Frage an Lars Castellucci

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Lars Castellucci
SPD
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Frage von Frank R. •

Frage an Lars Castellucci von Frank R.

Lieber Herr Castellucci,

bisher habe ich Sie als meinen Abgeordneten mit Wohlwollen beobachtet. Warum Sie heute vermutlich gegen Ihre eigene Überzeugung für dieses peinliche, ausländerfeindliche, den europäischen Integrationsgedanken pervertierende, bürokratische und den Überwachungsstaat fördernde Gesetz gestimmt haben, lässt mich verzweifeln. Wie kann ein Koalitionsvertrag Sie dazu zwingen? Haben Sie den denn persönlich unterschrieben? Dürfen Sie (und natürlich alle anderen Abgeordneten) juristisch gesehen Ihr Stimmverhalten überhaupt über einen Vertrag an andere Interessen verkaufen? Und schließlich (und das ist tatsächlich eine fast rein rhetorische Frage): Wenn man als Abgeordneter sein Stimmverhalten an Parteizugehörigkeiten oder Koalitionsverträge bindet, macht man sich damit nicht selbst überflüssig?

Meine konkrete Frage an Sie ist also folgende: Wie frei ist man als gewählter Abgeordneter in seinem Abstimmungsverhalten? Was würde denn Schlimmes passieren, wenn man bei so einer Abstimmung einfach mal ausschert? Könnte Politik nicht anders besser funktionieren, wenn man z.B. die maximale Mandatszeit auf 1-2 Legislaturen beschränkt?

Herzliche Grüße
Frank Rominger

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Lieber Herr Rominger,

vielen Dank für Ihre Frage. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, was Sie umtreibt, aber es zeigt auch, dass wir in Deutschland dringend intensiver ins Gespräch kommen müssen, wie Politik funktioniert (und natürlich auch immer: besser funktionieren könnte). Ich kann Ihnen hier nicht so differenziert antworten, wie es eigentlich erforderlich wäre. Trommeln Sie doch fünf Leute zusammen, die ähnlich wie Sie Fragen haben, und wir unterhalten uns bei Ihnen im Wohnzimmer in Sandhausen oder in meinem Büro in Wiesloch einmal ausführlicher.

Im Kern geht es darum, dass man einen Staat nicht regieren kann, wenn jeder macht, was er will. Man kann auch keine Familie sein, wenn jeder macht, was er will. Es braucht Spielregeln und die müssen verlässlich sein. In unserem Fall ist das der Koalitionsvertrag. Da stehen Sachen drin, die mir wichtig sind, und andere, die ich richtig schlecht finde - die Maut gehört dazu. Aber es kommen hier keine Menschen um (wie in anderen Feldern, zu denen ich politisch arbeite) und unter anderem deshalb ist hier nicht mein Gewissen angesprochen. Wenn ich will, dass die Union unseren Projekten zustimmt, dann muss ich auch auf sie zugehen, das ist die ganze Geschichte. Und wenn Sie nach dem Sinn meiner Arbeit fragen: Dass dieser Vertrag umgesetzt wird und zwar in dem Geiste, wie wir ihn verhandelt haben, wäre ohne Abgeordnete nicht möglich. Dazu kommen Themen, die gar nicht verhandelt wurden. Und dann ist da die Scharnierfunktion: Wir schauen, wie die Sachen vor Ort ankommen, und können wieder rückmelden und nachsteuern.

Mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages haben wir Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion uns verpflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Drei Bedingungen haben wir aufgestellt: es darf kein deutscher Autofahrer zusätzlich belastet werden, die gesetzliche Regelung muss mit europäischem Recht vereinbar sein und es muss einen substantiellen Beitrag für die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur erwirtschaftet werden.

Im parlamentarischen Verfahren hat die SPD-Bundestagsfraktion dann noch weitreichende Änderungen an dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen gegen den Widerstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durchsetzen können:

- Es wird verhindert, dass die geplanten Zeitvignetten zu einer Diskriminierung von EU-Ausländerinnen und Ausländern führt.
- Wir haben für ein Mehr an Datenschutz gesorgt und die Speicherfristen für persönliche Daten der Halterinnen und Halter von drei auf ein Jahr reduziert.
- Es wird einen verbindlichen Bürokratie- und Einnahmencheck zwei Jahre nach der technischen Einführung der PKW-Maut gesetzlich festgeschrieben. Dabei sollen auch Auswirkungen der Pkw Maut auf die Grenzregionen untersucht werden.

Damit sind die Bedingungen des Koalitionsvertrags erfüllt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen ein verkehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt, das sozialdemokratische Kernforderungen in die Tat umsetzt. Ich habe daher trotz großer Bedenken zugestimmt.

Und: Wir konnten als SPD viele Wahlversprechen – gegen den Widerstand der Union – umsetzen. Zum Beispiel den Mindestlohn, die Rente mit 67, die Frauenquote, die Mietpreisbremse, die doppelte Staatsbürgerschaft, das Elterngeld Plus, das Pflegestärkungsgesetz, mehr Transparenz bei Rüstungsexporten usw.…).

Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz sind wir Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. D.h. es gibt theoretisch keinen Fraktionszwang. Allerdings stimmen sich die Mitglieder des Deutschen Bundestages in ihren Fraktionen meist vorher (intern) über die Entscheidung ab. So auch im Falle der Maut. An das Ergebnis dieser Abstimmung halten sich fast immer alle Mitglieder der Fraktion. Anders ist es bei sogenannten „Gewissensentscheidungen“ (wie z.B. bezüglich Schwangerschaftsabbruch, der Verlängerung der Verjährungsfrist von NS-Verbrechen oder bei der Debatte über die Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik oder auch bei der Sterbehilfe).

Eine Beschränkung der Legislatur auf 1 bis 2 Jahre halte ich nicht für sinnvoll. Ich würde es sogar begrüßen, die bisher vierjährige Legislaturperiode des Bundestages zu verlängern, zum Beispiel auf fünf Jahre. Dies könnte eine Erleichterung des politischen Handelns bedeuten. Ich bin mir sicher, dass dann ein gründlicheres und weniger vom Wahlkampf getriebenes Arbeiten möglich wäre. Gleichzeitig müssten dann aber auf Bundesebene Volksabstimmungen und andere Elemente der direkten Demokratie deutlich erleichtert werden.

Freundliche Grüße
Lars Castellucci

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