Frage an Katja Kipping bezüglich Finanzen

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Frage von Jens L. •

Frage an Katja Kipping von Jens L. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Kipping,

mit Besorgnis habe ich Ihre Forderung nach 100% ESt ab 480 T€ Jahreseinkommen wahrgenommen. Erlauben Sie mir hierzu einige Fragen:

1. Welche Auswirkung sollte die Steuererhöhung ihres Erachtens auf das Staatseinkommen (ESt ohne LoSt und KapESt 27 Mrd. €) haben? Kennen Sie die Laffer-Kurve? Bedeutet eine Anhebung des Steuersatzes nicht zugleich das Zurückgehen der Einnahmen. Falls nein, warum nicht?

2. Das BVerfG bezeichnet den aus Art. 20 GG herrührenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als übergeordnete Leitregel allen staatlichen Handelns. Hieraus folgt das sog. Übermaßverbot d.h. ein Verbot des Staates in Grundrechte seiner Bürger übermäßig einzugreifen. Warum verstößt Ihrer Meinung nach die Besteuerung mit 100% nicht gegen das Übermaßverbot?

3. Wie reiht sich die Besteuerung mit 100% ab einer gewissen Einkunftshöhe in das sog. Leistungsfähigkeitsprinzip des deutschen ESt-Rechts ein?

4. Hohe Steuern führen zu hohen Steuerwiderständen. Ergebnis sind Steuerumgehung oder Steuervermeidung. Halten Sie es für möglich, dass solche Spitzenverdiener (und auch derzeit mit 47% ihres Einkommens hoch Belastete) zum Zwecke der Steuervermeidung ihren Wohnsitzstaat wechseln (D verlassen) und in nahe Grenzgebiete z.B. Polen ziehen?

5. Welchen lenkungspolitischen Zweck soll eine solche Steuererhöhung überhaupt verfolgen? Warum erscheint Ihnen eine solche Steuerhöhe überhaupt als legitimer Zweck an anderer Stelle staatliche Transferleistungen zu erhöhen?

6. M.W.n. haben Sie öffentliches Recht studiert. Wie ordnen Sie eine solche Besteuerungspraxis überhaupt in die Art. 1 ff. und 20 GG ein?

Aufgrund Ihrer Vorbildung wäre es mir ein großer Wunsch genauer zu erfahren, wie sich ein solches Unterfangen überhaupt umsetzen ließe, ohne dass es von Anfang an evident verfassungswidrig ist. Welche Artikel des GG wollen Sie ändern um diese Steuererhöhung durchzusetzen?

Zuletzt wie stehen Sie eigentlich zur Abgeltungsbesteuerung?
MfG
Jens Lordan

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Lordan,

ich habe Ihre Fragen hier noch einmal in meinen Text aufgenommen - und meine Antworten direkt darunter aufgeführt:

1. Welche Auswirkung sollte die Steuererhöhung ihres Erachtens auf das Staatseinkommen (ESt ohne LoSt und KapESt 27 Mrd. €) haben? Kennen Sie die Laffer-Kurve? Bedeutet eine Anhebung des Steuersatzes nicht zugleich das Zurückgehen der Einnahmen. Falls nein, warum nicht?

Ich kenne die Laffer-Kurve. Aber wussten Sie, dass der Einkommensteuerspitzensatz in den USA 1950 bei 90 % lag und in Deutschland bei 95 %? Damals hatten wir übrigens keine so hohe Staatsverschuldung wie heute. Diese ist übrigens vor allem durch die Spekulationskrise der Banken 2008 extrem angestiegen, weil die Verluste der Banken sozialisiert wurden.

2. Das BVerfG bezeichnet den aus Art. 20 GG herrührenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als übergeordnete Leitregel allen staatlichen Handelns. Hieraus folgt das sog. Übermaßverbot d.h. ein Verbot des Staates in Grundrechte seiner Bürger übermäßig einzugreifen. Warum verstößt Ihrer Meinung nach die Besteuerung mit 100% nicht gegen das Übermaßverbot?

Das Grundgesetz kennt auch das Sozialstaatsgebot. Und wir müssten alle zusammen einmal die Frage diskutieren, wie stark eigentlich eine Lohnspreizung sein sollte. Ein Beispiel: Im Jahr 1995 verdiente bei der Deutschen Post ein Vorstandsmitglied elf Mal so viel wie ein durchschnittlicher Mitarbeiter. Im Jahr 2006 war es schon das 87-fache. Zum Vergleich: Im Durchschnitt aller Dax-Unternehmen verdiente der Vorstand früher 19 Mal so viel wie ein Mitarbeiter, heute ist es das 44-fache. Ich finde, eine Lohnspreizung wie Mitte der 1990er Jahre durchaus akzeptabel. Aber mehr sollte es nicht sein. Ich finde es insofern eine interessante Idee, Managergehälter an das niedrigste Gehalt im Unternehmen zu koppeln. Möchte ein Manager eine Million EUR im Jahr verdienen, hat er seiner Reinigungskraft auch 50.000 EUR zu zahlen. Das ist übrigens ein Weg, der in Frankreich für französische Staatsbetriebe gegangen wird, um dort die Managerentgelte in einem fairen Rahmen zu halten.

3. Wie reiht sich die Besteuerung mit 100% ab einer gewissen Einkunftshöhe in das sog. Leistungsfähigkeitsprinzip des deutschen ESt-Rechts ein?

Ich bezweifle stark, dass Einkommen über 500.000 EUR etwas mit der Leistungsfähigkeit zu tun haben.

4. Hohe Steuern führen zu hohen Steuerwiderständen. Ergebnis sind Steuerumgehung oder Steuervermeidung. Halten Sie es für möglich, dass solche Spitzenverdiener (und auch derzeit mit 47% ihres Einkommens hoch
Belastete) zum Zwecke der Steuervermeidung ihren Wohnsitzstaat wechseln (D
verlassen) und in nahe Grenzgebiete z.B. Polen ziehen?

Dem kann man durch eine europäische Steuerpolitik begegnen, die Steuerkorridore definiert. Das Steuerdumping gilt es nachhaltig zu bekämpfen.

5. Welchen lenkungspolitischen Zweck soll eine solche Steuererhöhung überhaupt verfolgen? Warum erscheint Ihnen eine solche Steuerhöhe überhaupt als legitimer Zweck an anderer Stelle staatliche Transferleistungen zu erhöhen?

Wie gesagt, es geht bei dieser Debatte um die Frage nach der Bewertung von Arbeit. Um wie viel ist die Arbeit einer Ärztin mehr wert, als die eines Polizisten? Um viel mehr ist die Arbeit eines Rechtsanwaltes wert als die einer Krankenschwester? Ich finde, hier bedarf es gesellschaftlicher Übereinkünfte, die sich letztlich im Steuerrecht oder in einem Einkommenskorridor für Unternehmen manifestieren. Was die Transferleistungen betrifft: Diese sind natürlich kein Selbstzweck. Aber mir ist wichtig, dass sie armutsfest sind und die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Aber mir schwebt nicht vor, Mehreinnahmen nur als Transferleistungen auszuzahlen. Es gibt viele Dinge, die wir öffentlich finanzieren müssen. Denken sie nur an die Energiewende, Bildungseinrichtungen oder den öffentlichen Personennahverkehr.

6. M.W.n. haben Sie öffentliches Recht studiert. Wie ordnen Sie eine solche Besteuerungspraxis überhaupt in die Art. 1 ff. und 20 GG ein?

Ich bin keine Juristin, auch wenn ich öffentliches Recht im Nebenfach belegt habe. Art. 20 GG sagt: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Wie bereits erwähnt, hatten wir in Deutschland 1950 einen Einkommensteuerspitzensatz von 95 %. Mir scheint, meine Forderung ist also absolut grundgesetzkompatibel.

7. Aufgrund Ihrer Vorbildung wäre es mir ein großer Wunsch genauer zu erfahren, wie sich ein solches Unterfangen überhaupt umsetzen ließe, ohne dass es von Anfang an evident verfassungswidrig ist. Welche Artikel des GG wollen Sie ändern um diese Steuererhöhung durchzusetzen?

Keine. Aber wenn dies notwendig sein sollte, müssten wir um die entsprechenden Mehrheiten werben.

8. Zuletzt wie stehen Sie eigentlich zur Abgeltungsbesteuerung?

Sie ist problematisch, weil sie letztlich zu einem niedrigeren persönlichen Steuersatz für Kapitaleinkünfte führt. Das führt dann beispielsweise dazu, dass Zinseinkünfte niedriger besteuert werden, als Einkünfte aus Arbeitsleistung.

Mit freundlichen Grüßen
Katja Kipping