Frage an Matthias Miersch bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Matthias Miersch
SPD
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Frage von Martin K. •

Frage an Matthias Miersch von Martin K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Miersch,
bezüglich der gestrigen Abstimmung zum Thema „Internet Sperren“ fühle ich mich von Ihnen alleinegelassen. Das nun verabschiedete Gesetz stellt lediglich eine Gefahr für die Demokratie dar, eine weitere Wirkung kann es nicht zeigen. Die Menschen, die Kindesmissbrauch begehen und diesen dokumentieren, werden von einem Stoppschild nicht abgehalten, die Menschen, die sich dokumentierten Kindesmissbrauch ansehen, wissen wie man die Sperren umgeht, wenn sie sich nicht sogar, wie es in dieser Szene üblich ist, in geschlossenen Tausch-Kreisen befinden und über dieses Gesetz nur müde lächeln. Zu den „Zufallskonsumenten“, die damit abgeschreckt werden sollen, lässt sich nur sagen, dass man im Internet nicht einfach auf Seiten mit derartigem Inhalt gelangt. Weder mir, noch jemandem aus meinem Bekanntenkreis ist soetwas jemals passiert. Ich gehe davon aus, dass Ihnen das wohl auch noch nie geschehen ist.

Daher die Fragen:
Wie können Sie guten Gewissens einem derartigen Gesetz zustimmen, dass eine Zensurinfrastruktur schafft, die mittelfristig wohl kaum auf den Bereich Kinderpornographie beschränkt bleiben wird?
Halten sie das Gesetz für gut genug durchdacht?
Wo sehen Sie die Unterschiede zwischen den Zensurmechanismen in China und im Iran und denen die gestern in Deutschland ermöglicht wurden?

mit freundlichen Grüßen,
Martin Kiefer

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Sehr geehrter Herr Kiefer,

vielen Dank für Ihre Anfrage über abgeordnetenwatch.de. In den vergangenen Wochen habe ich versucht, mir auf Grundlage der erfolgten Anhörung und der zahlreichen Stellungnahmen ein Urteil zu bilden, wenngleich viele Bürgerinnen und Bürger mir technisch in diesem Bereich überlegen sind. Es geht im Kern um die Möglichkeit der Sperrung von Zugängen zu Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten durch das Bundeskriminalamt (BKA). Mir ist bewusst, dass gerade die Netz-Community das Gesetz sehr kritisch beurteilt, die Effektivität bezweifelt und hier den Aufbau einer grundgesetzwidrigen Zensur-Infrastruktur befürchtet.

Ich habe in den vergangenen Jahren – so hoffe ich jedenfalls – immer versucht, die Argumente sorgfältig abzuwägen. Zur Demokratie gehört auch, dem Andersdenkenden Respekt entgegen zu bringen. Ich werde gleich auf die Argumente eingehen. Mir ist jedoch wichtig, dass ich nicht nur beim BKA-Gesetz stets versucht habe, die Balance von Sicherheit und Freiheit angemessen zu wahren.

Nach meiner Einschätzung wird es in den kommenden Jahren darauf ankommen, mit der Community gemeinsam das Spannungsfeld Freiheit und Rechtsstaatlichkeit im Internet zu beurteilen. Ich habe den Eindruck, dass dieses Spannungsfeld völlig neue Fragen aufwirft, die nicht einfach nach dem Schema schwarz/weiß oder richtig/falsch zu beurteilen sind. Vielleicht muss es auch ein langer Prozess sein, da die Entwicklung immer weiter geht und die technischen Möglichkeiten unser bisheriges Normensystem in ganz besonderer Weise fordern. Auch das Bundesverfassungsgericht wird mit Sicherheit an dieser Rechtsentwicklung teilhaben. Ich hoffe, dass sich die Community auch weiter mit konkreten Vorschlägen aktiv an diesem Prozess beteiligt. Klar ist, dass das Gesetz nur ein Mosaikstein im Kampf gegen Kinderpornografie sein kann. Das Gesetz wird auch Kinderpornografie nicht verhindern, wie fälschlicherweise von CDU/CSU immer wieder behauptet. Es erfasst vor allem nicht die Verbreitung über andere Kommunikationsdienste des Internets, wie Filesharingnetze, geschlossene Chats oder das Usenet. Es kann aber zumindest Zugänge im World Wide Web erschweren, wenngleich versierte Nutzer natürlich auch diese Sperren umgehen können. Als Anwalt bin ich jedoch immer wieder mit Fällen konfrontiert worden, in denen die „zufällige“ Auswahl dargelegt worden ist. In solchen Fällen wird künftig das Stoppschild helfen können.

Meine Bitte in diesem Zusammenhang ist, den ursprünglichen Gesetzentwurf der Minister von der Leyen, Guttenberg und Schäuble mit dem jetzt beschlossenen Gesetz zu vergleichen. An einigen Stellungnahmen wird deutlich, dass die erreichten Änderungen und Schranken noch gar nicht bekannt sind. Die SPD-Fraktion hat die umfangreiche Kritik gewürdigt und auch in einem Parteivorstandsbeschluss, der vom Parteitag am 14.6. bestätigt worden ist, wichtige Forderungen aufgestellt. Diese wichtigen Änderungen sind aufgenommen worden, so dass ich dem Gesetz auch zustimmen konnte. Ich will diese Gründe benennen:

1. Der wichtigste Punkt ist für mich die zeitliche Befristung des Gesetzes. Spätestens am 31. Dezember 2012 wird beurteilt werden müssen, ob es durch das Gesetz nennenswerte Erfolge bei der Bekämpfung kinderpornografischer Inhalte im Internet gibt, ob die Kontroll- und Rechtsschutzmöglichkeiten ausreichend oder wirkungsvollere Alternativen gegeben sind.

2. Es handelt sich um ein Spezialgesetz, wie von vielen Kritikern verlangt. Die alleinige Anwendung auf den Bereich Kinderpornografie ist deshalb klar definiert.

3. Es gibt im Gesetz nunmehr den festen Grundsatz: „Löschen vor Sperren“. Eine Sperrung erfolgt nur, wenn zulässige Maßnahmen auf Löschung keinen Erfolg haben.

4. Verkehrs- und Nutzerdaten, die aufgrund der Zugangserschwerung bei
der Umleitung auf die Stopp-Meldung anfallen, dürfen nicht zum Zweck der
Strafverfolgung verwendet werden.

5. Beim Bundesdatenschutzbeauftragten wird ein unabhängiges Gremium bestellt, das die BKA-Liste kontrolliert. Es kann die Liste jederzeit einsehen und korrigieren, wenn sich herausstellt, dass die Sperrung nicht korrekt ist. Die Mehrheit der Mitglieder muss die Befähigung zum Richteramt haben. Darüber hinaus haben Betroffene die Möglichkeit, die Sperrung gerichtlich kontrollieren zu lassen. Natürlich habe ich mich auch mit der Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten beschäftigt. Es wird jetzt darum gehen, seinen Stab mit entsprechendem Personal auszustatten.

6. Schließlich habe ich intensiv mit dem Argument der möglichen Zensur auseinandergesetzt. Hierüber ist auch in der Anhörung ausführlich diskutiert worden. Ich meine, dass man mit diesem Vorwurf sehr vorsichtig sein sollte. Die Freiheit des einen endet für mich dort, wo die Freiheit des anderen tangiert wird. Zensur im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfasst eine Vorzensur, während hier bereits publizierte Inhalte gesperrt werden, die hinreichende Anzeichen einer konkreten Rechtsgutgefährdung aufzeigen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es geht nicht um die allgemeine Sperrung. Vielmehr liegen Anzeichen einer erheblichen Straftat vor, wobei die Sperrmaßnahme dann immer noch im Rahmen einer gerichtlichen Kontrolle überprüft werden kann.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Erläuterungen die Hintergründe meines
Abstimmungsverhaltens aufgezeigt zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Matthias Miersch, MdB

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