Frage an Otto Fricke bezüglich Recht

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Otto Fricke
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Frage von Henry R. •

Frage an Otto Fricke von Henry R. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Fricke,

ich würde gerne wissen, wie Ihre Meinung zum weiteren Umgang mit der PID ist. Treten Sie für ein Verbot, eine Freigabe mit Auflagen oder eine vollständige Freigabe ein? Mich interessiert auch die Begründung für Ihr Abstimmungsverhalten.

Mit freundlichen Grüßen,
Henry Roß

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Sehr geehrter Herr Roß,

vielen Dank für Ihren Diskussionsbeitrag im Rahmen der aktuellen PID-Debatte. Das Thema ist für mich als Abgeordneten weder einfach zu diskutieren, noch war die damit verbundene Entscheidung leicht zu treffen. Es war und ist eine Gewissensentscheidung für jeden Abgeordneten, für mich als praktizierenden Christen zudem eine, die meinen Glauben im Kern betrifft.

Aber bevor ich Ihnen meine persönliche Entscheidung erkläre, möchte ich kurz die Situation skizzieren, vor der die Abgeordneten des Deutschen Bundestags gestanden haben:

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes im vergangenen Jahr, wonach die Präimplantationsdiagnostik (PID) mittels Gewinnung und Untersuchung nicht mehr totipotenter Zellen rechtlich zulässig ist, lag es nun am Gesetzgeber, also am Parlament, für die PID einen neuen rechtlichen Rahmen zu setzen.

Im Rahmen der ausführlichen Beratungen zur PID, die vergangene Woche im Bundestag stattgefunden haben lagen drei verschiedene Gesetzesentwürfe vor, die von der vollständigen Ablehnung, über ein grundsätzliches Verbot mit streng geregelten Ausnahmen, bis hin zu einer begrenzten Zulassung reichten. Zustimmung und Ablehnung dieses Verfahrens lagen, und das ist nicht verwunderlich, jenseits der Parteigrenzen.

Der erste Entwurf befürwortet, grob skizziert, eine begrenzte Zulassung der PID, also von Gentest an im Labor erzeugten Embryonen. Allerding ist diese Zulassung an enge Bedingungen geknüpft. So in dem Fall, wenn die Eltern die Veranlagung für ein schweres vererbbares Leiden haben oder eine Tot- oder Fehlgeburt droht. Im Entwurf heißt es dazu weiter:

„Zur Vermeidung von Missbräuchen soll die PID nach verpflichtender Aufklärung und Beratung sowie einem positiven Votum einer interdisziplinär zusammengesetzten Ethik-Kommission in den Fällen zulässig sein, in denen ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist. Im Vorfeld der PID soll eine sorgfältige Diagnostik bei beiden Partnern nach strengen Kriterien erfolgen. Zur Gewährleistung eines hohen medizinischen Standards soll die PID an lizenzierten Zentren vorgenommen werden.“ (Bundestagsdrucksache 17/5451)

Der zweite Entwurf möchte ein grundsätzliches Verbot der PID einführen, sieht allerdings Ausnahmen vor, deren Kriterien, laut der Antragsteller, strenger als im ersten Entwurf gefasst werden. Dazu heißt es im Antrag als Begründung:

„Nur in Ausnahmefällen wird eine solche Untersuchung für nicht rechtswidrig erklärt. In diesen Fällen muss bei den Eltern oder einem Elternteil eine humangenetische diagnostizierte Disposition vorliegen, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu Fehl- oder Totgeburten oder zum Tod des Kindes im ersten Lebensjahr führen kann. Weitere Voraussetzungen ist die Verpflichtung, eine Beratung anzubieten sowie das positive Votum einer Ethik-Kommission. Für diese Fälle werden in das Gesetz Verfahrensregelungen aufgenommen wie die Beschränkung auf ein lizenziertes Zentrum, Einzelfallentscheidung einer Ethik-Kommission sowie Dokumentations- und Berichtspflichten.“ (Bundestagsdrucksache 17/5452)

Der dritte Entwurf lehnt die PID ab. Deren Vertreter warnen vor einer Zukunft mit „passgenauen Embryonen“ und äußern die Befürchtung, Forschungseinrichtungen, könnten versuchen Nutzen aus den Embryonen zu ziehen. Dazu heißt es im entsprechenden Gesetzentwurf:

„Die Anwendung der PID gefährdet die Akzeptanz gesellschaftlicher Vielfalt und erhöht den sozialen Druck auf Eltern, ein gesundes Kind haben zu müssen. Dem liegt der Anspruch zugrunde, zwischen lebenswertem und –unwertem Leben unterscheiden zu können. Die Werteordnung des Grundgesetzes bestimmt ausdrücklich, das jeder Mensch den gleichen Anspruch auf Würde und die gleichen und unveräußerlichen Rechte auf Teilhabe besitzt. Dieses Wertegefüge würde durch die Zulassung der PID nachhaltig beschädigt werden.“ (Bundestagsdrucksache 17/5450)

Im Zentrum der Debatte, die wir im Parlament führen, aber die auch viele Bürgerinnen und Bürger in diesem Land beschäftigt, steht eine Frage, auf die es keine alleinig richtige Antwort geben kann, nämlich: „Darf man bestimmtes Leben im Voraus einer Selektion unterwerfen!?“

Wenn man sich die derzeitige Praxis im Bereich der Schwangerschaftsabbrüche anschaut, wird man schnell feststellen, dass wir bereits zum jetzigen Zeitpunkt selektieren – nur zu einem viel späteren Zeitpunkt. Das Strafgesetzbuch sieht vor, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig ist, wenn

„der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbareWeise abgewendet werden kann.“ (§ 218a StGB)

Im Falle eines schwerkranken oder nicht lebensfähigen Kindes, ist also bereits heute ein Abbruch rechtlich zulässig und gesellschaftlich weitgehend akzeptiert. Wenn aber eine Schwangerschaft mit einem schwerkranken Fötus beendet werden darf, wäre es dann nicht konsequent solch eine Schwangerschaft vorher zu verhindern?! Ich denke dabei nicht nur an die Frauen und Familien für die solch ein Schwangerschaftsabbruch einen schmerzvollen und traumatischen Konflikt darstellt, sondern auch daran, dass wir alle damit einen Wertungswiderspruch eingehen. Denn nicht, nur der Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Beratungsregel ist möglich, sondern auch „die Pille danach“ oder der Abbruch der Schwangerschaft nach PND (Pränataldiagnostik) bei einer starken Gesundheitsgefährdung der Frau. Es wäre also widersprüchlich das Leben vor der Schwangerschaft einem besseren Schutz zu unterwerfen, als den Fötus während der Schwangerschaft.

Andererseits steht für mich unumwunden fest, dass es sich bei einer befruchteten Eizelle um menschliches Leben handelt. Bei dieser schwierigen Diskussion, ob es sich bereits um einen Menschen handelt oder nicht, bin ich persönlich nicht entschieden. Hier würden sich auch neue Diskussion in der Frage der Schwangerschaftsverhütung durch die „Spirale“ ergeben. Je nach Ergebnis müsste dann auch diese verboten werden. Im Hinblick auf den christlichen Glauben, möchte ich darauf hinweisen, dass die Bibel bei der Frage, wann Leben beginnt auch keine eindeutigen Antworten gibt. Natürlich ist dies auch deswegen sehr schwierig, weil sich die Bibel mit den vorgeburtlichen Dingen nicht in der Weise auseinandersetzen konnte, wie es uns heute aufgrund unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse möglich ist.

Mich haben viele Briefe von betroffenen Eltern erreicht, die mir ihre persönliche Geschichte geschildert haben und die Vielfalt der individuellen Fälle und des damit verbundenen ganz individuellen Auseinandersetzungsprozesses aufgezeigt haben. Ich bin davon überzeugt, dass mit der PID nicht das Lebensrecht von kranken und behinderten Menschen entwertet wird. Es geht vielmehr um eine „sehr private Gewissensentscheidung eines verzweifelten Paares, das sonst vielleicht gar keine Schwangerschaft riskieren würde“ (Ulrike Till, SWR). Umgekehrt den Frauen und Familien das Wissen über den Embryo vorzuenthalten und zu riskieren, dass eine Frau ein Kind in sich heranwachsen lässt, dass sie mit einer großen Wahrscheinlichkeit später bei einer Fehl- oder Totgeburt verlieren wird, stellt eine unmenschliche, psychische Belastung der Frauen und Familien dar und könnte überdies zu einer „Schwangerschaft auf Probe“ führen.

Das Argument, dass mit der PID in Zukunft „Designerbabies“ gezüchtet würden, ist soviel die Wissenschaft heute weiß, unberechtigt. Wie der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in seinem Dossier zur PID beschreibt, sind

„für die meisten äußerlichen Erscheinungsmerkmale im Konkreten für Haarfarbe, Augenfarbe, Hautfarbe, Gesichtsform und Körpergröße keine Erbmerkmale bekannt, die diese Eigenschaften vollständig bedingen. […] Viel ist bereits offenkundig, dass äußerliche Eigenschaften nicht von einem, sondern immer von mehreren Genen, zum Teil auch von äußeren Einflüssen – etwa im Fall der Körpergröße – bestimmt werden. […] Wollte man eine Vielzahl von genetischen Krankheitsmerkmalen ausschließen, hätte noch zusätzlich eine Präferenz für ein Geschlecht und wünschte gleichzeitig, dass bestimmte Eigenschaften im Genpool des Embryos vorhanden sein sollten, wird die Wahrscheinlichkeit verschwindend klein, dass überhaupt je ein solcher Wunschembryo vorliegt, der noch für die Übertragung in Frage kommt. Insofern erscheint der Missbrauch der PID zur „Erschaffung von Designerbabies“ aus mehreren Gründen zurzeit ausgesprochen unwahrscheinlich.“ (Infobrief WD 8 – 3010-013/11, Seite 34)

Dem Argument des möglichen Missbrauchs durch Ärzte kann ich nicht folgen. Der Argumentation sich rechtswidrig verhaltender Mitmenschen folgend, muss dazu führen, dass jegliche Art der Operation bis hin zu einem einfachen Eingriff verboten werden müsste - denn es könnte ja seitens des Arztes zu einem Missbrauch kommen. Für mich ist die Frage des Missbrauchs, bis hin zum strafrechtlichen Missbrauch, eine Frage der Kontrolle, eine Frage der Zulassung und auch natürlich auch eine Frage der notfalls notwendigen Strafrechtlichen Verfolgung und des Strafvollzuges. Sie kann aber kein Argument für die grundethische Entscheidung sein.

Die in Deutschland sehr hohen und fundierten gesetzlichen Vorschriften im Bereich der Beratung bei geplanten Schwangerschaftsabbrüchen und bei der Pränataldiagnostik (PND) realisieren bereits heute einen hohen Standard beim Schutz von Frau und Kind. Auch die PID wird in eine umfassende Beratung über Risiken und Möglichkeiten eingebettet werden und garantiert auf diese Weise, dass die Entscheidungen der Betroffenen nicht leichtfertig gefällt werden.

In Deutschland kommen nur wenige Paare für die PID in Frage, so dass die Befürchtung einer massenhaften Anwendung nicht gerechtfertigt ist. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 300 Patienten eine PID vornehmen lassen werden, für die etwa 1.000 Embryonen benötigt werden. Dagegen stehen fast 120.000 Föten, die in Deutschland jährlich abgetrieben werden.

Ich möchte überdies dem Argument widersprechen, durch die Zulassung der PID würde sich der Umgang mit behinderten Menschen in unserem Land ändern. Wie wir als Gesellschaft und als Individuum mit behinderten Menschen umgehen, entscheidet sich nicht mit dieser Parlamentsentscheidung, sondern wird durch gesellschaftliche Normen und persönliche Wertvorstellungen geprägt. Es ist sicherlich nicht nur meine Meinung, sondern gesellschaftlicher Konsens, dass Diskriminierungen weiter abgebaut werden müssen, um behinderten Menschen ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Schließlich habe ich mir stets vergegenwärtigen müssen, was passiert, wenn ich als Parlamentarier nicht abgestimmt hätte oder das Parlament zu keinem Ergebnis gekommen wäre. Hier gilt, aufgrund des Urteiles des Bundesgerichtshofes, dass bei keiner Entscheidungsfindung des Parlaments, die PID grundsätzlich zugelassen wäre, ohne das der Gesetzgeber, der dafür vom Volk bestimmt ist, die Grenzen selber klar hätte bestimmen können. Auch wenn ich, wie Sie gemerkt haben dürften, bei allen Anträgen meine Bedenken habe, würde die Entscheidung, keinen der Anträge zu unterstützen, dazu führen, dass es schlichtweg bei einer relativ allgemeinen Erlaubnis bleibt. Und dies hilft bei solch einer schwierigen Frage nicht weiter.

In diesem Sinne stehe ich einer generellen Ablehnung der PID, nach einer intensiven inneren Auseinandersetzung, sehr kritisch gegenüber, auch wenn hinsichtlich der „lizensierten Zentren“ und der „Überwachung“ noch offene Fragen zu klären sind. Hier plädiere ich für hohe Anforderungen, die sowohl an die Dokumentation der behandelnden Ärzte, als auch an Transparenz und Datenerfassung gestellt werden müssen. Auch ist zu beachten, dass der Verbleib, der im Labor erzeugten Embryonen, einer klaren Regelung unterworfen werden muss, genauso wie ich noch Diskussionsbedarf bei der Reichweite der Forschungsfreiheit sehe.

Ich bin schließlich davon überzeugt, dass ein deutsches Verbot keine Lösung für die Realitätswirklichkeit der betroffenen Paare darstellt und lediglich einer Durchführung der PID im Ausland Vorschub leistet. Denn viele europäische Nachbarn, erlauben die Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen.

Die Mehrheit des Deutschen Bundestages, so wie ich schließlich auch, hat für die PID unter strengen Auflagen gestimmt. Ich bitte Sie diese, aber auch meine ganz persönliche Entscheidung zu respektieren, wobei ich unumwunden zugebe, dass es bei einer solchen Entscheidung nicht endgültige Gewissheit gibt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Deswegen werde ich diese in den kommenden Jahren immer wieder überprüfen.

Mit freundlichen Grüßen
Otto Fricke

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