Frage an Kordula Schulz-Asche bezüglich Soziale Sicherung

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Kordula Schulz-Asche
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Thomas S. •

Frage an Kordula Schulz-Asche von Thomas S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Schulz-Asche,

ich zitiere aus Ihrer Antwort, mit der Sie auf die beiden von Herrn Hartmann gestellten Fragen reagieren:

"Die Schere zwischen Arm und Reich klafft nachweislich weiter auseinander. Diese Polarisierung sehen wir als eine Gefahr für unsere Gesellschaft. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder zu stärken, müssen wir dieser Spaltung entgegenwirken. Durch den entschlossenen Kampf gegen Steuerhinterziehung und -umgehung kann ein Zeichen gesetzt werden, dass sich Politik eben nicht nur an den Interessen der Reichen und Mächtigen orientiert. Die Grünen sind sich darin einig, dass Vermögende deshalb einen höheren Beitrag als bisher zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten können und sollten."

http://www.abgeordnetenwatch.de/kordula_schulz_asche-778-78469--f459711.html#q459711

Die Aussagen dieses Zitats erscheinen mir teils wenig überzeugend, unkonkret und widersprüchlich. Das möchte ich erklären und dementsprechend nachfragen:

1. Haben die Grünen als Bestandteil der rot-grünen Regierungskoalition mit ihrer Unterstützung der Agenda 2010 (Stichworte Hartz 4 und Ausweitung des Niedriglohnsektors)die von Ihnen beklagte Spaltung der deutschen Gesellschaft nicht mit zu verantworten?

2. Wenn die Grünen wirklich dieser Spaltung entgegen wirken wollen, um somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder zu stärken, müssten sich die Grünen dann nicht endlich kritisch mit der von ihnen selber lange Jahre betriebenen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auseiandersetzen?

Wo geschah/geschieht dies?

3. Wie wollen die Grünen den entschlossenen Kampf gegen Steuerhinterziehung und -umgehung konkret betreiben?

4. Wenn die Grünen sich darin einig sein wollen, dass Vermögende einen höheren Beitrag als bisher zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten sollten, mit welchen Maßnahmen wollen die Gründen dies konkret erreichen?

Sollte nicht ein halbes Jahr vor der Wahl diesbezüglich von Ihrer Partei Farbe bekannt werden?

Viele Grüße, Thomas Schüller

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schüller,

haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen zu den arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorstellungen der Grünen.

Sie haben natürlich vollkommen recht: Der gesellschaftliche Zusammenhang kann nicht allein dadurch gestärkt werden, Vermögende stärker zu besteuern und entschlossen gegen Steuerhinterziehung und -umgehung vorzugehen. Auch am unteren Rand der Einkommensskala wollen wir ansetzen, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Benachteiligter in Deutschland zu verbessern und der Spaltung zwischen arm und reich entgegenzuwirken.

Ungleichheit und Armut bewegen sich in Deutschland trotz der guten Rahmenbedingungen und sinkender Arbeitslosigkeit seit gut 10 Jahren auf Rekordniveau. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich verfestigt und geht nur sehr langsam zurück und die Altersarmut steigt ebenso an wie die Armut trotz Erwerbstätigkeit. Diesen Missständen wollen wir mit einer Reihe von Maßnahmen begegnen, die Sie dem Entwurf unseres Wahlprogramms entnehmen können. Es ist auf unserer Website zu finden und wird Mitte Juni auf unserem Parteitag beschlossen.

• Arbeit muss gerecht bezahlt werden. Der allgemeine Mindestlohn ist ein Meilenstein dorthin. Doch noch viel zu oft wird er umgangen. Der Mindestlohn muss für alle regulär Angestellten gelten. Außerdem brauchen wir mehr branchenspezifische Lohnuntergrenzen oberhalb des Mindestlohns, damit der unternehmerische Konkurrenzkampf nicht zu Lasten der Beschäftigten geht.

• Gute Arbeit braucht gute Arbeitsbedingungen, insbesondere in Bereichen, in denen Überlastung und prekäre Arbeit häufig vorkommen. Flexibilität ist gut - es muss aber auf die richtige Balance mit Blick auf die soziale Absicherung und die Mitsprachemöglichkeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geachtet werden. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sollen vom ersten Tag an mindestens die gleiche Entlohnung erhalten wie Stammbeschäftigte - plus Flexibilitätsprämie. Von Werk- oder Dienstverträgen muss die Leiharbeit klar abgegrenzt werden. Scheinselbständigkeit gilt es mit rechtssicheren Kriterien zu unterbinden. Ohne sachlichen Grund sollten Jobs nicht mehr befristet werden können.

• Immer weniger Jobs sind heute durch Tarifverträge abgedeckt. Das muss sich wieder ändern. Tarifverträge sollten leichter allgemein verbindlich gemacht werden können und auch atypische Jobs umfassen. Wir brauchen starke Betriebsräte. Wir wollen ihre Mitbestimmungsrechte ausbauen und werden den Schwellenwert für paritätische Mitbestimmung auf 1.000 Beschäftigte absenken.

• Minijobs scheinen eine guten Gelegenheit, etwas dazuzuverdienen. Aber sie haben zu keiner Zeit das Ziel erreicht, Brücken in reguläre Beschäftigung zu bauen. Stattdessen haben sie sich als berufliche Sackgasse und Armutsrisiko erwiesen, insbesondere für viele Frauen. Minijobs wollen wir deshalb in sozialversicherungspflichtige Jobs umwandeln und dafür sorgen, dass die Beiträge durch Steuern und Abgaben und soziale Leistungen so aufeinander abgestimmt werden, dass sich Erwerbsarbeit immer rechnet.

• Die Grundsicherung muss das soziokulturelle Existenzminimum für alle gewährleisten. Das verlangt die Würde des Menschen. Der Regelsatz des Arbeitslosengeldes II muss so berechnet werden, dass man menschenwürdig davon leben kann. Die Kinderregelsätze müssen sachgerecht ermittelt werden, damit alle Kinder wirklich teilhaben können. Für die Stromkosten wollen wir eine gesonderte Pauschale einführen. Die Grundsicherung werden wir zu einer individuellen Leistung weiterentwickeln, denn das Prinzip der Bedarfsgemeinschaften benachteiligt Frauen und zementiert ihre Abhängigkeit.

• Wir wollen eine Arbeitsagentur als Dienstleisterin der Arbeitssuchenden und die Sozialgerichte von den vielen Klagen entlasten. Sanktionen gefährden die kooperative Zusammenarbeit zwischen Arbeitslosen und Fallmanagern in den Arbeitsagenturen, wie auch ein menschenwürdiges Existenzminimum. Unser Ziel ist ein Ende der Sanktionen. Besonders profitieren würden unter 25-Jährige, die bisher deutlich schärferen Sanktionsmöglichkeiten ausgesetzt sind.

• Um die Rente wieder sicher und verlässlich zu machen, wollen wir alle drei Pfeiler der Alterssicherung stärken - zuallererst die gesetzliche Rentenversicherung. Denn sie ist und bleibt die wichtigste Säule der Altersvorsorge. Das heutige - gegenüber dem Jahr 1998 bereits erheblich abgesenkte - Rentenniveau sollte nicht weiter fallen. Für alle Menschen, die den größten Teil ihres Lebens rentenversichert waren, gearbeitet, Kinder erzogen oder andere Menschen gepflegt haben, schlagen wir Grünen eine steuerfinanzierte Garantierente oberhalb des Grundsicherungsniveaus vor.

• Um die gesetzliche Rente finanziell besser aufzustellen und solidarischer zu finanzieren, wollen wir versicherungsfremde Leistungen aus Steuergeldern bezahlen und insbesondere Frauen bessere Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Damit verbessert sich auch ihre persönliche Absicherung deutlich. Mittelfristig streben wir eine Rentenversicherung für alle an, in die auch Beamtinnen und Beamte, Freiberuflerinnen und Abgeordnete einbezogen sind. In einem ersten Schritt zu einer solchen Bürgerversicherung wollen wir Selbständige aufnehmen und damit ihre Absicherung verbessern.

Was den Kampf gegen Steuerhinterziehung anbelangt, setzen wir uns für ein international verbindliches Regelwerk, das Mindeststandards für die Steuerpflichten von Unternehmen und Staaten setzt. Auch zu Hause werden wir aktiv: Banken und Kanzleien untersagen wir Geschäfte mit unkooperativen Ländern, internationale Konzerne müssen ihre Gewinne nach Ländern aufschlüsseln und Briefkastenfirmen entziehen wir durch ein Transparenzregister die Grundlage. So sorgen wir dafür, dass alle Unternehmen ihre Verantwortung für das Gemeinwesen wahrnehmen und ihren steuerlichen Beitrag leisten - der internationale Kaffeekonzern ebenso, wie es heute schon der Bäcker an der Ecke tut.

Damit Vermögende einen höheren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten, wollen wir eine verfassungsfeste, ergiebige und umsetzbare Vermögenssteuer für Superreiche, denn in wenigen Ländern Europas sind die Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Selbstverständlich legen wir dabei besonderen Wert auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Innovationskraft von Unternehmen. Wir wollen nicht, dass sich Superreiche und Spitzenmanager von der Gesellschaft abkoppeln. Zu oft verliert die Vergütung von Managern und Managerinnen den Bezug zum eigenen Beitrag und zum Durchschnittsverdiener. Wir setzen ein klares Stoppsignal: Zukünftig sollen Unternehmen nur noch maximal 500.000 Euro pro Kopf von der Steuer absetzen können. Auch weil Manager-Gehälter zu Lasten der Allgemeinheit gehen, wenn Unternehmen die Zahlungen als Betriebsausgaben absetzen. Arbeit wird bei uns häufig höher besteuert als Zinsen und Renditen. Das wollen wir Grünen ändern. Kapitalerträge sollen mit dem persönlichen Einkommenssteuersatz belegt werden.

Brexit, Trump und die Wahlerfolge Marine Le Pens in Frankreich führen eines ganz deutlich vor Augen: Der Kampf gegen die soziale Spaltung, Armut und Perspektivlosigkeit ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine demokratische Notwendigkeit. Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort die Position der Grünen zu diesem Thema ein wenig näher bringen und Sie davon überzeugen, dass wir neben Umwelt stets auch die Gerechtigkeit fest im Blick haben.

Mit freundlichen Grüßen
Kordula Schulz-Asche

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