Frage an Martin Gerster bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

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Martin Gerster
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Frage von Fritz L. •

Frage an Martin Gerster von Fritz L. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Werter Herr Abgeordneter,

Wieso wird immer behauptet, wir brauchen mehr Akademiker? Meines Wissens sind zumindest Naturwissenschaftler nur schwer zu vermitteln, insbesondere Physiker und noch mehr Biologen. Letztere sitzen hundetfach in der US-Forschung für peanuts und werden nur selten "reimportiert".
Bitte klären Sie mir diese Wiedersprüche.

mfg F. Lorch

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Sehr geehrter Herr Lorch,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte. Lassen Sie mich die unterschiedlichen Aspekte, die Sie aufgreifen, der Reihe nach ansprechen.

Erstens: Den von Ihnen dargestellten Widerspruch gäbe es nur dann, wenn die Arbeitsmarktchancen für Naturwissenschaftler in Deutschland tatsächlich so schlecht wären, wie Sie es schildern. Dies ist jedoch nach meinem Kenntnisstand - trotz gewisser Unterschiede zwischen einzelnen Fachrichtungen - gar nicht der Fall: http://www.faz.net/s/RubC52E801ADECC4116B72CA91CC875494C/Doc~E9ED3DAF4CBA547BE8125CFEDDDE89DD5~ATpl~Ecommon~Sspezial.html. Auch Personalmarketing- und Recruiting-Unternehmer stellen die Lage dieser Berufseinsteigergruppe recht positiv dar: http://www.staufenbiel.de/branchen/naturwissenschaftler/einstieg/arbeitsmarkt-fuer-naturwissenschaftler-2009.html

Zweitens: Die in der Öffentlichkeit gerne diskutierten Mangel-Prognosen beziehen sich in der Regel nicht auf die unmittelbare Gegenwart. Es geht vielmehr um einen mittel- bis langfristig in die Zukunft projizierten Bedarf an Hochschulabsolventen, dessen auf einzelne Fächer eingegrenzte Schätzung selbst Experten nicht leicht fällt. Ich verweise in diesem Zusammenhang den jüngsten Bildungsbericht der Bundesregierung, den ich übrigens insgesamt für sehr lesenswert halte. Dort heißt es (S.180): „Bei der Vorausberechnung im Hochschulbereich ist zu beachten, dass bereits in der Vergangenheit kurzfristige Entwicklungen oft zu Abweichungen von den langfristigen Trends geführt haben. Fachspezifische Zyklen in der Beschäftigungsentwicklung von Hochschulabsolventen (z. B. in den Ingenieurwissenschaften oder der Informatik) haben die Studierbereitschaft einmal vermindert, ein anderes Mal verstärkt. Gegenwärtig lassen sich mögliche Auswirkungen der wirtschaftlichen Entwicklung auf das Interesse von Studienberechtigten an der Aufnahme eines Hochschulstudiums kaum vorhersehen.“ http://www.bildungsbericht.de/daten2010/bb_2010.pdf#page=194 (PDF)

Das bedeutet aber keineswegs, dass es keinen wachsenden Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften gäbe. Auch in diesem Zusammenhang verweise ich auf die zentralen Ergebnisse des Berichts (S.10): „Projektionen zum Arbeitskräftebedarf und -angebot bis 2025 lassen insgesamt nur begrenzte Lücken im Arbeitskräfteangebot erwarten, aber deutliche Engpässe bei den personenbezogenen Dienstleistungen: Insgesamt wird es in etwa zu einem Ausgleich zwischen Arbeitskräfteangebot und -bedarf kommen, was aber größere Engpässe nach Qualifikationen oder in Berufsfeldern nicht ausschließt. Bei der qualifikationsniveauspezifischen Arbeitskräfteentwicklung wird es weiterhin zum Rückgang un- und geringqualifizierter Arbeit und zu einem Anstieg von hochqualifizierten Tätigkeiten kommen, die ein Hochschulstudium voraussetzen. Die mittlere Qualifikationsebene dürfte durch eine relative Konstanz oder geringe Rückgänge geprägt sein. Nach den Prognosen wird zwischen 2005 und 2025 der Anteil der Arbeitskräfte ohne berufliche Ausbildung an den Erwerbstätigen weiter zurückgehen. Für Personen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung dürfte es in Zukunft noch schwerer werden, einen Arbeitsplatz zu finden, weil das Angebot dieser Arbeitskräfte den Bedarf bis 2025 um etwa 1,3 Millionen übersteigen wird. Nach Berufsfeldern sind die stärksten Personalengpässe bei den personenbezogenen Dienstleistungen zu erwarten. Qualifikationsbedarf entsteht insbesondere bei den Gesundheits- und Sozialberufen auf der mittleren und höchsten Qualifikationsebene.“ http://www.bildungsbericht.de/daten2010/wichtige_ergebnisse_presse2010.pdf

Eine generell höhere Nachfrage nach akademisch qualifiziertem Personal sagt ebenfalls eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) voraus( http://doku.iab.de/grauepap/2007/Fachkraeftebedarf_Wirtschaft.pdf ) , in der u.a. auf das Problem eines mittelfristig (ab 2015) erwarteten Akademikermangels - allgemein und speziell in naturwissenschaftlich-technischen Berufen - eingegangen wird: http://doku.iab.de/grauepap/2007/Fachkraefte_Material_B2.pdf

Insofern halte ich es nicht für unvernünftig, jungen Menschen weiterhin zu raten, einen möglichst hochqualifizierten Abschluss anzustreben Auch wenn sich seriöse Prognosen über die konkrete Bedarfsverteilung nicht geben lassen, gibt es nach meiner Ansicht keinen vernünftigen Grund, interessierten jungen Menschen von einem naturwissenschaftlichen Studium abzuraten.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster

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