Frage an Nicole Gohlke bezüglich Innere Angelegenheiten

Nicole Gohlke
Nicole Gohlke
DIE LINKE
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Frage von Florian W. •

Frage an Nicole Gohlke von Florian W. bezüglich Innere Angelegenheiten

Sehr geehrte Frau Gohlke,

Ich wende mich an Sie in der Angelegenheit der derzeit in Bayern gültigen vorläufigen Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie.

Lassen Sie mich vorweg sagen, dass ich verstehe, dass hier auch unter Zeitdruck gehandelt wurde und dass ich die epidemiologische Sinnhaftigkeit von Maßnahmen wie Kontaktminimierung und ähnlichem nicht bezweifle.

Mit Sorge beobachte ich allerdings, in welchem Maß diese Ausgangsbeschränkung unsere Grundrechte einschränkt und welch verheerende soziale und wirtschaftliche Folgen sie haben wird.

Die Staatsregierung beruft sich in ihrer Begründung dieser Ausgangsbeschränkung auf § 28 Abs. 1 IfSG, aber offenbar sind auch Experten durchaus nicht der Ansicht, dass diese drastischen Maßnahmen durch diesen Absatz des IfSG gedeckt sind (als ein Beispiel: https://verfassungsblog.de/whatever-it-takes/). Zwar steht in § 28, die Regierung „kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten“, allerdings ist hier – so wie ich es laienhaft verstehe und auch Prof. Dr. Kingreen auf dem Verfassungsblog darstellt – von „einzelnen, individuell gefährlichen Personen“ die Rede, nicht davon, einem kompletten Volk von mehreren Millionen Menschen drastische Strafen anzudrohen, wenn sie das Haus ohne triftigen Grund oder mit den falschen Personen verlassen.

Die sozialen Folgen dieser Ausgangsbeschränkung werden enorm sein. Nicht nur, dass es viele Hinweise darauf gibt, dass die häusliche Gewalt massiv zunehmen wird, nein auch für die psychische Gesundheit ist diese mit staatlichem Druck aufgezwungene Isolation alles andere als förderlich.

Und immerhin geschieht dies ja auch unter der Maßgabe, die Gesundheit der Bürger zu sichern. Punkt 5g der Ausgangsbeschränkung „Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes“ ist ein Hohn, wenn man bedenkt, dass die häufigste Haushaltsform in Deutschland der Singlehaushalt ist. Hier werden unzählige Menschen nicht in ihren sozialen Kontakten eingeschränkt – nein, man verbietet ihnen JEGLICHEN sozialen Umgang, jegliches Sozialleben!

Als Alleinlebender darf man nicht einmal einen Freund zu sich nach Hause einladen. Als alleinlebende Person wird jeglicher Sozialkontakt damit unter Strafe gestellt! Das ist für psychisch stabile Menschen schon ein schwerwiegender Eingriff.

Welche Auswirkung das auf Menschen haben wird, die unter psychischen Problemen leiden, will ich mir nicht vorstellen. Die Deutsche Depressionshilfe befürchtet einen Anstieg an Suiziden.

Aber auch die wirtschaftlichen Folgen werden fatal sein. Wenn diese Ausgangsbeschränkung in dieser drastischen Form so verlängert wird, dann werden unsere Innenstädte weitersterben oder vollständig von Ketten regiert sein. Überhaupt werden ein Großteil der kleinen inhabergeführten Unternehmen dies dann nicht überleben, wenn man ihnen jegliche Möglichkeit nimmt, Handel zu treiben. Der Vorteil des stationären Einzelhandels war die Nähe zum Kunden – genau diesen Vorteil, hat man ihnen nun genommen.

Wollen wir Unternehmen wie Amazon zu noch mehr Marktmacht verhelfen? Wollen wir die unzähligen kleinen Unternehmer, Handwerker, Künstler, Gewerbetreibende in die Insolvenz treiben? Wer wird das auffangen? Und wie? Wie soll sich die Wirtschaft davon wieder erholen können? Wollen wir wirklich in Städten leben, in denen nur noch große Ketten das Angebot bestimmen? Waren wir nicht so stolz auf die Vielfalt unseres Handwerks? Auf die Vielfalt und Qualität unserer Brauereien? Wie sollen diese Unternehmen das überleben?

Wenn die Ausgangsbeschränkung in dieser Form nach dem 3.4.20 weitergeführt wird, dann werden die sozialen und wirtschaftlichen Folgen verheerend sein.

Ich bitte Sie eindringlich, sich dafür einzusetzen, dass mit Ablauf der vorläufigen Ausgangsbeschränkung die Maßnahmen zurückgenommen bzw. mit Fingerspitzengefühl an ein vertretbares Maß angepasst werden.

Ich denke, es wird doch so ziemlich jeder verstehen, wenn Großveranstaltungen abgesagt oder eingeschränkt werden. Aber es provoziert ein Sterben mittelständischer Unternehmen und unvorhersehbare soziale und wirtschaftiche Folgen sowie eine Aufweichung unserer Grundrechte, wenn die Maßnahmen unverändert so weitergeführt werden!

Ich bitte Sie eindringlich: Wirken Sie daraufhin, dass dies nicht geschieht! Setzen Sie sich dafür ein, dass weitere Maßnahmen mit Augenmaß ergriffen werden.

Diese absolute Lösung, die derzeit gültig ist, bringt längerfristig mehr Schaden als Nutzen.

Vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen,
Florian Westermann

Nicole Gohlke
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr W.,

wie sie wissen, setzt sich DIE LINKE stets und mit Nachdruck für Demokratie und BürgerInnenrechte ein - wie etwa bei den Protesten gegen das Bayerische Polizeiaufgabengesetz. Auch in der derzeitigen Lage richten wir ein besonderes Augenmerk auf die bürgerrechtlichen „Kollateralschäden“ der Epidemieeindämmung. Viele der im Einzelnen ergriffenen Maßnahmen erscheinen uns dabei übermäßig, wie bspw. das Verbot auf Parkbänken zu sitzen, Sport nur in unmittelbarer Umgebung der eigenen Wohnung, Anreiseverbot zur eigenen Garten auf dem Land und vieles andere mehr.

Auch die Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte zeigt, wie schnell der rechtstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ins Rutschen gerät. Wir können auch Ihre weiteren Argumente gegen die derzeitige Verordnungslage nachvollziehen.

Zugleich haben wir es derzeit mit einer extremen Situation zu tun, in der es darum gehen muss, eine Überlastung der Gesundheitsversorgung - nicht allein für Covid-19-Patienten, sondern auch für alle - zu vermeiden. Ein zu starkes Ansteigen der Infizierten- und Erkranktenzahl führt dazu, dass Menschen sterben würden, die gerettet werden könnten, wenn genug Intensivpflegebetten und Beatmungsgeräte bereitstünden. Daher stellen wir die ergriffenen Maßnahmen zur Kontaktreduzierung an sich nicht in Frage, sehen aber bei einzelnen Regelungen und insbesondere bei Bußgeldern und Strafen rechtsstaatlichen Korrekturbedarf. Und selbstverständlich muss bei einer Verbesserung der Lage auch entschieden werden, an welchem Punkt zuerst Maßnahmen wieder zurückgefahren werden können.

Mit freundlichen Grüßen

Nicole Gohlke

 

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