Hohe Preissteigerungen bei der Lebenshaltung, Inflation bei den Vermögenswerten, Festschreibung der Nullzinspolitik führen zu einer Enteignung des Bürgers: Was konkret werden Sie dagegen tun?

Josip Juratovic MdB
Josip Juratovic
SPD
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Frage von Klaus H. •

Hohe Preissteigerungen bei der Lebenshaltung, Inflation bei den Vermögenswerten, Festschreibung der Nullzinspolitik führen zu einer Enteignung des Bürgers: Was konkret werden Sie dagegen tun?

Josip Juratovic MdB
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für Ihre Nachfrage. Der Themenkomplex Inflation und Null-Zins-Politik ist verständlicherweise einer, der viele Menschen bewegt - macht er doch Angst, dass sich hier hart erarbeitetes und erspartes Geld gewissermaßen in Luft auflöst. Er ist aber auch Themenkomplex, der von sehr vielen Annahmen und Weisheiten geprägt ist, die in der modernen Wirtschaftsforschung als veraltet oder auch schlicht falsch gelten.

Während man so beispielsweise in der Vergangenheit davon ausging, dass Inflation primär durch die Geldmenge beeinflusst war (und damit aktuell vermeintlich von von der Null-Zins-Politik), sieht die Realität hinter der aktuell erhöhten Inflationsrate sehr anders aus. Das Statistische Bundesamt macht dies in seinen monatlichen Berichten auch sehr transparent und erklärt, das wir derzeit das Zusammenspiel von zwei Faktoren sehen: 1) der temporären Senkung der Mehrwertsteuer, die die Preise im vergangenen Jahr künstlich gesenkt hat zum (erfolgreichen) Anschub der Konjunktur und 2) der steigenden Energiepreise, die zudem letztes Jahr bedingt durch den pandemischen Stillstand großer Teile der Wirtschaft ebenfalls außergewöhnlich niedrig waren - Sie erinnern sich vielleicht an den Kollaps des Ölpreises bis zu zwischenzeitlich negativen Preisen aufgrund mangelnder Lagerkapazitäten. Solche kurzfristigen Fluktuationen in der Inflationsrate sind kein Grund zur Sorge - mittel- und langfristig erwarten Ökonomen wie Finanzmärkte derzeit keine signifikante Steigerung der Inflation wie beispielsweise aus den nach wie vor negativen Zinsraten für deutsche Staatsanleihen sichtbar ist. Gäbe es eine ernsthafte Erwartung von höherer Inflation würden diese als Möglichkeit, sicher Vermögen zu "parken", bereits jetzt rasant ansteigen.

Das ändert aber nun ja jetzt im Moment wenig daran, dass insbesondere steigende Energiepreise zunehmend den Geldbeutel von Personen mit niedrigen und mittleren Einkommen belasten. Als SPD hat unsere politische Antwort darauf zwei Teile:

1) Wir möchten bis 2025 die EEG-Umlage, die derzeit als Aufschlag auf Energiepreise den Ausbau der Erneuerbaren finanziert, abschaffen und dies durch eine sozial verträgliche CO2-Bepreisung kompensieren.

2) Wir nehmen die Einnahmen-Seite der Bürger in den Blick. Durch eine steuerliche Entlastung für niedrige und mittlere Einkommen, ebenso wie durch die Erhöhung des Mindestlohns auf 12€ für knapp 10 Millionen Arbeitnehmer:innen. Beide Maßnahmen würden in der Summe die Steigerungen der Energiepreise mehr als kompensieren.

Abschließend noch einige Worte zur Null-Zins-Politik der EZB, die in Deutschland zu Unrecht für viele negative Entwicklungen verantwortlich gemacht wird. Die EZB hat das Mandat, Preisstabilität sicherzustellen, d.h. ein konstantes Inflationsniveau von rund 2% zu halten. Nähert sich die Inflation dem Nullpunkt an, sinkt der Anreiz, heute Geld auszugeben, sei es zum Konsum oder zur Investition. So können ganze Volkswirtschaften ins Stocken geraten bis hin zur Deflation. In dieser Situation steigt der Wert des Geldes konstant, die Preise fallen immer weiter. Konsumenten, Privatleute wie auch Unternehmen, erwarten in Folge, dass Produkte in Zukunft immer günstiger werden und schieben Kaufentscheidungen unbegrenzt auf - die Nachfrage und damit die wirtschaftliche Aktivität kollabiert in einer schwer zu durchbrechenden Abwärtsspirale.

Ab 2013 und 2014 wurde dies in der Eurozone zu einer konkreten Gefahr. Die Gründe dafür sind vielfältig - teils bedingt in der Konstruktion des Währungsraums mit insbesondere einem starken deutschen Leistungsbilanzüberschuss, teils aber auch bedingt durch langfristige Trends in allen entwickelten Industrienationen hin zu einem verfallenden Realzins. Mit ihrer Niedrigzinspolitik versucht die EZB seitdem, ebenso wie auch die Federal Reserve in den USA, gegen diesen gefährlichen Trend zu steuern und durch "günstiges Geld" Investitionen und wirtschaftliche Aktivität anzuregen. Anders als es hierzulande oft wahrgenommen wird, setzt die EZB dabei nicht wie ein Amt für Zinsen den Zins, den Privatpersonen auf dem Sparkonto ihrer Bank erhalten, sondern sie reagiert auf die Entwicklung des Realzinses als Wirtschaftsphänomen. Sie könnte damit auch nicht durch einen Politikwechsel plötzlich die Zinsen für deutsche Sparer anheben. Im Gegenteil, durch "teureres Geld" würde wirtschaftliche Aktivität abgewürgt und Europa schnell in eine Rezession oder gar Depression steuern. Das wäre nicht nur für die Staaten im europäischen Süden katastrophal, sondern auch für Deutschland mit unserem auf Export basierenden Wirtschaftsmodell: Wenn niemand da ist, der Geld hat um unsere Autos und Maschinen zu kaufen, dann können wir auch nichts verkaufen.

Wenn Ihnen also jemand versucht weißzumachen, dass es nur einen Wechsel in der Zins-Politik der EZB braucht, damit sich Sparen in Deutschland wieder lohnt, dann ist das sehr kurz gedacht und zeugt von keinem fundierten Verständnis wirtschaftlicher Gesamtzusammenhänge. Die Probleme sind komplexer. Was allerdings stimmt, ist dass wir aus diesem Sumpf nicht durch Geldpolitik allein entkommen können oder sie alternativlos ist. Die Null-Zins-Politik der EZB versucht, private Investitionen anzuregen - wir können warten bis das geschieht oder als Staaten handeln und fiskalpolitisch nachhelfen. Mit Konjunktur- und Investitionsprogrammen - finanziert durch höhere Steuern für Spitzenverdiener, auf Vermögen der Ultrareichen oder große Erbschaften, aber auch durch Neuverschuldung - könnten wir nicht nur dafür sorgen, dass deutsche Unternehmen ihr Geld im Inland verdienen und so unsere wirtschaftliche Abhängigkeit vom Export und den wirtschaftlichen Bedingungen im Ausland verringern, sondern auch Arbeitsplätze hier vor Ort schaffen, unsere Infrastruktur auf Vordermann bringen (Straßen, Schulen, Bahnnetze, Breitbandausbau, Gesundheitsversorgung etc.) und so die Bedingungen für ein langfristiges Wachstum unseres Wohlstands schaffen und Investitionen von Sparern in deutsche Unternehmen zinskräftiger machen. Präsident Biden demonstriert derzeit in den Vereinigten Staaten wie das aussehen kann und als Sozialdemokrat:innen kämpfen wir mit Olaf Scholz dafür, das auch hier ein solcher Paradigmenwechsel stattfindet.

Ich hoffe, dass ich Ihnen damit Ihre Frage zufriedenstellend beantworten konnte und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Josip Juratovic

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