Frage an Ottmar von Holtz bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Ottmar von Holtz, Bundestagsabgeordneter
Ottmar von Holtz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jürgen M. •

Frage an Ottmar von Holtz von Jürgen M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr von Holtz,
ich habe den Artikel in der Hildesheimer Allgemeinen, über ihren Besuch bei den privaten Seenotrettern im Mittelmeer, gelesen. Menschen in Seenot muß geholfen werden; ohne Frage. Das fordert ja auch das internationale Seerecht.
Warum werden die geretteten Menschen aber nicht in die Häfen in Afrika gebracht. Diese Häfen sind doch wesentlich schneller zu erreichen, als die europäischen Häfen, die ja auf der "anderen Seite" vom Mittelmeer liegen.
Dann hätte die Aussage, daß private Seenotretter den Schleusern helfen, auch keine Nahrung mehr.

mit freundlichen Grüßen

Jürgen Müller

Ottmar von Holtz, Bundestagsabgeordneter
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr M.,

vielen Dank für Ihre Frage. Ich möchte gerne darlegen, wieso es meiner Ansicht nach keine Lösung sein kann, Menschen aus dem Mittelmeer zu retten und sie dann zurück nach Libyen oder in andere afrikanische Häfen zu bringen.
Zurzeit verläuft insbesondere zwischen Libyen und Italien eine Hauptroute für Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, Eritrea und aus den Ländern Subsahara-Afrikas. Die große Zahl an Schiffbrüchigen, die auf seeuntauglichen Booten in Seenot geraten, befindet sich daher im zentralen Mittelmeer nördlich von Libyen. Dort finden auch die meisten Seenotrettungseinsätze ziviler Organisationen statt.
Sie weisen richtig darauf hin, dass das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, Personen in Seenot so schnell wie möglich zu retten. Dieses Seevölkerrecht verpflichtet ebenso dazu, Schiffbrüchige in einen sogenannten „sichereren Hafen“ zu bringen. „Sicher“ heißt hier aber ausdrücklich nicht „nächstgelegen“. Denn als sicher gilt ein Hafen erst, wenn dort der Zugang zu Grundversorgung (Nahrung, Unterkunft, medizinische Bedürfnisse) gewährleistet ist. Auch müssen die Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention eingehalten werden. Darunter fällt das Non-Refoulement-Prinzip, d.h. der völkerrechtliche Grundsatz, der die Rückführung von Personen in Staaten untersagt, wo ihnen Folter, politische Verfolgung, Tod oder menschenunwürdige Behandlung drohen.
Diese Kriterien für ein „sicheres Land“ treffen nicht auf alle Staaten an der nordafrikanischen Küste zu. Libyen etwa gilt nach Einstufung der EU und der UN nicht als sicheres Land. Vielmehr spricht man von einem „failed state“, der in keinster Weise einen „sicheren Hafen“ für Schiffsbrüchige bietet. Dass Menschen, die vor Gewalt, Hunger und bewaffneten Konflikten aus ihrer Heimat fliehen, in libyschen Gefängnissen willkürlich inhaftiert, gefoltert, versklavt, vergewaltigt und unter den unmenschlichsten Bedingungen festgehalten werden, ist durch zahlreiche aktuelle Medienberichte bekannt. Es wäre also sowohl nach der Genfer Flüchtlingskonvention völkerrechtswidrig als auch spätestens nach dem sogenannten Hirsi-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2012 ein Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention, die Menschen nach Libyen zu bringen. Hinzu kommt noch, dass die zivilen Seenotretter selbst in Gefahr geraten könnten. Die libysche Küstenwachen und Milizen, die vor der libyschen Küste patrouillieren, stellen eine reale Bedrohung für sie dar. Sie haben in der Vergangenheit schon auf NGO-Schiffe geschossen und Boote gekapert.
Ein weiteres afrikanisches Land, das in der Nähe liegt, ist Tunesien. Doch Schutzsuchende können nicht dorthin gebracht werden. Zum einen hat Tunesien kein funktionierendes Asylsystem, das die grundlegenden Rechte von Flüchtlingen garantieren kann. Der irreguläre Grenzübertritt und Aufenthalt in Tunesien kann somit für Flüchtlinge mit Haft bestraft werden. Zum anderen werden auch dort Menschenrechte verletzt. Wenn Migranten sich nicht aus der Haft freikaufen können, werden sie unangekündigt in die Wüste abgeschoben oder z.T. gefoltert. Es wäre nicht nur unverantwortlich, Flüchtlinge dorthin zu bringen, sondern zivile Seenotretter würden sich damit auch strafbar machen. Aus denselben Gründen bringen auch Frontex, die Bundeswehr und europäische Handelsschiffe Gerettete nicht nach Tunesien.
Auch in Ägypten ist die Lage sehr instabil. Flüchtlinge werden in der gegenwärtigen Situation nicht geschützt. Im Gegenteil leiden sie unter bitterer Not, willkürlichen Inhaftierungen und fehlenden Asylverfahren.
Letztlich entscheiden auch nicht die Kapitäne der zivilen Rettungsschiffe, welchen Hafen sie ansteuern wollen. Sie sind vielmehr von den Anweisungen der Seenotrettungsleitstelle MRCC in Rom abhängig. Diese Leitstelle koordiniert alle Rettungen und entscheidet, welches der sicherste Hafen für die Rettungsschiffe ist. Vor dem Regierungswechsel in Italien lagen diese meist in Italien.
Wir Grüne sprechen uns auch mit Blick auf die obigen Fakten zur Sicherheitslage in Nordafrika dafür aus, die Kriminalisierung und Stigmatisierung von zivilen Seenotrettungsorganisationen zu stoppen. Den Retterinnen und Rettern gebührt Respekt und Solidarität, denn ohne ihre Arbeit würden viel mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken. Dies habe ich mit meinem Besuch der Aktivistinnen und Aktivisten in Malta zum Ausdruck bringen wollen.
Weil es andererseits eine Schande für die Staaten Europas ist, wenn Privatleute mit ehrenamtlichem Engagement Menschenleben retten müssen, setzen wir Grüne uns dafür ein, dass endlich eine funktionierende staatliche Seenotrettung in Europa aufgebaut wird, die internationales Recht achtet und schützt. Deutschland sollte in diesem Kontext seine Aufnahmezusagen zur Umverteilung von Schutzsuchenden aus Italien und Griechenland einhalten.
Gegen den Trend zu Angstmache, nationalistischer Kleinstaaterei und Abschottung wollen wir das Megathema Migration auf der europäischen Ebene konstruktiv gestalten. Wir halten darum an dem Ziel fest, ein System zur solidarischen Verteilung der aus Seenot geretteten Menschen innerhalb der EU zu schaffen. Gleichzeitig sollte es mehr sichere und legale Möglichkeiten geben, in die EU einzuwandern. Menschen sollen sich erst gar nicht auf riskante Fluchtwege begeben müssen.

Weitere Informationen zu unserer Arbeit finden Sie hier:
Parl. Initiativen:
Antrag: Seenotrettung im Mittelmeer – Menschen schützen, humanitäre Verantwortung übernehmen, solidarisch handeln

Kleine Anfrage: Seenotrettung von Bootsflüchtlingen vor der libyschen Küste

Kleine Anfrage: Zur Situation von Flüchtlingen in Libyen

Mit freundlichen Grüßen,
Ottmar von Holtz

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