Frage an Martin Gerster bezüglich Soziale Sicherung

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Martin Gerster
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Frage von Jörg D. •

Frage an Martin Gerster von Jörg D. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Gerster,

erstmal vielen Dank für Ihre Antwort auf meine letzte Frage. Ich möchte Sie nun fragen, ob die Gerechtigkeitsforderung des Jovialismus tatsächlich so schwer realpolitisch umzusetzen ist. Die Forderung lautet (steht auf der HP):

Die Aufgabe des Staats bestehen darin, Bedingungen zu schaffen, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichen und dabei jedem die Chancengleichheit bieten, sich frei zu entfalten und zu verwirklichen, solange er dabei niemanden im gleichen Recht einschränkt.

Das angesprochene Grundeinkommen ermöglicht ein friedliches Zusammenleben und bietet Chancengleichheit. Schließlich garantiert es die Überlebensfähigkeit des Einzelnen durch die Gemeinschaft.

Sie bemängeln in Ihrer Antwort auf Götz Werner, daß er das Recht auf Grundeinkommen durch die Menschenrechte ableitet. Der Jovialismus leitet ein Grundeinkommen aus einem Naturrecht ab (deshalb glaube ich Ihnen nicht, daß Sie sich tatsächlich mit den Schriften beschäftigt haben). Sie finden dieses unter folgendem Link:
http://www.iovialis.org/counting.php?file=naturzustand.pdf
Alle Texte auf: http://www.iovialis.org/download

Der Jovialismus geht von folgenden Wirtschaftsgrundlagen aus, die JEDE Wirtschaftsordnung begründen:
A) Alle Menschen konsumieren (mindestens um den Grundbedarf zu decken). Dies bildet die Nachfrage.
B) Es gibt Menschen, die den Grundbedarf aus A) nicht allein decken können. Im Normalfall sind das: Kinder, Behinderte, Alte und heute: alle Menschen, die kein bzw. wenig Geld bekommen, um davon den Grundbedarf aus A) zu finanzieren.
C) Es gibt Menschen, die den Grundbedarf aus A) allein decken können. Das sind Menschen, die Produktionsmittel haben (Maschinen, Grundstücke, Arbeitskraft, Rohstoffe, vorhandenes Geld usw.). Diese Menschen bilden das Angebot.

Wie wollen Sie auf Basis dieser Grundlagen Gerechtigkeit schaffen?

Vorab vielen Dank für Ihre Antwort,

mit freundlichen Grüßen,

Jörg Drescher

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Sehr geehrter Herr Drescher,

vielen Dank für Ihre neuerliche Frage, zu der ich wiederum gerne Stellung nehme. Entgegen Ihrer Vermutung habe ich mir durchaus etwas Zeit genommen, mich mit Ihrer Arbeit zu befassen.

Bei aller Sympathie für Ihre Motive muss allerdings sagen, dass ich inhaltlich nicht von Ihren Konzepten überzeugt bin. Meine Zweifel betreffen sowohl die logische Stringenz ihrer Argumentation als auch ihre für mich kaum nachvollziehbaren wirtschaftstheoretischen Prämissen. Der Markt besteht nun einmal nicht nur aus Menschen, die von allem (Geld, Zeit, Beziehungen, Wissen und Können) zu viel besitzen, und anderen, die generell zu wenig haben. Ressourcenbesitz- bzw. Mangel, Tausch und Arbeitsteilung spielen komplexer zusammen, als Sie es darstellen. Hier sind Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler heute schon ein gutes Stück weiter.

Übrigens: Meine Kritik an den Ideen von Herrn Werner macht sich nicht an der philosophischen Ableitung des Grundeinkommens fest, sondern an der Tatsache, dass sie in einem global vernetzen und aus nationalen Ökonomien zusammengesetzten Wirtschaftssystems nicht funktionieren würde. Die Finanzierung des Grundeinkommens über Verbrauchssteuern würde die Preise in die Höhe treiben und Vermeidungsstrategien in Gang setzen, die bestehende Ungerechtigkeiten durch andere ersetzen oder gar verschlimmern würden. Wer zum Beispiel nahe an einer Grenze wohnt, könnte sein staatlich garantiertes Grundeinkommen leichter im Nachbarland für billigere Konsumprodukte ausgeben. Davon würde primär die dortige Wirtschaft profitieren, der Staat langfristig finanziell ausbluten, während die Unternehmensgewinne massiv stiegen.

Diese Problematik sieht übrigens auch Dr. Manfred Füllsack, den Sie in einer Ihrer Publikationen („Die Idee eines Emanzipatorischen Bedingungslosen Grundeinkommens“; http://www.iovialis.org/download/BGE-Buch.pdf ) zitieren: “Die Einführung eines nationalen Grundeinkommensschema, das in dieser Weise als staatlich initiierte Verbilligung von Arbeitskraftkosten gegenüber einem billigeren benachbarten Ausland argumentiert werden will, müsste also mit einer noch wesentlich radikaleren Abschottung der Grenzen gegen dieses Ausland einhergehen als sie zur Zeit schon betrieben wird. Schon dies würde enorme Kosten verursachen. Die Strukturunterschiede aber, die von einer solchen Abschottung unweigerlich erzeugt würden, weil sie den ökonomischen, sozialen und kulturellen Kräften auf breiter Front die Möglichkeit nimmt, Dampf abzulassen72 – man denke etwa an die Folgen des „Eisernen Vorhangs“ oder auch an die der Grenze der Vereinigten Staaten zu Lateinamerika –, würden sich in einer hochdynamisierten Welt wie der unseren wohl innerhalb kürzester Zeit zu Differenzen auswachsen, die, wenn schon nicht unmittelbar, so doch in weiterer Zukunft wesentlich teurer zu stehen kämen und überdies wohl wesentlich schwerer zu kalkulieren wären als jeder Versuch, dem Abfluss der Arbeitskräfte – und übrigens auch der Steuern – in Billigländer gleich auf globaler Ebene zu begegnen.“ Die einzige Alternative, eine weltstaatliche Lösung, ist aber auf absehbare Zeit völlig utopisch.

Vor diesem Hintergrund macht es keinen Unterschied ob man das Grundeinkommen vom Prinzip der Menschenwürde, oder aus dem Naturrechtsgedanken ableitet. Schließlich wird die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte von vielen Philosophen (Hobbes, Locke, Rousseau) aus dem Naturrechtsgedanken abgeleitet. An der mangelnden Schlüssigkeit und Praktikabilität Ihrer Ideen ändert sich aber auch dadurch nichts. Meiner Ansicht nach braucht die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen keine philosophisch abstrakte Begründung. Sie braucht eine wirtschaftspolitisch realisierbare Konzeption.

Was meine Gerechtigkeitskonzeption angeht, so halte ich die seitens der SPD vertretenen Idee des vorsorgenden Sozialstaates für durchaus tragfähig. Schon jetzt schützt der Sozialstaat die „Überlebensfähigkeit“ des Einzelnen in der Gemeinschaft – insofern sieht unsere Gesellschaftsordnung schon viele der von Ihnen dargelegten Gedanken von. Um diesen Sozialstaat jedoch finanzierbar zu halten, gilt es das Prinzip der Nachhaltigkeit mitzudenken. Der vorsorgende Sozialstaat will über die Existenzsicherung hinaus Chancengleichheit unabhängig von der Verteilung ökonomischer und politischer Ressourcen herstellen. Dabei setzt er vor allem auf Bildung, denn sie sind in der Wissensgesellschaft der Schlüssel zum sozialen Aufstieg und zur mehr Produktivität, ohne die unterstützende Transferleistungen nicht möglich sind.

Das Prinzip der Vorsorge verlangt dem Bürger jedoch auch ab, selbst aktiv zu sein und seine Verantwortung als „Entscheider“ gerecht zu werden und langfristig zu denken. Kurz gesagt: Es muss um fördern und fordern gehen. Als Sozialdemokrat gebe ich dabei dem Ideal der Gleichheit im Zweifel Vorrang vor dem – ebenfalls unabdingbaren – Prinzip der Freiheit. Gerechtigkeit bedeutet für mich einen möglichst weitgehenden Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum bei gleichzeitiger Begründungspflichtigkeit ökonomischer, politischer, sozialer und kultureller Machtgefälle in einer Gesellschaft.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort meinen Standpunkt deutlicher gemacht zu haben und würde Sie bitten, sich bei weiteren Anfragen zu Ihrem Projekt direkt an mich zu wenden. Schließlich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, diese Plattform diene als Transportvehikel für die Bewerbung von fachwissenschaftlich schlecht abgesicherten Konzepten. Eine solche Vermutung drängt sich mir nach Kenntnisnahme Ihrer Stellungnahmen auf der – augenscheinlich von Herrn Werner ins Leben gerufenen – „udz-wiki“ sowie Ihrer Beiträge auf youtube ( http://de.youtube.com/watch?v=uy3BhlRzrB4 ) auf.

Mit herzlichen Grüßen

Martin Gerster

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