Frage an Kerstin Lauterbach bezüglich Innere Sicherheit

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Kerstin Lauterbach
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Frage von Thomas B. •

Frage an Kerstin Lauterbach von Thomas B. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrte Frau Lauterbach!

Thomas Jurk - Abgeordneter der SPD im Landtag, sächsischer Wirtschaftsminister, stellvertretender Ministerpräsident und Vorsitzender der sächsischen SPD - äußerste sich in einem von der Freien Presse veranstalteten Chat auf eine Frage zum Zugangserschwerungsgesetz:

"Wenn wir gegen das Grundgesetz verstossen, weil wir Pädophilen unmöglich machen kinderpornografische Bilder aus dem Internet herunterzuladen, dann nehme ich das in Kauf."

(Quelle: http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/HINTERGRUND/HINTERGRUND26/1554595.html )

Auf Nachfrage diesbezüglich hier bei Abgeordnetenwatch ( http://www.abgeordnetenwatch.de/thomas_jurk-599-25675--f207563.html ) relativiert er diese Aussage, konnte aber bislang nicht glaubhaft machen weshalb die Freie Presse ihn unvollständig wiedergeben sollte.

Dazu meine Fragen:

1) Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
2) Halten Sie das Grundgesetz für zeitgemäß?
3) Welche Meinung vertreten Sie persönlich zum Zugangserschwerungsgesetz?
4) Wie schätzen Sie ihre Kompetenz und die Ihrer Partei im Bereich "Neue Medien" ein?

Ich bitte jeweils auch um eine kurze Begründung/Erläuterung und ggf. den Verweis auf Quellen.

Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen, Thomas Bauer.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Bauer,

mit großem Interesse habe ich die von Ihnen an mich gerichteten Fragen bei "abgeordnetenwatch.de" gelesen und die darin von Ihnen aufgeworfenen, äußerst aktuellen und ihren Wirkung weitreichenden Problemstellungen zur Kenntnis genommen. Erlauben Sie mir, Ihnen auf diese Fragen zu antworten und zugleich auf die damit aufgezeigten Problemlagen näher einzugehen.

Zur Frage 1:

Wie ich persönlich zu dieser Aussage stehe, ist eher von nachgeordneter Bedeutung, da eine solche Äußerung eine grundsätzliche Haltung und ein generelles Rechtsstaatsverständnis zeigt, dass ich so nicht teilen und keinesfalls tolerieren kann. Dies nicht zuletzt deshalb, da die aufgeworfene Frage, wie man zu einer solchen Aussage steht, bereits das Grundgesetz selbst beantwortet, in dem es in Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes ausdrücklich bestimmt: "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden." Hinzu kommt, dass sich Herr Jurk als Landtagsabgeordneter und als Staatsminister des Freistaates Sachsen u.a. zu Beginn seiner Amtszeit feierlich verpflichtet hat, "die Verfassung und die Gesetze (zu) achten" bzw. "Verfassung und Recht zu wahren und zu verteidigen". Mit einer so elementaren Aussage zur willentlichen Inkaufnahme eines Grundgesetz- und damit auch Grundrechtsverstoßes zur Rechtfertigung eines andererseits verfolgten Zweckes, hat sich Herr Jurk daher selbst disqualifiziert und ein eher mangelhaftes Rechtsstaatsverständnis bewiesen. Schlimmer ist jedoch, dass eine solche Aussage gerade mit der in der Bevölkerung immer sehr sensibel aufgenommenen Fragen der notwendigen wirksamen Bekämpfung und Verfolgung von Kinderpornografie verknüpft wird. Das birgt die Gefahr in sich, es auch in anderen, vermeintlich gerechtfertigten Fällen mit der Einhaltung und Achtung des Grundgesetzes und der Grundrechte nicht so genau zu nehmen, wenn der damit verfolgte Zweck nur gut genug gemeint ist.

Damit würde aber eine Tür aufgestoßen, die Geltung des Grundgesetzes und des in ihm angelegten Rechtsstaates in Frage zu stellen. "Allein der Zweck heiligt die Mittel.", ist nun einmal -- und dies aus guten und wohl überlegten Gründen -- kein Verfassungsgrundsatz.

Zur Frage 2:

Wie bereits oben dargestellt, hat beinhaltet das Grundgesetz die verfassungsmäßigen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland. Nach wie vor ist der Erhalt der nach Art. 79 Abs 3 des Grundgesetzes zum *unveränderbaren Kernbereich des Grundgesetzes* gehörenden Grundsätze und Prinzipien wie Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und föderaler Bundesstaat sowie Grundrechte wie Menschenwürde, Freiheit der Person, Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, Meinung- und Pressefreiheit, Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses usw. angesichts der gerade in den letzten Jahren verschärften Angriffe durch die sog. Terrorismusbekämpfungsgesetze, geplanter Abschuss von Zivilflugzeugen, Vorratsdatenspeicherung, Rasterfahndung, Onlinedurchsuchung, Einsatz der Bundeswehr im Inland aktueller denn je.

Eine Hauptaufgabe sehen meine Partei und ich darin, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln auf der Landes- und Bundesebene zunächst einmal dafür zu sorgen, dass der dieser Kernbereich des Grundgesetzes unangetastet bleibt und die mehr als zeitlose sogenannte Ewigkeitsklausel Geltung behält. In dem Wissen, dass die für Jede und Jeden unmittelbar geltenden Grundrechte den Staat verpflichten, alle seine Handlungen an diesen zu messen, gilt es auch angesichts der gegenwärtigen Lage infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise den im Grundgesetz geschützten Rechtsstaat nicht nur zu erhalten sondern auch im Hinblick seines Grundrechtsschutzes weiter auszubauen. Zu den dabei angestrebten Ziele zählen insbesondere der Ausbau des im Grundgesetz angelegten Sozialstaates und die Ergänzung der nach dem Grundgesetz zu gewährenden sozialen Grundrechte. Hier ehe ich einen akuten Handlungsbedarf. Dabei sind auf der einen Seite die demokratischen Mitwirkungsrechte aller und die individuellen Freiheitsrechte des Grundgesetzes gegen jedwede "Angriffe" zu verteidigen und auf der anderen Seite weitere soziale Teilhaberechte einzuräumen.

Damit das Grundgesetz auch in diesem Bereich möglichst schnell eine "zeitgemäße" Erweiterung und Ergänzung erfährt, soll das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes soll durch das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit und das Gebot der staatlichen Absicherung der wichtigsten Lebensrisiken weiter konkretisiert werden. Begleitend hierzu braucht es die Bestimmung konkreter nach dem Grundgesetz künftig beanspruchbarer sozialer Grundrechte, wie das Recht auf Arbeit und eine Existenz sichernde gerechte Entlohnung, das Recht auf Wohnen, das Recht auf Zugang zu einer guten Gesundheitsvor- und -fürsorge oder das Recht auf Bildung direkt in im Grundgesetz selbst.

In diesem Sinne gilt es nach meinem Dafürhalten, das Grundgesetz wie auch die Verfassung des Freistaates Sachsen weiter mit Leben zu erfüllen.

Die LINKE und ich reden aber nicht nur von der Aktualisierung des Grundgesetzes, sondern haben auf der Bundesebene mit den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips), Drucksache 16/12375 und dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips), Drucksache 16/12375, sowie auf der sächsischen Landesebene mit dem Gesetz zur Ausformung und Stärkung des Sozialstaatsprinzips in der Sächsischen Verfassung, Landtags-Drs 4/15466 konkrete Vorschläge zur Grundgesetz- bzw. Verfassungsänderung unterbreitet.

Dass die CDU- und SPD-Regierungskoalition letzteren noch in der letzten Junisitzung des Landtages der 4. Wahlperiode rundweg abgelehnt hat, ändert jedoch nichts an der gesellschaftliche gebotenen Notwendigkeit einer solchen Neuregelung in der Sächsischen Verfassung bzw. des Grundgesetzes auf der Ebene des Bundes.

Zur Frage 3:

Mit dem vom Bundestag am 18. Juni 2009 im Rahmen des "Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen" als Artikel 1 verabschiedeten Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (Zugangserschwerungs-gesetz) ist wohl das erste Mal in derart direkter Weise ein gesetzgeberisches Modell(projekt) zur Zensur im Internet und eine dazugehörige flexible Zensurinfrastruktur geschaffen worden. Kenner der damit absehbaren Folgen für andere Bereiche der Internetnutzung bewerten dies sogar als das sprichwörtliche "Öffnen der Büchse der Pandora."

Wir als LINKE sind daher grundsätzlich nicht nur gegen dieses konkrete Gesetz, sondern auch gegen jegliche weiteren zensierenden Internetsperren dieser Art und Güte. Dies auch deshalb, da dieses Gesetz in der Sache nichts weiter darstellt als einen symbolischen Schritt: Es wird lediglich vor einem vorher ausgesuchten Bestand von Internetseiten mit Bildern missbrauchter und misshandelter Kinder eine Art visueller Vorhang gezogen, der sich selbst von weniger versierten Internetnutzern jederzeit beiseite schieben lässt. Eine solche überwindbare "Sperre" hilft den Opfern von Kinderpornografie und sexueller Gewalt in keiner Weise, solange die menschenverachtenden und kriminellen Inhalte nur verdeckt, nicht aber unverzüglich und endgültig entfernt/gelöscht werden.

Darüber hinaus gibt es auch jetzt bereits durchaus ganz konkrete Maßnahmen, die es jedoch national und international zu entfalten gilt. Während zum Beispiel sogenannte Phishing-Websites, mit denen Kontodaten von Bankkunden ausgespäht werden, im Schnitt weniger als 5 Stunden im Web-Netz verbleiben, sind Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten bis zu 30 Tagen unbehelligt im Internet.

Während hier die Banken aus finanziellem Eigeninteresse eine schnelle Beseitigung solcher illegalen Zugriffe vorantreiben, dazu über ihre eigenen internationalen Vernetzungen die Urheber ermitteln und die Seiten schnellstens löschen lassen, ist eine solche Löschung kinderpornografischer Inhalte nicht vorgesehen.

Da die für die Bekämpfung der Kinderpornografie notwendigen rechtlichen Regelungen wegen der diesbezüglichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nur auf der Bundesebene zu schaffen sind, verwiese ich auf den von unserer Bundestagsfraktion DIE LINKE hierzu in den Bundestag eingebrachten Entschließungsantrag, der folgende konkrete Forderung und Maßnahmen für eine wirkungsvolle Bekämpfung und Verfolgung der Kinderpornografie zum Gegenstand hat:

- deutliche Erhöhung der Personal- und Sachmittel der Strafverfolgungsbehörden mit dem Ziel, Kinderpornographie an der Quelle - durch Identifizierung der Opfer und Suche nach den missbrauchenden Tätern - zu bekämpfen,

- enge Abstimmung mit Strafverfolgungsbehörden in den Bundesländern, um gegen die dort bekannten Anbieter von Kinderpornographie unverzüglich vorgehen und behördenbekannte Angebote auf Host-Servern sofort stilllegen zu können,

- weitere Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden im Ausland und im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit stets eindringlich auf eine Kooperation bei der Verfolgung des Missbrauchs von Kindern hinzuwirken,

- Ausschluss des sogenannten access blocking und Wahrung der strikten rechtstaatlichen Kontrolle über alle Datenbanken zur Erfassung kinderpornografischer Inhalte durch Ermöglichung des richterlichen Vorbehalts und effektiven Rechtschutzes zum Ausschluss des Missbrauchs dieser Datenbanken durch Ermittlungsbehörden, andere staatliche und private Stellen,

- deutliche Stärkung der Prävention und Opferschutzes unter Einbindung von Jugendhilfeeinrichtungen, Schulen, Kindertagesstätten, Kinderärztinnen und Kinderärzten und gemeinnützigen Initiativen und Einrichtungen und Etablierung eines breiten Netzes von Beratungs- und Aufklärungsangeboten sowie von Hilfs- und Therapieangeboten sowie Sicherstellung der Finanzierung dieser Maßnahmen und Angebote

- gezielte öffentliche Aufklärungsarbeit, die ihren Schwerpunkt auf die eigentliche Problematik legt, dass der Herstellung von Kinderpornographie in aller Regel ein oft langjähriger sexueller Missbrauch der Opfer vorausgeht und dieser meist im unmittelbaren familiären Umfeld der Opfer stattfindet,

- Bereitstellung ausreichende finanzielle Mittel für eine unabhängige wissenschaftliche Erforschung des Ausmaßes, der Ursachen und der Folgen von Kinderpornografie sowie für eine zeitnahe Evaluierung der getroffenen Maßnahmen zu deren Bekämpfung

Zur Frage 4:

Selbstverständlich nutze auch ich sehr gern die Vorzüge der Informationsbeschaffung, der Kommunikation und des Rechts- und Geschäftsverkehrs , die die heutigen Möglichkeiten der Nutzung der neuen Medien bieten. Anderenfalls könnten Sie wohl auch meine heutige Antwort nicht bei "abgeordnetenwatch.de" nachlesen. Auf schnellem und unkompliziertem Weg lassen sich so Informationen austauschen, Einkäufe erledigen, Postsendung erledigen, Musik hören usw. Gleichwohl möchte ich aber auch nicht auf den Weg zum Bäcker oder Fleischer vor Ort und das persönliche Treffen mit Menschen, mit denen ich reden kann, verzichten.

Ich denke, dass meine Partei DIE LINKE, ihre Mitglieder und Sympathiesanten über eine ausgewiesene Kompetenz im Bereich der Nutzung, Anwendung und Weiterentwicklung sogenannter neuer Medien sowie auch bei der Vermittlung dieser eigenen Medienkompetenzen an andere verfügen. Schauen Sie selbst auf die Internetauftritte der Partei DIE LINKE auf den verschiedensten Ebenen (Bundes-, Landes-, Kreis- und Stadtverbände) der jeweiligen Fraktionen der LINKEN, der Kandidaten für die Landtags- und Bundestagswahlen sowie die Homepages einzelner Mitglieder und nicht zuletzt auf meine Homepage ( http://www.kerstin-lauterbach.de ) und machen Sie sich selbst ein Bild.

Sehr geehrter Herr Bauer,

gestatten Sie mir, Ihnen abschließend noch einmal recht herzlich für Ihre interessanten Fragestellungen zu danken und Ihnen für die Zukunft persönlich alles Gute zu wünschen. Sollten Sie weitere Informationen zu diesen Themen und insbesondere zu den erwähnten Materialien wünschen oder auch diese Materialien benötigen, würde ich mich freuen, wenn Sie mir dies auf meiner o.g. Homepage mitteilen würden.

Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Lauterbach