Frage an Martin Rosemann

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Martin Rosemann
SPD
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Frage von Klaus J. •

Frage an Martin Rosemann von Klaus J.

Sehr geehrter Herr Dr. Rosemann,

werden Sie diesmal bei der Abstimmung für weitere Griechenlandhilfen (3. Hilfspaket) wieder mit "Ja" stimmen? Wissend dass auch dieser Mrd Betrag zum Fenster herausgeschmißenes Geld ist. Griechenland sollte erst einmal lernen wie Staat "geht".
Bei nicht staatlich gelenkten Umfragen sind ca. 90% gegen jede weitere Hilfen für Griechenland. Bei der nächsten BT Wahl werden sich diese Leute sicherlich mit dem Stimmzettel Gehör verschaffen.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Jaentsch

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SPD

Sehr geehrter Herr Jaentsch,

vielen Dank für Ihre Anfrage zur Abstimmung über die Verhandlungen für ein drittes Hilfspaket für Griechenland, die ich gerne beantworte.

Ich habe der Aufnahme von Verhandlungen zugestimmt und bin froh, dass es dazu gekommen ist.

Es ist meine feste Überzeugung: Ein Grexit wäre für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch für die europäische Einigung ein fatales Signal. Ein Grexit würde zu einer rasanten Abwertung der dann eingeführten neuen Währung führen. Infolgedessen droht ein Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft. Die Unternehmen wären zahlungsunfähig. Die Bürgerinnen und Bürger wären nicht mehr in der Lage, dringend benötigte Importgüter zu kaufen. Die Folge wäre eine massenhafte Verelendung des Landes. Auch in diesem Fall wäre europäische Solidarität in wahrscheinlich noch größerem Ausmaß erforderlich. Zudem müssten die Schulden des griechischen Staates bei seinen europäischen Partnern vollständig abgeschrieben werden. Dass dies die für die Menschen in Griechenland bessere und für den deutschen Steuerzahler günstigere Lösung wäre, halte ich für ein Märchen. Zudem haben gerade wir Deutsche ein Interesse an einem funktionierenden Euro. Denn gemeinsamer Binnenmarkt und gemeinsame Währung haben gerade bei uns in Deutschland und in Baden-Württemberg einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, Arbeitsplätze zu sichern.

Es war, ist und bleibt meiner Meinung nach deshalb richtig, gemeinsam mit Griechenland und allen Partnern nach einer Lösung innerhalb des gemeinsamen Währungsraums zu suchen. Dass dieser Weg nun gemeinsam beschritten wird und damit eine Spaltung in Europa verhindert werden konnte, ist gerade dem maßgeblichen Einsatz von Sozialdemokraten in Europa zu verdanken: Martin Schulz, Jeroen Dijsselblom, François Hollande und auch Sigmar Gabriel.

Am Ende kann eine solche Lösung nur gelingen, wenn die Solidarität der europäischen Partner auf den Willen in Griechenland trifft, sich selbst zu helfen und die eigenen Probleme konsequent anzugehen. Europäische Solidarität gegen Selbsthilfe ist deshalb die richtige Maxime.

Es geht dabei nicht um Solidarität mit der griechischen Regierung oder den dortigen gesellschaftlichen Eliten. Sondern es geht um Solidarität mit der griechischen Bevölkerung. Dabei sollten wir uns als Deutsche durchaus daran erinnern, welche Solidarität von Seiten unserer heutigen europäischen Partner uns nach dem Zweiten Weltkrieg zu Teil geworden ist. Nach brauner Diktatur und Völkermord durften wir wieder gleichberechtigter Partner sein, durften uns wiedervereinigen und sind zur größten Wirtschaftsnation Europas aufgestiegen.

Klar ist aber auch, dass auch die Menschen in Griechenland und ihre Regierung Anstrengungen unternehmen müssen, um dem Land eine Perspektive zu eröffnen. Dabei geht es nicht um kurzfristige Sparmaßnahmen, sondern um tiefgreifende strukturelle Reformen. Reformbedarf gibt es insbesondere auf den folgenden Feldern:

• Nach wie vor verfügt Griechenland über kein funktionierendes Katasterwesen und keine funktionierende Steuerverwaltung. Im Ergebnis zahlen gerade die
reichen Griechen fast keine oder gar keine Steuern. Hinzu kommen zahlreiche Ausnahme- und Subventionstatbestände im Steuerrecht (z.B. für Reeder),
auch bei der Mehrwertsteuer.
• Die öffentliche Verwaltung und der öffentliche Sektor Griechenlands sind für die Größe des Landes deutlich überdimensioniert.
• Das soziale Sicherungssystem ist ineffizient. Eine soziale Mindestsicherung ist nicht vorhanden, dafür gibt es großzügige Zusatzsysteme im Bereich der
Alterssicherung.
• Auf vielen Märkten herrschen monopolistische Anbieterstrukturen, die gesetzlich geschützt werden und durch die im europäischen Vergleich sehr hohe
Preise bezahlt werden müssen.

Hinzu kommt der weit verbreitete Klientelismus in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft.

Dies sind auch die Bereiche, in denen gemäß der Vereinbarung vom vorangegangenen Wochenende vor allem Maßnahmen von Seiten der griechischen Regierung erwartet werden.

Zu den in diesen Bereichen dringend notwendigen Strukturreformen müssen jedoch auch Investitionen für Wachstum und Beschäftigung treten, die Griechenland alleine – ohne Unterstützung seiner europäischen Partner – derzeit nicht leisten kann. Auch dies sollte Teil eines dritten Hilfsprogramms sein. Allerdings werden Investitionshilfen nur dann wirken, wenn sie auch auf funktionierende staatliche und wirtschaftliche Strukturen treffen, die diese umsetzen können.

Schließlich stellt sich auch die Frage nach der Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden, weshalb bei den Verhandlungen über das neue Programm auch über eine Streckung der Rückzahlung und eine weitere Umschuldung gesprochen wird. Ein vollständiger Schuldenschnitt wäre jedoch nur bei einem Grexit möglich. Zum ersten, weil nach geltender Vertragslage ein Schuldenschnitt im Euro nicht möglich ist, zum zweiten, weil mit einem vollständigen Schuldenschnitt keinerlei Einfluss der europäischen Partner auf die Umsetzung der notwendigen Reformen in Griechenland gegeben wäre, und zum dritten, weil dann auch andere Länder in einer ähnlichen Situation einen Schuldenschnitt verlangen würden.

Mit der Zustimmung zum Verhandlungsmandat durch eine Reihe nationaler Parlamente werden die Verhandlungen über das dritte Hilfsprogramm im Rahmen des ESM jedoch erst beginnen. Noch immer ist keineswegs sicher, dass am Ende wirklich eine Einigung steht. Noch immer kann der Prozess scheitern. Nach einer endgültigen Einigung wird der Bundestag abermals abstimmen müssen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Martin Rosemann

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