Frage an Jürgen Klimke bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Jürgen Klimke
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Frage von Mario B. •

Frage an Jürgen Klimke von Mario B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Klimke,

der US Supreme Court verhandelt aktuell einen Fall mit großen Auswirkungen auf die weltweite Durchsetzbarkeit von Menschenrechten, den sog. Kiobel Case. Es geht darum, inwieweit Shell in den USA wegen Menschenrechtsverstößen in Nigeria gegen die Ogoni auf Schadensersatz verklagt werden kann.

Der Fall hat weltweite Bedeutung, weil mit ihm auch geklärt werden wird, ob sich multinationale Unternehmen für Menschenrechtsverstöße, die in anderen Ländern als den USA begangen wurden, weiterhin vor US Gerichten verantworten müssen.

Während die Obama Regierung und die Vereinten Nationen im Kiobel Case die Partei der Ogoni Volksgruppe ergriffen, hat sich die Bundesregierung in einer völlig unerwarteten Stellungnahme auf die Seite von Shell gestellt. Der US Supreme Court hat nun den Fall auf September 2012 vertagt.

Dazu habe ich folgende Fragen an Sie als Hamburger Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Bundestags:

1.) Wer genau hat die Stellungnahme der Bundesregierung in Auftrag gegeben? Wer war an der Vergabe beteiligt (Namen, Position, Abteilung) ?
2.) Gab es bezüglich des Kiobel Falles Kontakte zwischen der Bundesregierung, dem Außenministerium oder anderen Behörden und der Firma Shell bzw. ihren Vertretern oder Lobbyisten oder anderen Firmen und/oder Verbänden? Wenn ja welche?
3.) Wer trägt die politische Verantwortung für diesen Vorgang und die Stellungnahme?
4.) Plant die Bundesregierung mit einer weiteren Stellungnahme für die nächste Anhörung im US Supreme Court noch einmal in den Fall einzugreifen?

Wie bewerten Sie persönlich das Vorgehen der Bundesregierung im Kiobel Case? Könnten Sie sich vorstellen, eine Resolution zu unterstützen, in welcher sich der Bundestag von der Stellungnahme der Bundesregierung im Kiobel Case distanziert?

Quellen:
FAZ: http://www.faz.net/-gq7-6yy63
taz : http://bit.ly/Jn9Im3
Kiobel Case samt Stellungnahmen: http://bit.ly/AmFfPr
Stellungnahme der Bundesregierung: http://bit.ly/Kuo99f

Portrait von Jürgen Klimke
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Broccucci,

Gerne gebe ich Antwort auf Ihre Anfrage bei abgeordnetenwatch. Ich stütze mich auf die Analyse der Bundesregierung und nach Durchsicht der Unterlagen, empfinde ich das Verhalten richtig und angemessen.

Welche inhaltliche Motivation verfolgt die Bundesregierung?

Die Bundesregierung ist besorgt darüber, dass die deutschen Souveränitäts- interessen von einer weiten Auslegung des ATS durch das höchste US-amerika- nische Gericht beeinträchtigt werden könnten. Da Entscheidungen des U.S. Supreme Court Präzedenzwirkung haben und nicht zu erwarten ist, dass dieser in absehbarer Zeit erneut über die Auslegung des ATS urteilen wird, hat die Entscheidung im Fall Kiobel hohe Bedeutung für die zukünftige Anwendung des Gesetzes. Das Urteil wird somit weit über den konkreten Fall hinausrei- chende Wirkungen entfalten und kann auch für potentielle deutsche Streitpar- teien Bedeutung erlangen. Aus diesen Gründen hat die Bundesregierung ihre Besorgnis durch die prozessual zulässige Intervention („amicus curiae brief“) zum Ausdruck gebracht.

Welchen inhaltlichen Bezug hat die Bundesregierung zu dem Verfahren oder seinen Beteiligten?

Die Bundesrepublik Deutschland wird in ihrer Gesetzgebungshoheit betroffen, wenn ein US-amerikanisches Gesetz so weit ausgreifen kann, dass es die Reichweite der deutschen Justizgewährleistung unangemessen einschränkt. Die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland wird verletzt, wenn deutsche Unternehmen und Privatpersonen durch US-amerikanische Gerichte der US- amerikanischen Rechtsprechung auch dann unterworfen werden, wenn sie keine Berührungspunkte mit den Vereinigten Staaten von Amerika haben.

Handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren um einen „Ausnahmefall“, bei dem ein „besonderes öffentliches Interesse vorliegt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/992, Antwort der Bundesregierung zu Frage 6), der die Bundesregierung dazu bewogen hat, einen amicus curiae brief zu verfassen?

Falls ja, worin ist dieses besondere öffentliche Interesse begründet?

Falls nein, warum ist die Bundesregierung von ihrem Grundsatz abgewichen und hat dennoch einen amicus curiae brief verfasst?

Das besondere öffentliche Interesse für die Bundesrepublik Deutschland erklärt sich aus den menschenrechtlichen Erwägungen.

Welches Bundesministerium hatte die Federführung bei dem Verfassen und Versenden des amicus curiae briefes, und welche Stelle dort konkret war für das Verfassen verantwortlich?

Mit welchen Bundesministerien oder anderen Stellen der Bundesregierung wurde die Position der Bundesregierung aus dem amicus curiae brief abgestimmt?

Gab es zwischen den beteiligten Bundesministerien eine übereinstimmende politische Einschätzung?

Der amicus curiae brief ist verfasst worden von dem US-amerikanischen Rechtsanwaltsbüro Jeffrey Harris u. a. in Washington D.C., das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in Absprache mit dem Bundesministerium der Justiz und dem Auswärtigen Amt beauftragt worden ist. Den Inhalt der Stellungnahme gegenüber dem U.S. Supreme Court haben die ge-nannten Ministerien ebenfalls abgestimmt. Innerhalb der Ministerien waren die jeweils sachlich zuständigen Referate verantwortlich.

Beabsichtigt die Bundesregierung, in diesem Verfahren einen weiteren amicus curiae brief zu verfassen?

Falls ja, mit welchen zusätzlichen oder abgeänderten Inhalten im Vergleich zu dem vom 2. Februar 2012?

Der U.S. Supreme Court hat am 5. März 2012 angekündigt, das Verfahren fort- zusetzen, und den Parteien und „amici curiae“ Gelegenheit gegeben, zur folgenden konkreten Frage ergänzend Stellung zu nehmen: „Whether and under what circumstances the Alien Tort Statute, 28 U.S.C. § 1350 allows courts to recognize a cause of action for violations of the law of nations occurring within the territory of a sovereign other than the United States.“ Da dies die Rechtsfrage ist, an der ein besonderes deutsches Interesse besteht und zu der sich die Bundesregierung in der Vergangenheit geäußert hat, prüft die Bundesregierung gemeinsam mit ihren EU Partnern, ob sie eine ergänzende Stellungnahme abg ben soll.

Warum hat die Bundesregierung in einem anderen Klageverfahren (Bau- man et al. v. Daimler-Chrysler) auf Grundlage des ATCA wegen des Verschwindenlassens und der Folterung von Gewerkschaftern aus Mercedes- Benz Werken in Argentinien explizit erklärt, dass sie keine Einwände gegen eine solche Klage erhoben habe (vgl. dazu: http://gabyweber.com/dwnld/email_AA.pdf )?

Die unter der angegebenen Internetadresse abrufbare Kopie einer Mail der Pressestelle des Auswärtigen Amts enthält keine Bewertung des genannten Verfahrens und sagt insbesondere nicht, dass die Bundesregierung keine Ein- wände gegen dieses Verfahren habe, sondern lediglich, dass keine Einwände in dem Verfahren geltend gemacht wurden.

Welche Argumente führen bei der Bundesregierung zu der in dem amicus curiae brief generell geäußerten Überzeugung: „The Federal Republic of Germany believes that overbroad exercises of jurisdiction are contrary to international law and create a substantial risk of jurisdictional conflicts with other countries.”?

Grundsätzlich kann jeder Staat aufgrund seiner Personal- und Territorialhoheit auf seinem Gebiet Jurisdiktion ausüben. Es steht ihm frei, die Reichweite der internationalen Zuständigkeit seiner Gerichte zu bestimmen. Sofern die Anknüpfung eine gewisse Sachnähe aufweist, kann den Gerichten auch extra- territorial wirkende Entscheidungsmacht verliehen werden. Wenn bei der Grenzziehung im Verhältnis zur Jurisdiktionsgewalt anderer Staaten jedoch nicht Maß gehalten und Rücksicht genommen wird, entstehen Jurisdiktionskonflikte, die zu völkerrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Staaten über die Wirksamkeit dieser Grenzziehung führen können. Das ist auf jeden Fall zu vermeiden.

Welche(r) konkrete(n) Anlass/Anlässe führen die Bundesregierung zu der in dem amicus curiae brief geäußerten Besorgnis: „The Federal Republic of Germany is concerned that the failure by some United States courts to take into account limitations on the exercise of their jurisdiction when construing the Alien Tort Statute, 28 U.S.C. § 1350 („ATS“), has resulted in the asser- tion of subject matter jurisdiction over suits by foreign plaintiffs against foreign corporate defendants for conduct that took place entirely within the territory of a foreign sovereign and lack sufficient nexus to the United States. Such assertions of jurisdiction are likely to interfere with foreign sovereign interests in governing their own territories and subjects and in applying their own laws in cases which have a closer nexus to those countries.“?

Der U.S. Supreme Court ist mit dem Verfahren vor allem deshalb befasst wor- den, weil verschiedene US-Berufungsgerichte die Reichweite des ATS unter- schiedlich weit gezogen haben (Übersicht über die Rechtsprechung in American Journal of International Law 2011 S. 799 ff.). Eine Analyse dieser Entscheidun- gen verstärkte den Eindruck, dass die bisher eher zurückhaltende Rechts- auslegung des U.S. Supreme Court in Sachen Sosa gegen Alvarez- Machain (542 U.S. 6932 (2004)) zur Reichweite der internationalen Zuständigkeit US- amerikanischer Gerichte wegen Menschenrechtsverletzungen nach dem ATS bei der Beteiligung von international tätigen Unternehmen aufgegeben werden könnte. Die Bundesregierung hat die erneute Befassung des U.S. Supreme Court mit dem ATS deshalb zum Anlass genommen, dem höchsten US-Gericht ihre Rechtsauffassung zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten darzulegen.

In welchen Fällen hat die Bundesregierung die staatliche Souveränität Deutschlands durch eine weitgehende Inanspruchnahme von Gerichtsbarkeit in den USA durch den ATCA bislang verletzt gesehen?

Die Bundesregierung hat auf Anforderung des US-Gerichts, wie erwähnt, in den Verfahren Balintulo/Ntsebesa gegen u. a. Rheinmetall AG und Daimler AG eine Stellungnahme abgegeben, die das besondere deutsche Interesse an einer angemessenen Abgrenzung der Jurisdiktionsbereiche beider Staaten zum Ausdruck bringt.

Welche Staaten teilen die o. g. Befürchtung der Bundesregierung und haben diese auch bereits in Verfahren auf Basis des ATCA durch das Verfassen eines amicus curiae briefes zum Ausdruck gebracht?

Soweit bekannt teilen sowohl die Niederlande als auch das Vereinigte König- reich unter anderem die Befürchtung einer unangemessen weiten Inanspruchnahme internationaler Zuständigkeit durch US-Gerichte.

Wie vereinbart die Bundesregierung diese Sorge vor weitgehender ex- traterritorialer Rechtsanwendung durch die USA mit dem Umstand, dass auch im deutschen Zivilrecht sogenannte anknüpfungsarme Gerichtsstände vorgesehen sind, wie z. B. in § 23 der Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere angesichts der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass selbst eine weite Auslegung des § 23 ZPO nicht gegen internationales Recht oder Verfassungsrecht verstoße (vgl. Bundesge- richtshof, Urteil vom 2. Juli 1991, XI ZR 206/90, S. 92f.: „In der nur am Wortlaut orientierten Auslegung ist § 23 ZPO […] weder verfassungs- noch völkerrechtswidrig, […].“)?

Sogenannte anknüpfungsarme Gerichtsstände werden von den deutschen Ge- richten, und darauf kommt es an, zurückhaltend ausgelegt und in Anspruch ge-**

nommen. Dies trifft auch auf den Gerichtsstand nach § 23 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu und wird durch eine ausführlichere Wiedergabe der in der Frage zitierten Textstelle aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs verdeutlicht: „In der nur am Wortlaut orientierten Auslegung ist § 23 ZPO zwar [Hervorhebung durch Verfasser] weder verfassungs- noch völkerrechtswidrig (…), jedoch hin- sichtlich seiner inneren Berechtigung umstritten. (…) Es bedarf einer auch vom Bundesverfassungsgericht für geboten erachteten, ,völkerrechtkonformen‘ Auslegung durch die Gerichte (…).“ Eine derart völkerrechtskonforme Auslegung nimmt der Bundesgerichtshof in dem zitierten Urteil dann dergestalt vor, dass er für die Annahme der internationalen Zuständigkeit gemäß § 23 ZPO neben der Belegenheit des Vermögens in Deutschland einen hinreichen- den Inlandsbezug des Rechtsstreits für erforderlich erachtet.

Welche Erkenntnisse oder Erfahrungen führen die Bundesregierung zu ihrer Auffassung aus dem amicus curiae brief, dass ausländische Opfer etwaiger Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen im Aus- land gemäß § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) i. V. m. den §§ 13, 17 und 32 ZPO vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz klagen könnten?

Falls die Bundesregierung keine Erkenntnisse über ein Verfahren haben sollte, in dem ausländische Opfer etwaiger Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen im Ausland gemäß § 823 BGB i. V. m. den §§ 13, 17 und 32 ZPO vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz kla- gen bzw. geklagt haben, wieso stellt sie diesen Weg dann trotz des Feh- lens jeglicher Gerichtspraxis als mögliche Alternative dar?

Die deutsche Rechtslage lässt in angemessener Weise Schadensersatzklagen wegen Menschenrechtsverletzungen zu, die ausreichenden Inlandsbezug haben. Eine möglicherweise fehlende Rechtspraxis ändert daran nichts. Ob eine fehlende Rechtspraxis auch darauf zurückzuführen ist, dass das US-amerikanische Recht hier mit höheren und besonderen Schadensersatzsummen und mit einem besonders klägerfreundlichen Verfahrensrecht ein attraktiveres Forum darstellt, ist der Bundesregierung nicht bekannt.

Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung neben der in dem amicus curiae brief beschriebenen Form der Klageeinreichung über die §§ 13, 17 und 32 ZPO weitere verfahrensrechtliche Möglichkeiten, um im Falle einer Klage von Opfern etwaiger Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen im Ausland einen deutschen Gerichtsstand herbeizuführen?

Bei der Vielzahl von möglichen Sachverhalten, die unter die Verletzung von Menschenrechten subsumiert werden könnten, ist eine befriedigende Beantwortung dieser Frage nicht möglich. Möglicherweise kann aber die allgemeine oder spezielle Haftung für die Schädigung absoluter Rechtsgüter der Menschen- rechtsträger aufgrund besonderer Fallgestaltung und spezialgesetzlicher Zustän- digkeitsvorschrift auch in einem anderen internationalen Gerichtsstand des deutschen Rechts geltend gemacht werden.

Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 („Brüssel I-VO“) regelt primär die Zuständigkeit zwischen den Zivilgerichten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Artikel 2 der Verordnung bestimmt, dass der allgemeine Gerichtsstand einer Person an deren Wohnsitz liegt. Insoweit entspricht Artikel 2 der Verordnung den Gerichtsstandsregelungen in §§ 13 und 17 ZPO, so dass ein gesonderter Hinweis auf diese Vorschrift aus Sicht der Bundesregierung nicht erforderlich war.

Ist der Bundesregierung bekannt, dass im Falle einer Klage von Opfern etwaiger Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen im Aus- land vor einem deutschen Gericht in materieller Hinsicht nicht § 823 BGB zur Anwendung käme, sondern das über Artikel 4 Rom-II-Verordnung zu ermittelnde Deliktsstatut, wonach die lex loci delicti commissi – also im Regelfall das Recht desjenigen Staates, in dem die behauptete Menschenrechtsverletzung begangen wurde – Anwendung fände?

Wenn ja, wieso lässt die Bundesregierung in dem amicus curiae brief dies unerwähnt?

Die Rom-II-Verordnung findet nach ihrem Artikel 31 nur auf schadensbegrün- dende Ereignisse Anwendung, die nach ihrem Inkrafttreten am 11. Januar 2009 eintreten. Sie wäre auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Insoweit gelten Artikel 40, 41 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetz- buche (EGBGB), die auf den Handlungs- und Erfolgsort bzw. auf sachnähere Anknüpfungen abstellen. Danach ist es regelmäßig vorstellbar, dass internatio- nale zuständige deutsche Gerichte deutsches Schadensersatzrecht anwenden.

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Annahme des Supreme Court, dass der ATCA grundsätzlich auf Unternehmen An- wendung finden kann?

Vor einer abschließenden Entscheidung des U.S. Supreme Court wird die Bun- desregierung von einer Einschätzung dieser Bewertung absehen.**

14. Sieht die Bundesregierung in dem Verfahren Esther Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum Co. et al. ebenso einen „Schaden für den internationalen Handel“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/992, Antwort der Bundesregierung zu Frage 7), wie in dem Verfahren Klage von Opfern des südafrikanischen Apartheidregimes gegen die Daimler AG, die Rheinmetall AG und andere?

Wenn nein, was unterscheidet die beiden Verfahren nach Ansicht der Bundesregierung voneinander?

Die Bundesregierung ist grundsätzlich darüber besorgt, dass die Zulassung extensiver Gerichtsstände und übermäßig extraterritorial wirkender Gesetze zur Rechtsunsicherheit führt. Für international agierende Akteurinnen und Akteure wird dadurch weniger vorhersehbar, welchem Recht sie unterworfen sind und welche Gerichte welcher Staaten über Streitfälle urteilen können. Darauf grün- det die Sorge, international tätige Unternehmen könnten sich entschließen, die Wirtschaftstätigkeit mit oder Investitionen in bestimmten Staaten oder Regionen aufzugeben. Sie hat darauf auch in dem „amicus curiae brief“ hingewiesen. Der internationale Handel hat allerdings aus Sicht der Bundesregierung keinen Vorrang vor der gerichtlichen Aufklärung etwaiger Menschenrechtsverletzungen sowie der Entschädigung der Opfer. Das wird in der Stellungnahme der Bundesregierung mit dem klaren Bekenntnis zum Menschenrechtsschutz zum Ausdruck gebracht.

Hat die Bundesregierung zur Wahrung „deutscher Interessen“, zur Abwendung von Verletzungen der deutschen Gerichtsbarkeit sowie zur Abwendung eines „Schadens für den internationalen Handel“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/992, die Klägerinnen und Kläger in dem Fall von Opfern des südafrikanischen Apartheidregimes gegen die Daimler AG, die Rheinmetall AG und andere darauf hingewiesen oder sie darin unterstützt, ihre etwaigen Ansprüche vor einem Gericht in der Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen?

a) Wenn ja, in welcher Weise, und mit welchem Ergebnis?

b) Wenn nein, warum nicht?

c) Wenn nein, schadet die Bundesregierung durch diese Untätigkeit nicht ihren eigenen, selbst formulierten Interessen?

Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Rechtsberatung im Einzelfall zu leisten. Dies ist in Deutschland den rechtsberatenden Berufen vorbehalten. Die Klägerinnen und Kläger waren und sind anwaltlich vertreten.

Erachtet es die Bunderegierung grundsätzlich als nicht wünschenswert, wenn Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf der Grundlage des ATCA vor einem Gericht in den USA auf Entschädigungszahlungen klagen können, wenn ihnen in ihrem Heimatstaat, dem Staat des Tatorts oder dem Heimatstaat der Schädigerin/des Schädigers eine Klage aus tatsächlichen, rechtlichen oder finanziellen Mitteln nicht möglich ist bzw. aussichtslos erscheint?

Falls ja, wie ist dies vereinbar mit der Forderung des UN-Sonderbeauftragten John Ruggie, Opfern von Menschenrechtsverletzungen einen besseren Zugang zu Rechtsmitteln zu ermöglichen (A/HRC/17/31: „Access to remedy“)?

Die Bundesregierung hat keine Bedenken gegen Klagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen in den Vereinigten Staaten auf Grundlage des ATS, selbst wenn der Streitfall nur geringe Sachnähe zu den Vereinigten Staaten auf

weist, sofern andere Gerichtsstände nicht in Frage kommen. Darauf hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme an den US-Supreme Court explizit hingewiesen: „(…) a foreign plaintiff who sues a foreign corporation in the United States for acts committed outside the United States without a significant United States nexus should be required to show that the available legal reme- dies in the country of incorporation or centre of management are not available to him.” Die Bundesregierung hat für diesen Fall aber zugleich angemahnt, das Fehlen aussichtsreichen Rechtsschutzes im Heimatstaat eines beklagten Unter- nehmens vorab zu prüfen. Sie hat zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie keine Bedenken dagegen hat, eine Zuständigkeit von US-Gerichten unter dem ATS zu begründen, wenn die Kläger an einem sachnäheren Gerichtsstand keine aussichtsreichen Rechtsschutzmöglichkeiten zu erwarten hätten, zugleich aber deutlich gemacht, dass sie dies im Fall eines deutschen Unternehmens hierzulande als gegeben ansähe: „While it certainly would be inappropriate to require plaintiffs to exhaust their legal remedies in countries which have a proven record of human rights violations and no due process, it is certainly reasonable and appropriate to require a victim of a tort committed in a third country by a German tortfeasor to go to Germany and utilize the legal system of the Federal Republic of Germany to seek legal satisfaction.“

Ich hoffe Ihre Fragen auf der Grundlage der Angaben der Bundesregierung ausreichend beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Klimke

Portrait von Jürgen Klimke
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Broccucci,

Gerne gebe ich Antwort auf Ihre Anfrage bei abgeordnetenwatch. Ich stütze mich auf die Analyse der Bundesregierung und nach Durchsicht der Unterlagen, empfinde ich das Verhalten richtig und angemessen.

Welche inhaltliche Motivation verfolgt die Bundesregierung?

Die Bundesregierung ist besorgt darüber, dass die deutschen Souveränitäts- interessen von einer weiten Auslegung des ATS durch das höchste US-amerika- nische Gericht beeinträchtigt werden könnten. Da Entscheidungen des U.S. Supreme Court Präzedenzwirkung haben und nicht zu erwarten ist, dass dieser in absehbarer Zeit erneut über die Auslegung des ATS urteilen wird, hat die Entscheidung im Fall Kiobel hohe Bedeutung für die zukünftige Anwendung des Gesetzes. Das Urteil wird somit weit über den konkreten Fall hinausrei- chende Wirkungen entfalten und kann auch für potentielle deutsche Streitpar- teien Bedeutung erlangen. Aus diesen Gründen hat die Bundesregierung ihre Besorgnis durch die prozessual zulässige Intervention („amicus curiae brief“) zum Ausdruck gebracht.

Welchen inhaltlichen Bezug hat die Bundesregierung zu dem Verfahren oder seinen Beteiligten?

Die Bundesrepublik Deutschland wird in ihrer Gesetzgebungshoheit betroffen, wenn ein US-amerikanisches Gesetz so weit ausgreifen kann, dass es die Reichweite der deutschen Justizgewährleistung unangemessen einschränkt. Die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland wird verletzt, wenn deutsche Unternehmen und Privatpersonen durch US-amerikanische Gerichte der US- amerikanischen Rechtsprechung auch dann unterworfen werden, wenn sie keine Berührungspunkte mit den Vereinigten Staaten von Amerika haben.

Handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren um einen „Ausnahme-fall“, bei dem ein „besonderes öffentliches Interesse vorliegt (vgl. Bun-destagsdrucksache 17/992, Antwort der Bundesregierung zu Frage 6), der die Bundesregierung dazu bewogen hat, einen amicus curiae brief zu verfassen?

Falls ja, worin ist dieses besondere öffentliche Interesse begründet?

Falls nein, warum ist die Bundesregierung von ihrem Grundsatz abge-wichen und hat dennoch einen amicus curiae brief verfasst?

Das besondere öffentliche Interesse für die Bundesrepublik Deutschland erklärt sich aus den menschenrechtlichen Erwägungen.

Welches Bundesministerium hatte die Federführung bei dem Verfassen und Versenden des amicus curiae briefes, und welche Stelle dort konkret war für das Verfassen verantwortlich?

Mit welchen Bundesministerien oder anderen Stellen der Bundesregierung
wurde die Position der Bundesregierung aus dem amicus curiae brief
abgestimmt?

Gab es zwischen den beteiligten Bundesministerien eine übereinstimmende
politische Einschätzung?

Der amicus curiae brief ist verfasst worden von dem US-amerikanischen Rechtsanwaltsbüro Jeffrey Harris u. a. in Washington D.C., das vom Bundes- ministerium für Wirtschaft und Technologie in Absprache mit dem Bundes- ministerium der Justiz und dem Auswärtigen Amt beauftragt worden ist. Den Inhalt der Stellungnahme gegenüber dem U.S. Supreme Court haben die ge-nannten Ministerien ebenfalls abgestimmt. Innerhalb der Ministerien waren die jeweils sachlich zuständigen Referate verantwortlich.

Beabsichtigt die Bundesregierung, in diesem Verfahren einen weiteren amicus curiae brief zu verfassen?

Falls ja, mit welchen zusätzlichen oder abgeänderten Inhalten im Vergleich zu dem vom 2. Februar 2012?

Der U.S. Supreme Court hat am 5. März 2012 angekündigt, das Verfahren fort- zusetzen, und den Parteien und „amici curiae“ Gelegenheit gegeben, zur folgenden konkreten Frage ergänzend Stellung zu nehmen: „Whether and under what circumstances the Alien Tort Statute, 28 U.S.C. § 1350 allows courts to recognize a cause of action for violations of the law of nations occurring within the territory of a sovereign other than the United States.“ Da dies die Rechts- frage ist, an der ein besonderes deutsches Interesse besteht und zu der sich die Bundesregierung in der Vergangenheit geäußert hat, prüft die Bundesregierung gemeinsam mit ihren EU Partnern, ob sie eine ergänzende Stellungnahme abg ben soll.

Warum hat die Bundesregierung in einem anderen Klageverfahren (Bau- man et al. v. Daimler-Chrysler) auf Grundlage des ATCA wegen des Verschwindenlassens und der Folterung von Gewerkschaftern aus Mercedes- Benz Werken in Argentinien explizit erklärt, dass sie keine Einwände gegen eine solche Klage erhoben habe (vgl. dazu: www.gabyweber.com/ dwnld/email_AA.pdf )?

Die unter der angegebenen Internetadresse abrufbare Kopie einer Mail der Pressestelle des Auswärtigen Amts enthält keine Bewertung des genannten Verfahrens und sagt insbesondere nicht, dass die Bundesregierung keine Ein- wände gegen dieses Verfahren habe, sondern lediglich, dass keine Einwände in dem Verfahren geltend gemacht wurden.

Welche Argumente führen bei der Bundesregierung zu der in dem amicus curiae brief generell geäußerten Überzeugung: „The Federal Republic of Germany believes that overbroad exercises of jurisdiction are contrary to international law and create a substantial risk of jurisdictional conflicts with other countries.”?

Grundsätzlich kann jeder Staat aufgrund seiner Personal- und Territorialhoheit auf seinem Gebiet Jurisdiktion ausüben. Es steht ihm frei, die Reichweite der internationalen Zuständigkeit seiner Gerichte zu bestimmen. Sofern die Anknüpfung eine gewisse Sachnähe aufweist, kann den Gerichten auch extra- territorial wirkende Entscheidungsmacht verliehen werden. Wenn bei der Grenzziehung im Verhältnis zur Jurisdiktionsgewalt anderer Staaten jedoch nicht Maß gehalten und Rücksicht genommen wird, entstehen Jurisdiktionskonflikte, die zu völkerrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Staaten über die Wirksamkeit dieser Grenzziehung führen können. Das ist auf jeden Fall zu vermeiden.

Welche(r) konkrete(n) Anlass/Anlässe führen die Bundesregierung zu der in dem amicus curiae brief geäußerten Besorgnis: „The Federal Republic of Germany is concerned that the failure by some United States courts to take into account limitations on the exercise of their jurisdiction when construing the Alien Tort Statute, 28 U.S.C. § 1350 („ATS“), has resulted in the asser- tion of subject matter jurisdiction over suits by foreign plaintiffs against foreign corporate defendants for conduct that took place entirely within the territory of a foreign sovereign and lack sufficient nexus to the United States. Such assertions of jurisdiction are likely to interfere with foreign sovereign interests in governing their own territories and subjects and in applying their own laws in cases which have a closer nexus to those countries.“?

Der U.S. Supreme Court ist mit dem Verfahren vor allem deshalb befasst wor- den, weil verschiedene US-Berufungsgerichte die Reichweite des ATS unter- schiedlich weit gezogen haben (Übersicht über die Rechtsprechung in American Journal of International Law 2011 S. 799 ff.). Eine Analyse dieser Entscheidun- gen verstärkte den Eindruck, dass die bisher eher zurückhaltende Rechts- auslegung des U.S. Supreme Court in Sachen Sosa gegen Alvarez- Machain (542 U.S. 6932 (2004)) zur Reichweite der internationalen Zuständigkeit US- amerikanischer Gerichte wegen Menschenrechtsverletzungen nach dem ATS bei der Beteiligung von international tätigen Unternehmen aufgegeben werden könnte. Die Bundesregierung hat die erneute Befassung des U.S. Supreme Court mit dem ATS deshalb zum Anlass genommen, dem höchsten US-Gericht ihre Rechtsauffassung zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten darzulegen.

In welchen Fällen hat die Bundesregierung die staatliche Souveränität Deutschlands durch eine weitgehende Inanspruchnahme von Gerichtsbarkeit in den USA durch den ATCA bislang verletzt gesehen?

Die Bundesregierung hat auf Anforderung des US-Gerichts, wie erwähnt, in den Verfahren Balintulo/Ntsebesa gegen u. a. Rheinmetall AG und Daimler AG eine Stellungnahme abgegeben, die das besondere deutsche Interesse an einer angemessenen Abgrenzung der Jurisdiktionsbereiche beider Staaten zum Ausdruck bringt.

Welche Staaten teilen die o. g. Befürchtung der Bundesregierung und haben diese auch bereits in Verfahren auf Basis des ATCA durch das Verfassen eines amicus curiae briefes zum Ausdruck gebracht?

Soweit bekannt teilen sowohl die Niederlande als auch das Vereinigte König- reich unter anderem die Befürchtung einer unangemessen weiten Inanspruchnahme internationaler Zuständigkeit durch US-Gerichte.

Wie vereinbart die Bundesregierung diese Sorge vor weitgehender ex- traterritorialer Rechtsanwendung durch die USA mit dem Umstand, dass auch im deutschen Zivilrecht sogenannte anknüpfungsarme Gerichtsstände vorgesehen sind, wie z. B. in § 23 der Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere angesichts der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass selbst eine weite Auslegung des § 23 ZPO nicht gegen internationales Recht oder Verfassungsrecht verstoße (vgl. Bundesge- richtshof, Urteil vom 2. Juli 1991, XI ZR 206/90, S. 92f.: „In der nur am Wortlaut orientierten Auslegung ist § 23 ZPO […] weder verfassungs- noch völkerrechtswidrig, […].“)?

Sogenannte anknüpfungsarme Gerichtsstände werden von den deutschen Ge- richten, und darauf kommt es an, zurückhaltend ausgelegt und in Anspruch ge-**

nommen. Dies trifft auch auf den Gerichtsstand nach § 23 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu und wird durch eine ausführlichere Wiedergabe der in der Frage zitierten Textstelle aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs verdeutlicht: „In der nur am Wortlaut orientierten Auslegung ist § 23 ZPO zwar [Hervorhebung durch Verfasser] weder verfassungs- noch völkerrechtswidrig (…), jedoch hin- sichtlich seiner inneren Berechtigung umstritten. (…) Es bedarf einer auch vom Bundesverfassungsgericht für geboten erachteten, ,völkerrechtkonformen‘ Auslegung durch die Gerichte (…).“ Eine derart völkerrechtskonforme Auslegung nimmt der Bundesgerichtshof in dem zitierten Urteil dann dergestalt vor, dass er für die Annahme der internationalen Zuständigkeit gemäß § 23 ZPO neben der Belegenheit des Vermögens in Deutschland einen hinreichen- den Inlandsbezug des Rechtsstreits für erforderlich erachtet.

Welche Erkenntnisse oder Erfahrungen führen die Bundesregierung zu ihrer Auffassung aus dem amicus curiae brief, dass ausländische Opfer etwaiger Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen im Aus- land gemäß § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) i. V. m. den §§ 13, 17 und 32 ZPO vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz klagen könnten?

Falls die Bundesregierung keine Erkenntnisse über ein Verfahren haben sollte, in dem ausländische Opfer etwaiger Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen im Ausland gemäß § 823 BGB i. V. m. den §§ 13, 17 und 32 ZPO vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz kla- gen bzw. geklagt haben, wieso stellt sie diesen Weg dann trotz des Feh- lens jeglicher Gerichtspraxis als mögliche Alternative dar?

Die deutsche Rechtslage lässt in angemessener Weise Schadensersatzklagen wegen Menschenrechtsverletzungen zu, die ausreichenden Inlandsbezug haben. Eine möglicherweise fehlende Rechtspraxis ändert daran nichts. Ob eine fehlende Rechtspraxis auch darauf zurückzuführen ist, dass das US-amerikanische Recht hier mit höheren und besonderen Schadensersatzsummen und mit einem besonders klägerfreundlichen Verfahrensrecht ein attraktiveres Forum darstellt, ist der Bundesregierung nicht bekannt.

Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung neben der in dem amicus curiae brief beschriebenen Form der Klageeinreichung über die §§ 13, 17 und 32 ZPO weitere verfahrensrechtliche Möglichkeiten, um im Falle einer Klage von Opfern etwaiger Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen im Ausland einen deutschen Gerichtsstand herbeizuführen?

Bei der Vielzahl von möglichen Sachverhalten, die unter die Verletzung von Menschenrechten subsumiert werden könnten, ist eine befriedigende Beantwor

tung dieser Frage nicht möglich. Möglicherweise kann aber die allgemeine oder spezielle Haftung für die Schädigung absoluter Rechtsgüter der Menschen- rechtsträger aufgrund besonderer Fallgestaltung und spezialgesetzlicher Zustän- digkeitsvorschrift auch in einem anderen internationalen Gerichtsstand des deutschen Rechts geltend gemacht werden.

Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 („Brüssel I-VO“) regelt primär die Zuständigkeit zwischen den Zivilgerichten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Artikel 2 der Verordnung bestimmt, dass der allgemeine Gerichtsstand einer Person an deren Wohnsitz liegt. Insoweit entspricht Artikel 2 der Verordnung den Gerichtsstandsregelungen in §§ 13 und 17 ZPO, so dass ein gesonderter Hinweis auf diese Vorschrift aus Sicht der Bundesregierung nicht erforderlich war.

Ist der Bundesregierung bekannt, dass im Falle einer Klage von Opfern etwaiger Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen im Aus- land vor einem deutschen Gericht in materieller Hinsicht nicht § 823 BGB zur Anwendung käme, sondern das über Artikel 4 Rom-II-Verordnung zu ermittelnde Deliktsstatut, wonach die lex loci delicti commissi - also im Regelfall das Recht desjenigen Staates, in dem die behauptete Menschenrechtsverletzung begangen wurde - Anwendung fände?

Wenn ja, wieso lässt die Bundesregierung in dem amicus curiae brief dies unerwähnt?

Die Rom-II-Verordnung findet nach ihrem Artikel 31 nur auf schadensbegrün- dende Ereignisse Anwendung, die nach ihrem Inkrafttreten am 11. Januar 2009 eintreten. Sie wäre auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Insoweit gelten Artikel 40, 41 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetz- buche (EGBGB), die auf den Handlungs- und Erfolgsort bzw. auf sachnähere Anknüpfungen abstellen. Danach ist es regelmäßig vorstellbar, dass internatio- nale zuständige deutsche Gerichte deutsches Schadensersatzrecht anwenden.

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Annahme des Supreme Court, dass der ATCA grundsätzlich auf Unternehmen An- wendung finden kann?

Vor einer abschließenden Entscheidung des U.S. Supreme Court wird die Bun- desregierung von einer Einschätzung dieser Bewertung absehen.**

14. Sieht die Bundesregierung in dem Verfahren Esther Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum Co. et al. ebenso einen „Schaden für den internationalen Handel“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/992, Antwort der Bundesregierung zu Frage 7), wie in dem Verfahren Klage von Opfern des südafrikanischen Apartheidregimes gegen die Daimler AG, die Rheinmetall AG und andere?

Wenn nein, was unterscheidet die beiden Verfahren nach Ansicht der Bundesregierung voneinander?

Die Bundesregierung ist grundsätzlich darüber besorgt, dass die Zulassung extensiver Gerichtsstände und übermäßig extraterritorial wirkender Gesetze zur Rechtsunsicherheit führt. Für international agierende Akteurinnen und Akteure wird dadurch weniger vorhersehbar, welchem Recht sie unterworfen sind und welche Gerichte welcher Staaten über Streitfälle urteilen können. Darauf grün- det die Sorge, international tätige Unternehmen könnten sich entschließen, die Wirtschaftstätigkeit mit oder Investitionen in bestimmten Staaten oder Regionen aufzugeben. Sie hat darauf auch in dem „amicus curiae brief“ hingewiesen. Der internationale Handel hat allerdings aus Sicht der Bundesregierung keinen Vorrang vor der gerichtlichen Aufklärung etwaiger Menschenrechtsverletzungen sowie der Entschädigung der Opfer. Das wird in der Stellungnahme der Bundesregierung mit dem klaren Bekenntnis zum Menschenrechtsschutz zum Ausdruck gebracht.

Hat die Bundesregierung zur Wahrung „deutscher Interessen“, zur Abwendung von Verletzungen der deutschen Gerichtsbarkeit sowie zur Abwendung eines „Schadens für den internationalen Handel“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/992, die Klägerinnen und Kläger in dem Fall von Opfern des südafrikanischen Apartheidregimes gegen die Daimler AG, die Rheinmetall AG und andere darauf hingewiesen oder sie darin unterstützt, ihre etwaigen Ansprüche vor einem Gericht in der Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen?

a) Wenn ja, in welcher Weise, und mit welchem Ergebnis?

b) Wenn nein, warum nicht?

c) Wenn nein, schadet die Bundesregierung durch diese Untätigkeit nicht ihren eigenen, selbst formulierten Interessen?

Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Rechtsberatung im Einzelfall zu leisten. Dies ist in Deutschland den rechtsberatenden Berufen vorbehalten. Die Klägerinnen und Kläger waren und sind anwaltlich vertreten.

Erachtet es die Bunderegierung grundsätzlich als nicht wünschenswert, wenn Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf der Grundlage des ATCA vor einem Gericht in den USA auf Entschädigungszahlungen klagen können, wenn ihnen in ihrem Heimatstaat, dem Staat des Tatorts oder dem Heimatstaat der Schädigerin/des Schädigers eine Klage aus tatsächlichen, rechtlichen oder finanziellen Mitteln nicht möglich ist bzw. aussichtslos erscheint?

Falls ja, wie ist dies vereinbar mit der Forderung des UN-Sonderbeauftragten John Ruggie, Opfern von Menschenrechtsverletzungen einen besseren Zugang zu Rechtsmitteln zu ermöglichen (A/HRC/17/31: „Access to remedy“)?

Die Bundesregierung hat keine Bedenken gegen Klagen von Opfern von Men- schenrechtsverletzungen in den Vereinigten Staaten auf Grundlage des ATS, selbst wenn der Streitfall nur geringe Sachnähe zu den Vereinigten Staaten auf

weist, sofern andere Gerichtsstände nicht in Frage kommen. Darauf hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme an den US-Supreme Court explizit hingewiesen: „(…) a foreign plaintiff who sues a foreign corporation in the United States for acts committed outside the United States without a significant United States nexus should be required to show that the available legal reme- dies in the country of incorporation or centre of management are not available to him.” Die Bundesregierung hat für diesen Fall aber zugleich angemahnt, das Fehlen aussichtsreichen Rechtsschutzes im Heimatstaat eines beklagten Unter- nehmens vorab zu prüfen. Sie hat zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie keine Bedenken dagegen hat, eine Zuständigkeit von US-Gerichten unter dem ATS zu begründen, wenn die Kläger an einem sachnäheren Gerichtsstand keine aussichtsreichen Rechtsschutzmöglichkeiten zu erwarten hätten, zugleich aber deutlich gemacht, dass sie dies im Fall eines deutschen Unternehmens hierzulande als gegeben ansähe: „While it certainly would be inappropriate to require plaintiffs to exhaust their legal remedies in countries which have a proven record of human rights violations and no due process, it is certainly reasonable and appropriate to require a victim of a tort committed in a third country by a German tortfeasor to go to Germany and utilize the legal system of the Federal Republic of Germany to seek legal satisfaction.“

Ich hoffe Ihre Fragen auf der Grundlage der Angaben der Bundesregierung ausreichend beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Klimke