, ist wohl unbestritten.

Als arm gelten Alleinlebende, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdienen, das sind 781 Euro netto. Nach dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom Juni 2008 gelten 13 Prozent der Deutschen als arm. Als Definition des relativen Reichtums - also alle, die mehr als doppelt so viel wie das mittlere Einkommen erhalten - gelten Alleinlebende, die mehr als 3.418 Euro netto pro Monat zur Verfügung haben; für einen Paarhaushalt mit zwei Kindern unter 14 Jahren sind dies 6.863 Euro netto.

Vielleicht können Sie anhand dieser Zahlen ablesen, wie Sie und Ihre Familie damit in der deutschen Einkommensspreizung liegen.

Mir ist es wichtig, zu betonen, dass statistische Zahlen immer von einer relativen Armut und einem relativen Reichtum sprechen, das heißt arm und reich werden immer in Relation zum mittleren Einkommen der Bevölkerung gesetzt. Was absolut arm und absolut reich ist, ist eine oft weniger statistisch fassbare Definition.

Der Ausspruch, dass starke Schultern mehr tragen sollen als schwache, ist also verbunden mit der Steuerprogression, dem Spitzensteuersatz und der Definition von relativer Armut und relativem Reichtum. Was sich seit dem Beginn der Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung 2001 beobachten lässt, ist die zunehmende Spreizung der Einkommen. Während die Mittelschicht schrumpft, nehmen relative Armut und relativer Reichtum zu - relative Armut übrigens deutlich mehr als Reichtum. Dass starke Schultern mehr zu unserem Staat beitragen sollen als schwache, soll damit auch diese zunehmende Einkommensspreizung abmildern.

Dass wir diese Prämisse immer wieder in praktische Politik umsetzen müssen, ist für mich ein Grundsatz meiner politischen Arbeit.

Ich hoffe, dass ich Ihnen damit etwas weiterhelfen konnte.

Freundliche Grüße aus Berlin
Josip Juratovic MdB

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