Frage an Manfred Weber bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Manfred Weber
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Frage von David M. •

Frage an Manfred Weber von David M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Weber,

ich habe vor einigen Tagen erfahren dass ganz offensichtlich und nicht wirklich intensiv von Medien und co beachtet das "Handelsabkommen" ACTA derzeit im Ratifizierungsprozess zu sein sein scheint und wohl das EU-Parlament demnächst abstimmen müsste ob es das Abkommen annimmt oder nicht. Ich bin davon entsetzt - sowohl von dem Entstehungsprozess des Abkommens das anscheinend mehr oder weniger hinter verschlossenen Türen und an der Öffentlichkeit und entsprechenden Institutionen vorbei entstanden ist - als auch von den Zensurmöglichkeiten des Vertrages. Ich habe das Abkommen selber gelesen und interpretiere es so dass eigentlich jeder unbescholtene Bürger dadurch mehr oder wenig ohne Vorwarnung zum Straftäter werden könnte & die Internetprovider quasi gezwungen werden den Datenstrom zu protokollieren, zu kontrollieren und mögliche Missetäter zu bestrafen.

Deswege möchte ich folgendes wissen: Was wissen sie genaues über das Abkommen? Wieso ist der gesamte Entstehungsprozess des Abkommens unter Ausschluss der Öffentlichkeit absolut undemokratisch und unter gewaltigem Desinteresse der Medien stattgefunden? Und vor allem entscheidend: Werden sie für das Abkommen stimmen? Ja oder nein, einfache Frage. Und wenn ja: Warum?

Ich bedanke mich für eine hoffentlich baldige Antwort,

mit freundlichen Grüßen

David Moch

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CSU

Sehr geehrter Herr Moch,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage bezüglich der Unterzeichnung des Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA). Im Parlament werden wir das Abkommen in aller Ruhe und mit Sorgfalt diskutieren. Dann werde ich mir meine persönliche Meinung bilden, ob ich zustimme oder nicht. Noch hat es ein wenig Zeit, weil die Abstimmung vermutlich erst in einigen Monaten sein wird. Außerdem hat die EU-Kommission das Vertragswerk dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vorgelegt.

Jedenfalls sind die Infos von allen Mitgliedern der so genannten Netz-Gemeinde hilfreich. Und mir ist bewusst, welche Aufmerksamkeit das Thema genießt und wie wichtig es vielen Internetnutzern, gerade der jüngeren Generation ist. Dies wird nicht zuletzt auch in persönlichen Gesprächen mit Internet-Dienstleistern und –Nutzern deutlich.

Gerne möchte ich Ihnen in den folgenden Ausführungen die Einschätzung meines Fachkollegen Daniel Caspary (CDU) zu den zwei Hauptkritikpunkten an ACTA erläutern, die derzeit in der Öffentlichkeit diskutiert werden:

1.) ACTA sei von den teilnehmenden Staaten intransparent und undemokratisch hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden.

Für die Europäische Union (EU) hat die EU-Kommission das Abkommen verhandelt. Das Mandat dafür hat sie von den demokratisch gewählten Regierungen der EU-Staaten bekommen. Während der laufenden Verhandlungen wurde die EU-Kommission durch das ebenfalls demokratisch gewählte Europäische Parlament kontrolliert: sowohl durch Anfragen, Resolutionen und Debatten im Plenum als auch durch den zuständigen Außenhandelsausschuss (INTA). Letzterer hat mit den Verhandlungsführern und dem zuständigen EU-Kommissar regelmäßig über den Verhandlungsstand und die geäußerten Sorgen vieler Bürgerinnen und Bürger diskutiert und entsprechende Forderungen für die weiteren Verhandlungen gestellt. ACTA wird nicht als bürokratische Hinterzimmergeburt fernab der Öffentlichkeit in Kraft treten. Erst wenn das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente der EU-Staaten in öffentlichen Sitzungen grünes Licht für ACTA geben sollten, kann es tatsächlich angewendet werden.

ACTA ist kein geheimes Abkommen: Der endgültige Vertragstext von ACTA ist in allen Amtssprachen der EU verfügbar. Die deutsche Version ist unter http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/11/st12/st12196.de11.pdf abrufbar.
Richtig ist, dass die einzelnen Verhandlungsrunden von ACTA nicht öffentlich waren sondern vertraulich geführt wurden. Aber: Verhandlungen von internationalen Verträgen werden regelmäßig nicht öffentlich geführt. Das Verfahren im Falle von ACTA war also ganz normal und gerade kein Sonderfall sondern entspricht der gängigen Praxis für internationale Verhandlungen. Die EU-Kommission hat jedoch die Öffentlichkeit nach jeder der elf Verhandlungsrunden über den aktuellen Verhandlungsstand unterrichtet. Diese Berichte sind auch unter http://ec.europa.eu/trade/creating-opportunities/trade-topics/intellectual-property/anti-counterfeiting/ abrufbar.

Erlauben Sie in diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung zum Verhalten des französischen Kollegen Kader Arif, der als Berichterstatter des Europäischen Parlaments zu ACTA seine Berichterstatterschaft am 26.01.2012 unter anderem unter Verweis auf die angebliche Intransparenz des Verfahrens zurückgegeben hat. Zum einen wurde er erst nach Abschluss der Vertragsverhandlungen als Berichterstatter bestimmt. Er übernahm die Berichterstatterschaft also bereits in voller Kenntnis des Verfahrens und der Inhalte des abgeschlossenen Abkommenstextes. Zum anderen war er es, der maßgeblich auf die Verschiebung einer bereits in der Tagesordnung vorgesehenen Aussprache im Außenhandelsausschuss (INTA) des Europäischen Parlaments zu ACTA Ende 2011 hingewirkt hat. Mir erscheint daher Herrn Arifs Begründung vorgeschoben und nur unter Berücksichtigung seines starken Engagements in der gegenwärtigen heißen Phase des französischen Präsidentschafts-wahlkampfes erklärbar.

Ziel der EVP-Fraktion ist es, durch eine zeitnahe und öffentliche Befassung des zu-ständigen Ausschusses mit diesem Thema eingehend auf die geäußerten Bedenken zahlreicher Bürgerinnen und Bürger einzugehen und ggf. nochmals den unabhängigen Rechtsdienst des Europäischen Parlaments mit der Angelegenheit zu befassen.

2.) ACTA sei das Ende des freien Internets durch angeblich darin enthaltene Internetsperren und sei damit ein massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit. Unter anderem deshalb sei ACTA mit den Verträgen und sonstigen Rechtsakten der EU (so genannter acquis communautaire) nicht vereinbar.

ACTA sieht nach Aussage der Kommission keine Internetsperren vor. Außerdem steht ACTA nach Aussage der Kommission auch im Einklang mit dem derzeitigen Harmonisierungsniveau betreffend der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, dem Regulierungsrahmen für die Telekommunikation und nicht zuletzt mit den einschlägigen EU-Regelungen zum Datenschutz und zur Privatsphäre. Die EU-Kommission sagt zudem eindeutig, dass ACTA mit den europäischen Verträgen und dem geltenden EU-Recht voll vereinbar ist. ACTA wird also nichts an den geltenden Gesetzen der EU ändern.

Dies alles hat der Rechtsdienst des Europäischen Parlaments in zwei vom Außenhandelsausschuss (INTA) und vom Rechtsausschuss (JURI) beauftragten Rechtsgutachten eindeutig bestätigt. Beide Gutachten sind mittlerweile auch im Internet verfügbar unter http://lists.act-on-acta.eu/pipermail/hub/attachments/20111219/59f3ebe6/attachment-0010.pdf (Rechtsgutachten des legal service für den JURI ab S.1 und für den INTA ab S. 9).

Fast gebetsmühlenhaft wiederholt der zuständige Außenhandelskommissar Karel De Gucht, dass sich für einen Bürger in Europa nichts ändert - an dieser Aussage werden wir die Kommission bei der Umsetzung von ACTA in Europa messen. Umgekehrt stellt ACTA sicher, dass die Unterzeichnerstaaten gegen gefälschte Markenartikel vorgehen, unter denen heute viele Unternehmen in Europa leiden: wegen den in Milliardenumfang gehandelten gefälschten Produkten und der ständigen Verletzung des geistigen Eigentums sind in Europa bereits tausende Arbeitsplätze verloren gegangen oder gar nicht erst entstanden. Wir müssen etwas tun, um hier unsere Interessen durchzusetzen: ACTA ist ein Baustein, der beispielsweise dabei hilft, dass europäische Modedesigner, Künstler oder Automobilhersteller ihre Rechte ausreichend geschützt wissen, wenn sie sich mit der Fälschung ihrer Produkte außerhalb Europas konfrontiert sehen. Wir "exportieren" also durch ACTA europäische Standards und importieren nicht ausländisches Recht.

Ein Punkt liegt mir besonders am Herzen: eine umfassende und öffentliche Debatte zu ACTA. Gemeinsam mit meinem Kollegen Caspary, Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion im Außenhandelsausschuss des Europäischen Parlaments, werde ich alles daran setzen, dass ACTA erneut in den öffentlichen Debatten in den zuständigen Ausschüssen und in den Plenartagungen des Europäischen Parlaments behandelt wird.

Herr Caspary hat in diesem Zusammenhang die Bitte an die Kritiker von ACTA gerichtet, ihm bisher noch nicht durch unseren Rechtsdienst behandelte konkrete Bedenken unter Nennung des entsprechenden Artikels des Textes zukommen zu lassen. Sehr gerne werde er dann eine rechtliche Bewertung dieser Kritikpunkte sowohl durch die EU-Kommission als auch durch den juristischen Dienst des Europäischen Parlaments einholen und in die Debatte einbringen. Denn sollten sich trotz der beschriebenen bisherigen Aussagen der Kommission und des Parlamentsrechtsdienstes die Bedenken der ACTA-Kritiker wider Erwarten bestätigen, dann könnte auch unsere Fraktion diesem Abkommen nicht zustimmen.

Auf der Homepage meines Fraktionskollegen Daniel Caspary ist dem Thema ACTA eine Sonderseite gewidmet: Unter http://casparymdep.de/politik/themen/handel/acta finden Sie weitere Informationen und die Links zu allen wichtigen hier angesprochenen Texten.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Sicht der Thematik grundlegend darstellen und danke Ihnen für Ihre Einsatz.

Mit freundlichen Grüßen

Manfred Weber
Mitglied des Europäischen Parlaments

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