Frage an Maximilian Brym bezüglich Wirtschaft

Maximilian Brym
DIE LINKE
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Frage von Rainer S. •

Frage an Maximilian Brym von Rainer S. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Brym,

auf der gestrigen Veranstaltung mit Frau Möller und Frau Jenkner bemerkten Sie u.a., daß sich auf Grund der internationalen Finanzkrise (mit den Unterstützerzahlungen der Staaten) die Systemfrage stellt.

Wie würde ein alterantives sozialistisches System diese Krisen vermeiden können?

Antwort von
DIE LINKE

Systemfrage stellen

Sehr geehrter Herr Sanders,

tatsächlich trete ich dafür ein das kapitalistische System elementar in Frage zu stellen. Der herrschende Kapitalismus kann und wird nicht das Ende der Geschichte sein, wie es einige konservative Ideologen speziell in den neunziger Jahren herumposaunten. Die beginnende Weltwirtschaftskrise stößt immer breitere Teile der Bevölkerung vor die Frage, mit dem Kapitalismus samt seiner periodischen Krisen und der in dieser Situation besonders sichtbaren absoluten Verelendung zu leben, oder den Kapitalismus zu negieren.

Für ein alternatives sozialistisches System

Die Gesellschaft welche anzustreben ist hat nichts mit den stalinistischen Diktaturen im ehemaligen Ostblock gemein. Ohne Demokratie gibt es keinen Sozialismus und ohne Sozialismus kann es keine wirkliche Demokratie geben.

Wie soll ein alternatives sozialistisches System die Krisen vermeiden ?
Klar ist, dass ich diese Frage hier nur anreißen kann. Dennoch will ich es in einigen wesentlichen Punkten versuchen. Dabei verwende ich durchaus klassische Formulierungen wie Proletariat, die wissenschaftlich exakter sind als der gegenwärtige Betrug mit Wörtern. Die Arbeitnehmer sind keine Arbeitnehmer sondern Proletarier, die nichts anderes besitzen als ihre Arbeitskraft, die sie um leben zu können an das Kapital verkaufen müssen.
Im bürgerlichen Staat bleibt die Demokratie beschränkt, ist in der Praxis Diktatur, Herrschaft der Banken und Konzerne. Ich stimme mit Surowiecki überein, dass es darauf ankommt, „die Exzellenz der Menge“, wie er es nennt, auch für den Alltag tauglich zu machen. SozialistInnen setzen daher der bürgerlichen Demokratie das Rätesystem entgegen.
Immer wieder baute die Arbeiterklasse in ihren Kämpfen eigene Organe auf: ob mit der Pariser Kommune 1871 oder mit den Räten in den Russischen Revolutionen 1905 und 1917, 1918 in Deutschland oder auch in der Ungarischen Revolution 1956. Die Bezeichnungen können verschieden sein, Funktion und Aufgaben sind die gleichen.
Es ist kein Zufall, dass sich in revolutionären Situationen immer wieder spontan Arbeiterräte gebildet haben. Die Grundlage der Gesellschaft ist die Wirtschaft. Dort sind es wiederum die Beschäftigten, die alle Güter und Dienstleistungen erzeugen. Die Beschäftigten kommen in den Betrieben zusammen, arbeiten gemeinsam, kennen sich, sprechen miteinander. Die erwerbstätige Bevölkerung verbringt einen großen Teil ihrer Zeit gemeinsam am Arbeitsplatz. Ebenso die SchülerInnen in der Schule, die Studierenden an der Uni. Deshalb liegt es nahe, dass man die wichtigen Entscheidungen auf Versammlungen in den Betrieben, Schulen und Hochschulen diskutiert und beschließt. Für die tägliche organisatorische Arbeit werden aus diesen Reihen VertreterInnen gewählt. Für die Stadt- und landesweiten Gremien werden Delegierte gewählt. So sind die ersten Räte entstanden.
Durch die demokratische Mitwirkung jedes Mitglieds der Gesellschaft kann die schöpferische Energie der Individuen erstmals voll zum Zug kommen. Bereits heute gibt es Millionen Menschen, die ehrenamtlich tätig sind in Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Selbsthilfeorganisationen, Hilfsorganisationen, Sportvereinen. Im Sozialismus wird es noch viel weniger ein Problem sein, engagierte und verantwortungsvolle Leute zu finden, die für einen durchschnittlichen Lohn und während ihrer Arbeitszeit die Gesellschaft verwalten.
Wenn die Beschäftigten im Betrieb oder die BewohnerInnen eines Stadtteils zum Schluss kommen, dass gewählte VertreterInnen ihre Aufgabe schlecht erledigen, können sie jederzeit abgewählt und durch andere Personen ersetzt werden. Niemand erhält Privilegien. Keiner einen Posten auf Lebenszeit.
Die Räte sind beschließende wie ausführende Organe, die künstliche Trennung in Legislative und Exekutive entfällt. Ist sie heute doch nur ein Argument, demokratische Rechte auszuhebeln.
Die Rätedemokratie beruht auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln und einer demokratisch geplanten Wirtschaft. Damit ist der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit überwunden. Im Sozialismus bestehen die heutigen Gerichte, die heutige Polizei, das heutige Militär – die alle den Interessen der Kapitalisten dienen – nicht weiter. Es sind Räteorgane, die das öffentliche Leben organisieren.
Die Räte werden nach Richard Müller „zur Grundlage einer neuen Gesellschaftsordnung. Das Rätesystem wird sich politisch und ökonomisch betätigen. Es wird politisch in der Übergangsperiode zur Herrschaftsorganisation des Proletariats; seine Organe müssen die politische Verwaltung übernehmen. Ökonomisch wird es zur Organisation der Produktion.“

Die Finanzkrise und Francis Galton

1906 besuchte Francis Galton, ein britischer Naturforscher, die jährliche westenglische Nutztiermesse, bei der ein Ochsen-Gewicht-Schätz-Wettbewerb veranstaltet wurde. Insgesamt 787 Personen, sowohl Laien als auch „Experten“ nahmen daran teil und gaben einen Tipp ab. Galton entschloss sich zu einem Experiment, um die angebliche Dummheit der Masse zu beweisen: Er wertete die fast 800 Schätzungen statistisch aus. Der Mittelwert aller Schätzungen (1.197 Pfund) kam dem tatsächlichen Gewicht des Ochsen (1.207 Pfund) beeindruckend nahe. Galtons Versuch, die Dummheit der Masse auf diese Art zu beweisen, war gescheitert.
Die Tatsache, dass eine Gruppe von Menschen schlauer ist als Einzelne, ist schon vielfach bewiesen worden. Dennoch leben wir in einer Welt, in der „Experten“ oder Vorgesetzte in den Betrieben und der Politik das Sagen haben. Gegenwärtig ist zu beobachten wie die Experten letztendlich der Kapitalismus, die Welt über Immobilienblasen, wüste Konkurrenzschlachten, sowie durch die Anarchie der Produktion neuerlich ins Verderben stürzen. Es ist an der Zeit den Menschen zu vertrauen und ihnen das zu geben was sie durch ihre Arbeit geschaffen haben. Sie können mit den Produktionsmitteln besser umgehen als die Kapitalbesitzer und Manager. Nebenbei bemerkt ist alles Kapital nur ein Produkt menschlicher Arbeit und müsste den Arbeitern kollektiv gehören.
Das demokratisch strukturierte Kollektiv ist darüberhinaus sehr schlau„Der Publikumsjoker bei ‘Wer wird Millionär?’ beweist es: In der Gruppe sind Menschen schlauer als jeder Experte“, so die Süddeutsche Zeitung vom 8. Dezember 2005 darüber, dass das Publikum bei Günther Jauchs Quiz-Sendung selten daneben liegt. In der Masse entfalte sich kollektive Intelligenz, schreibt James Surowiecki in seinem Buch „Die Weisheit der Vielen“. Es komme nur darauf an, das Wissen der Massen richtig zu organisieren.

Viele Grüße
Max Brym