Frage an Matthi Bolte bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Matthi Bolte
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Sebastian H. •

Frage an Matthi Bolte von Sebastian H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Ich verstehe dich als einen Vertreter unserer jungen Generation. Wie schätzt du mit Blick auf die Generationengerechtigkeit dein heutiges Abstimmungsverhalten ein?

"Der Bund der Steuerzahler betont dagegen, dass ein Abgeordneter nach zehnjähriger Parlamentszugehörigkeit mit 65 Jahren eine Rente von 1.251 Euro bekommt. Diese werde mit der nun beschlossenen Erhöhung auf 1573 Euro steigen. Dagegen könne ein Durchschnittsverdiener in Deutschland nach zehn Jahren Einzahlung in die Rentenkasse gerade mal mit 274,70 Euro im Alter rechnen." (kleiner Auszug aus der NW)

Bist du nun als Mitglied der Partei der Besserverdiener (Grüne) im O p p o r t u n i s t e n t u m der unnötig föderalen Strukturen angekommen oder ist es notwendig in dieser Zeit die Ausgabenseite zu belasten?

Ich würde mich freuen wenn du eine, für junge Menschen nachvollziehbare Erklärung abgibst?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Sebastian,

vielen Dank für Deine Frage. Ja, ich verstehe mich als Vertreter unserer jungen Generation und deshalb mache ich gerne einige Anmerkungen:

- Das NRW- System der Abgeordnetenbezüge ist zunächst einmal nachhaltig. Nachhaltigkeit heißt in diesem Zusammenhang: Eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter kostet den Landeshaushalt einmal Geld und danach nie wieder. Das ist einer der revolutionären Punkte am NRW- System. Die Pensionen im Europäischen Parlament, im Bundestag oder auch in den anderen Landtagen werden immer aus den aktuellen Haushalten für die aktuellen VersorgungsempfängerInnen gezahlt. Das heißt: amtierende Abgeordnete bekommen später eine Pension, die sich aber während ihres Mandats nicht in ihren Bezügen abbildet. Es geht bei uns in NRW deutlich transparenter zu: Im Abgeordnetengesetz steht der Betrag, den wir Abgeordnete das Land und damit die SteuerzahlerInnen kosten. Es wird monatlich ein Teilbetrag der Abgeordnetenbezüge (nach der Anhebung der Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk sind dies ungefähr 2.000 Euro) in ein Versorgungswerk abgeführt. Das Geld wird auf einem individuellen Konto angelegt und verzinst, und mit dem Pensionseintritt im 65. Lebensjahr wird geschaut: Wie hat sich das auf diesem Konto angelegte Geld entwickelt, wie viel ist da und was ist die versicherungsmathematische Lebenserwartung des oder der Abgeordneten? Daraus wird dann eine monatliche Rente berechnet. Aber wie hoch auch immer diese Rente ist: Sie kommt nicht mehr aus dem Landeshaushalt, ich als Abgeordneter im Jahr 2012 bin also kein finanzielles Risiko für diejenigen, die im Jahr 2050 bei meinem Renteneintritt die politische Verantwortung in NRW tragen.
- Die Altersbezüge in Nordrhein- Westfalen sind mit der Diätenreform 2005 massiv abgesenkt worden. Alle Berechnungsmodelle damals gingen davon aus, dass ein Niveau von ca. 60% der alten Bezüge (die im Übrigen auch schon ab dem 55. bzw. 60. Lebensjahr gezahlt wurden, nicht wie beim heutigen Recht mit 65 bzw. 67 ab der nächsten Wahlperiode) angemessen ist. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die ca. 1.500 Euro, die bisher dem Versorgungswerk zugeführt wurden, für dieses im interfraktionellen Konsens gefundene Versorgungsniveau nicht ausreichend sind. Dieser Fehler wurde mit der Anhebung der Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk korrigiert. Das tatsächliche individuelle Versorgungsniveau hängt von vielen Faktoren ab, weil es eben den jeweiligen Anlageerfolg, die Anlagedauer, das Lebensalter beim Eintritt in den Landtag und die Dauer der Einzahlungen (und etwaige freiwillige Einzahlungen) berücksichtigt. Insofern sind auch die genannten Zahlen mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, weil es für die Beurteilung natürlich einen Unterschied macht, ob ich anschaue, wie hoch die Versorgung eines ehemaligen Abgeordneten ist, der mit 25 Jahren für 15 Jahre ins Parlament gekommen ist (15 Jahre Einzahlung und 20 Jahre Anlagedauer), oder einen Abgeordneten, der mit 58 für 5 Jahre ins Parlament kommt (5 Jahre Einzahlung und 1-2 Jahre Anlage oder sofortige Pension mit Abschlägen). In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass natürlich die Risiken für die jeweilige Erwerbsbiographie auch sehr unterschiedlich sind: Wer mit Mitte 30 schon Parlamentserfahrung vorweisen kann, hat hoffentlich noch gute Chancen, im regulären Arbeitsmarkt eine attraktive Beschäftigung zu finden, wer mit Ende 50 aus dem Landtag ausscheidet, hat es wahrscheinlich schwerer. Wenn Abgeordneten kein wirtschaftlicher Nachteil aus der Übernahme des Mandats resultieren soll, sollte auch dies in der Bemessung der Bezüge Berücksichtigung finden.
- Im Ländervergleich sind die Altersbezüge in NRW aufgrund der mit der Diätenreform verbundenen Absenkung der Versorgung geringer als in anderen Flächenländern. Die von Dir genannten Zahlen spiegeln das Versorgungsniveau eines bzw. einer Abgeordneten, die/der mit 49 Jahren in den Landtag gekommen ist und 10 Jahre im Parlament war - das ist der Durchschnitt in NRW. Aus dieser Tätigkeit resultieren nach der Anhebung der Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk Ansprüche von etwa 1500 Euro. In Hessen bekommen Abgeordnete mit diesen Bedingungen 2968 Euro ausgezahlt, in Bayern 2881 Euro, in Baden-Württemberg ca. 1900 Euro, 1875 Euro in Niedersachsen und etwa 1700 Euro in Sachsen (Quelle für diese Zahlen: Westfälische Zeitung vom 8. Februar). Ich finde, hier ist NRW als bevölkerungsreichstes Bundesland im Mittelfeld nicht schlecht aufgehoben. Die Absenkung der Bezüge im Rahmen der Reform in 2005 auf das Niveau, das mit den höheren Pflichtbeiträgen stabilisiert werden soll, halte ich insofern für absolut richtig!

Zuletzt noch zwei Punkte, die zwar nicht unmittelbar mit der Abstimmung über die Anhebung der Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk zusammenhängen, mir aber wichtig sind: Du schreibst, der Föderalismus sei "überflüssig". Das finde ich überhaupt nicht. Im Gegenteil: Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Entscheidungskompetenzen von der Bundes- auf die Europaebene verlagert werden. Da ist es notwendig, eine politische Ebene zu haben, die näher an den Menschen ist als es in Brüssel möglich ist. Das sind für mich die Länder. Auch der politische Entscheidungsrahmen in einem Land wie NRW ist nicht klein: Wir haben ein Haushaltsvolumen von ca. 55 Mrd. Euro jährlich, NRW ist die siebtgrößte Volkswirtschaft der EU. Das bringt auch eine große Verantwortung der Abgeordneten mit. Schließlich ist es mir auch wichtig, dass wir Generationengerechtigkeit im politischen Diskurs vernünftig definieren, gerade weil das ein Begriff ist, den viele politische Kräfte für sich beanspruchen. Viele Liberale sagen "Generationengerechtigkeit" und meinen "Wir sparen alles kaputt". Das ist für mich nicht generationengerecht. Generationengerechtigkeit heißt für mich natürlich auch finanzielle Nachhaltigkeit, aber eben auch die Ermöglichung von Chancen durch Bildung und auch eine soziale Infrastruktur, die niemanden ins Bodenlose fallen lässt. Und Generationengerechtigkeit bedeutet natürlich auch ökologische Nachhaltigkeit und die Achtung der Bürgerrechte, sodass eine freie Entfaltung der Persönlichkeit möglich ist - also: Generationengerechtigkeit ist mehr als Sparen, wenn man diesen Begriff vernünftig versteht.

Ich hoffe, mit meinen Anmerkungen Deine Meinungsbildung etwas bereichert zu haben.

Herzliche Grüße
Matthi Bolte