Frage an Krista Sager bezüglich Soziale Sicherung

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Krista Sager
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Frage an Krista Sager von Sascha K. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Sager,

Ich habe bezgl. Ihrer Antwort auf die Frage von Herrn Petrick einige Nachfragen. Was die wirtschaftlichen Effekte angeht, müssen Ihre Anführungen hier erst einmal stehen gelassen werden - wie Sie selbst sagen, ist vieles daran noch spekulativ. Zudem ist mein Interesse am BGE (Bürgergeld/bedingungsloses Grundeinkommen) ohnehin von sozialpsychologischer Natur -

Sie sagen: "Wir brauchen beides: zielgenau existenzsichernde Transferleistungen und den diskriminierungsfreien Zugang zu sozialen und kulturellen Angeboten, zu Räumen der Befähigung und der Bildung. Nur so lassen sich Armutslebenslagen nachhaltig überwinden."
Meine Frage ist, wie Ernst es Ihnen mit der diskriminierungsfreien Grundsicherung ist. Haben die Grünen tatsächlich vor, den Bezug von Transfergeldern zu entstigmatisieren? Oder sollen weiterhin die derzeitigen Bedingungen daran geknüpft sein, für 345€ seine Lebensgeister zu ersticken? Oder haben die Grünen TATSÄCHLICH vor einen "freien Spirit" zu kultivieren, der für eine flexible globale Gesellschaft notwendig ist?

Zuletzt noch zwei Dinge:
1. Die Grüne Basis war mehrheitlich für ein BGE. Die Spitze auf Grund von Koalitionsmöglichkeiten dagegen. Zum einen führt dies bei mir zu Verständnis, was die Spitze angeht (eine Partei möchte schließlich regieren) und zu einer Begeisterung, was die Basis angeht. Durch die direkte Androhung der Spitze, den Hut zu nehmen, sollte die Basis mit ihrer Haltung die Koalitionsmöglichkeiten zunichte machen, wurde das BGE der Grünen schließlich abgelehnt. Glauben Sie dies könnte sich bspw. in einer Koalition mit der CDU zukünftig ändern, wenn diese ihr BGE-Konzept ausgereift hat?

2. Stünde denn ein BGE im Gegensatz zu Förder- und Bildungsangeboten von welchen Anbietern auch immer (also nicht nur staatl. Einrichtungen sondern auch andere soziale Träger)? Ich frage dies deshalb, weil das BGE meist so behandelt wird, asl sei dies eine entweder-oder-Frage.

Ich bedanke mich für Ihre Zeit.

MfG, S. Kaletka

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kaletka,

wie Sie zu der These kommen, die grüne Basis sei mehrheitlich für das Grundeinkommen, ist mir schleierhaft. Seit der BDK in Köln 2006 hat die gesamte grüne Partei über ein Jahr auf den verschiedensten Ebenen intensive Debatten über die Zukunft der Sozialpolitik geführt. Im November 2007 hat dann die Bundesdelegiertenversammlung mit deutlicher Mehrheit (60 Prozent) für den massiven Ausbau der Teilhabeinfrastruktur und eine bedarfsabhängige Grundsicherung votiert. Für ein bedingungsloses Sockelgrundeinkommen votierten nur 40 Prozent. Genauso falsch ist Ihre Behauptung, die grüne Spitze hätte das garantierte Grundeinkommen aufgrund von Koalitionsmöglichkeiten abgelehnt. Wie Sie den grünen Debatten zur Sozialpolitik entnehmen können, gibt es eine Fülle inhaltlicher Argumente gegen das garantierte Grundeinkommen aus unterschiedlichen politischen Perspektiven.

Nun aber zu Ihren Fragen: Sie verweisen zu Recht auf die sozialpsychologischen Dimensionen von Sozialpolitik, die in den Debatten um das garantierte Grundeinkommen oft zu kurz kommen. Finanzielle Transfers garantieren in der Tat noch lange nicht, sich als anerkannter und wertgeschätzter Teil unserer Gesellschaft zu fühlen -, und zwar unabhängig davon, ob die Sozialtransfer bedarfsabhängig oder bedarfsunabhängig gewährt werden. Entscheidend sind vielmehr reale Teilhabemöglichkeiten, insbesondere der Zugang und die Teilhabe am Arbeitsmarkt.

In unserer hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft wird ein Großteil der Anerkennung über Arbeit vermittelt. An diesem Befund von Hannah Arendt hat sich bis heute wenig geändert. Zugleich ermöglicht die Teilhabe an der Arbeitsgesellschaft, durch Arbeit eigenes Einkommen zu erzielen. Bildung und der reale Zugang zu Bildung sind dabei nicht nur die Voraussetzung für Beschäftigungsfähigkeit, sondern auch für Selbstbestimmung. Dies soll der Staat unterstützen. Genau deshalb setze ich mich in der Sozialpolitik so entschieden für den Ausbau der Teilhabeinfrastruktur ein, mit der die Chancen auf Bildung, Arbeit und Selbstbestimmung verbessert werden. Wer die Teilhabeinfrastruktur ausbauen will - von Kindertagsstätten, in denen frühkindliche Bildung groß geschrieben wird, über echte Ganztagsschulen bis hin zur kontinuierlichen Weiterbildung, um Ältere und Geringqualifizierte nicht abzuschreiben -, benötigt dafür die entsprechenden Mittel. An dieser Stelle tritt der Finanzbedarf des garantierten Grundeinkommens rasch in Konkurrenz zu umfassenden Förder- und Bildungsangeboten. Entscheidende Faktoren für den Finanzbedarf des garantierten Grundeinkommens sind vor allem die Höhe, die Beibehaltung oder Abschaffung ergänzender Sozialleistungen für besondere Bedarfe z.B. bei Krankheit oder Behinderung sowie auf der Einnahmeseite der Steuersatz auf die sonstigen Einkommen und die unterstellten Effekte auf die Beschäftigungsquote. Je nach Festlegung unterscheiden sich die Finanzbedarfe um ein Vielfaches, wie die recht unterschiedlichen Berechnungen von Straubhaar, Opielka oder dem Sachverständigenrat zeigen. Bei einem existenzsichernden garantierten Grundeinkommen, das auch die Wohnkosten deckt (und damit über dem Modell von Althaus liegen müsste), ist auf jeden Fall gegenüber dem Status quo mit deutlichen Mehrkosten zu rechnen.

Ihre angedeutete Mutmaßung, mit Einführung einer garantierten Grundsicherung werde der Staat zur Finanzierung von Bildungs- und Förderangeboten nicht mehr so stark gebraucht, weil andere soziale Träger diese Aufgabe übernehmen könnten, halte ich für sehr gefährlich. Um tatsächlich allen Menschen den Zugang zu den Angeboten garantieren zu können, ist die staatliche Förderung eines Großteils des Bildungsangebots - egal ob in staatlicher oder privater Trägerschaft - unverzichtbar.
Möglichst zielgenaue Transferleistungen sind dagegen mit dem Ausbau der Teilhabeinfrastruktur leichter vereinbar. Ohne individuelle Prüfung der Lebensumstände ist es allerdings kaum möglich, Transferleistungen zielgenau den Bedürftigen zugute kommen lassen. Wer auf die Prüfung von Bedürftigkeit und Bedarfen verzichten will, nimmt entsprechende Mehrausgaben in Kauf. Die Mittel fehlen dann an anderer Stelle.
Aus meiner Sicht ist das garantierte Grundeinkommen daher im Kern ein Mittelstandskonzept. Menschen mit sehr guter Bildung und hohen Kompetenzen profitieren im Bedarfsfall von der Konzentration auf Geldtransfers. Diese Gruppe bildet aber nur einen Teil der heutigen Transferempfänger. Für große Teile der Transferbezieher mit schlechteren Qualifikationen und unzureichenden Kompetenzen läuft das garantierte Grundeinkommen dagegen auf eine "Stillhalteprämie" heraus.

Mit freundlichen Grüßen
Krista Sager