Frage an Mathias Volkmar Zschocke bezüglich Recht

Volkmar Zschocke
Mathias Volkmar Zschocke
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Enrico R. •

Frage an Mathias Volkmar Zschocke von Enrico R. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Zschocke,

wir erleben derzeit Einschränkungen, auch unserer Grundrechte, die, wie ich finde, auch jeder Diktatur gut zu Gesicht stünden.

So sehr ich die Beweggründe hinter diesen Einschränkungen verstehe und auch ihr Ziel vollkommen unterstütze, so sehe ich die Zweckmäßigkeit einiger Regelungen nicht. Generell höre ich viel Unmut in meinem Umfeld über die Willkürlichkeit und Lebensferne vieler Regelungen.

Ein großes Problem, das ich mit der Allgemeinverfügung unserer Staatsregierung habe, ist, dass sie eben von der Staatsregierung erlassen wurde – der Exekutive. Es ist sicher nachvollziehbar, dass die Staatsregierung schneller zu handeln fähig ist als der Landtag. Inzwischen sind seit Erlass der Allgemeinverfügung einige Tage vergangen.

Warum nimmt nicht der Landtag das Heft des Handelns in die Hand und erlässt ein Gesetz, das die notwendigen Maßnahmen trifft? Oder meinetwegen ein Gesetz, das den Rahmen regelt, in dem die Staatsregierung tätig werden kann. Ich bin mir sicher, ein Gesetz vom Landtag würde die verschiedenen Interessen der Bürger viel besser in Einklang bringen als das die Allgemeinverfügung der Staatsregierung tun kann (oder die kommende Rechtsverordnung). Ich bin mir sicher, die Ministerialbeamten, die die Regelungen entwerfen, kommen derzeit vor Arbeit kaum noch vor die Tür und hören nicht, was ihre Mitmenschen gerade wichtig finden. Der Bundestag konnte es ja auch einrichten, nochmal zu tagen und eine Reihe von Gesetzen zu erlassen.

Warum sehe ich keine Initiative der Abgeordneten, sich für den Schutz unserer Bürgerrechte wie Freizügigkeit, Versammlungsfreiheit, Handlungsfreiheit, Religionsfreiheit, Recht auf ein faires Verfahren usw. einzusetzen?

Mit freundlichen Grüßen

Enrico Reizenhain

Volkmar Zschocke
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Reizenhain,

vielen Dank für Ihre Frage. Wir erleben aktuell eine außergewöhnliche Situation, die Menschenleben bedroht und unser Gesundheitssystem vor eine Zerreißprobe stellt. Gleichzeitig bleiben unsere Grund- und Freiheitsrechte ebenso wie die legislative Zuständigkeit der Parlamente außerordentlich wichtige Güter. Das Anliegen, das Sie zum Ausdruck bringen, halte ich für eine essenzielle Frage.

Diese Frage wird in der Gesellschaft, aber auch innerhalb der GRÜNEN kontrovers diskutiert. Letztendlich geht es um die schwierige Abwägung zwischen den Freiheitsrechten einerseits und den Schutz vor körperlicher Unversehrtheit bzw. den Schutz des Lebens andererseits. Zusätzlich erschwert wird diese Abwägung durch die Tatsache, dass die Wirksamkeit der aktuellen Einschränkungen erst später und dann auch nicht eindeutig überprüft werden kann. Bedacht werden muß auch, dass die Einschränkungen wiederum selbst gesundheitliche Folgewirkungen haben können - z.B. für Alleinlebende, für Menschen mit psychischen Erkrankungen etc.. Und die Einschränkungen führen natürlich zu enormen wirtschaftliche Folgen.

Die entstandenen Allgemeinverfügungen und Verordnungen versuchen einen Kompromiss zwischen beiden Seiten der Abwägung herzustellen. Es gibt weite Beschränkungen des Ausgangs, aber keine harte Ausgangssperre. Sie gelten nur für einen begrenzten Zeitraum. Die Rechtsverordnungen dürfen auch nicht als Grundlage für unverhältnismäßige Repression und Kontrolle missbraucht werden. Es gibt auslegungsbedürftige Begriffe, nicht jedes Detail wird vorgeschrieben. Wir bleiben eigenverantwortlich handelnde Menschen. Diese Verantwortung ist uns auch in Krisenzeiten nicht abgenommen.

Sie fragen, warum die Allgemeinverfügung von der Staatsregierung erlassen wurde und der Landtag nicht damit befasst wurde. Das hat mit der Rechtsgrundlage zu tun, welche die Länder zu diesen Allgemeinverfügungen ermächtigt. Der Bundestag hat 2001 das Infektionsschutzgesetz beschlossen. Das ermöglicht nicht nur die Einschränkung von Grundrechten, sondern verpflichtet die zuständigen Behörden ausdrücklich dazu, die notwendigen Maßnahmen auch zu ergreifen. Eingeschränkt werden können die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der Versammlungsfreiheit, des Brief- und Postgeheimnisses und der Unverletzlichkeit der Wohnung. Auch ein berufliches Tätigkeitsgebot kann verhängt werden. Da die spezifische Infektionssituation nicht im Vorhinein geregelt werden kann, gilt für die Behörden ein Ermessensspielraum. Ein vom Parlament beschlossenes Gesetz zur Regelung des Rahmens ist also vorhanden.

In der Tat war aber die Herleitung von Maßnahmen in Bezug auf die Allgemeinheit aus diesem Gesetz bis vor Kurzem angreifbar. Deshalb hat der Bundestag eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen
und in § 28 Abs.1 Satz 1 folgenden Halbsatz eingefügt: “sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.” Diese und weitere Änderungen ermöglichen es, die Maßnahmen nun rechtssicher auch auf die Allgemeinheit anzuwenden.

Auch der sächsische Landtag wird am kommenden Donnerstag unter besonderen Infektionsschutzmaßnahmen zusammenkommen, um die erforderlichen Rechtsgrundlagen für das Handeln der Staatsregierung zu
beschließen. Da geht es um die Feststellung des Vorliegens einer außergewöhnlichen Notsituation in Bezug auf die in der sächsischen Verfassung verankerten Schuldenbremse, um die Änderung des Haushaltsgesetzes 2019/2020 (Nachtragshaushalt) und ein Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens (Stabilisierungsfond). Hier können Sie sicher sein, dass wir die Beteiligung des Parlamentes auch bei der Umsetzung einfordern.

Denn auch wenn entschlossenes und schnelles Handeln der Exekutive jetzt notwendig ist, müssen die von den Regierenden zu treffenden Maßnahmen Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung respektieren. Gebunden sind die Behörden in ihrem Handeln zudem an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Und in Bezug auf diesen Grundsatz finden intensive Diskussionen in der Regierung und den Landtagsfraktionen statt.

Wie beschrieben, ist die aktuelle Situation ein Spagat zwischen der notwendigen Abbremsung der Infektionsgeschwindigkeit und dem Eingriff in unsere Freiheitsrechte. Ziel ist, die Eingriffe in die Grundrechte so gering wie möglich zu halten. Die meisten Menschen in Sachsen haben wie Sie den Ernst der Lage erkannt und ergreifen eigenverantwortlich die notwendige Maßnahmen zu Abstand und Hygiene. Ich werde mich wie Sie auch weiterhin für den Schutz der Bürgerrechte einsetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Volkmar Zschocke

 

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