Frage an Peri Arndt bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Peri Arndt
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Frage von Henning D. •

Frage an Peri Arndt von Henning D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Arndt,

in der kommenden Woche wird die Bürgerschaft über die 25,1-prozentige Beteiligung Hamburgs am Strom- und Gasnetz abstimmen. Ich bin, gelinde gesagt, befremdet darüber, dass die Bürgerschaft entschlossen zu sein scheint, den Willen der hamburger Bevölkerung zu ignorieren.
In einem erfolgreichen Volksbegehren wurde die Bürgerschaft aufgefordert, eine vollständige Übernahme der Energienetze in die Wege zu leiten, keine Minderheitsbeteiligung.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass, sollte die Bürgerschaft der Minderheitsbeteiligung zustimmen, diese Entscheidung durch einen Volksentscheid 2013 widerrufen würde. Mit dem Volksentscheid wären erhebliche Kosten verbunden, die die Bürgerschaft leicht vermeiden könnte. Von den diversen Fallstricken in den derzeitigen Verträgen, durch die auch der Landesrechnungshof finanzielle Risiken auf die Stadt zukommen sieht, ganz zu schweigen.
Warum also will die Bürgerschaft den erklärten Willen der Bevölkerung ignorieren, und werden Sie sich daran durch Zustimmung zur Minderheitsübernahme beteiligen?

Mit freundlichem Gruß,
Henning Dittmar

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SPD

Sehr geehrter Herr Dittmar,

es gibt vier Gründe, die dazu geführt haben, dass sich der Senat und die Fraktion gegen die Übernahme von 100% an den Netzen positioniert haben:

1. Ein vollständiger Rückerwerb würde einen langwierigen Rechtsstreit bedeuten und daher ein schnelles Einleiten der Energiewende verhindern. Rechtsstreitigkeiten würden zum Übertragungsanspruch hinsichtlich der Fernwärme, der Richtigkeit der von der Initiative angestrebten Vergabe der Stromkonzession an ein Städtisches Unternehmen und über die Höhe des Kaufpreises geführt werden. Eine abschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Kaufpreisberechnung bei Netzübernahmen gibt es noch nicht. Es besteht das reale Risiko, dass für derartige Rechtsstreitigkeiten der gesamte Instanzenzug ausgeschöpft wird - wir damit fünf bis zehn Jahre vergeuden ohne Netzeigentum und Energiewendefortschritte. Das ist angesichts der Handlungsbedarfe gerade in den nächsten Jahren nicht hinzunehmen.

Auch die Rekommunalisierungsbefürworter in der Anhörung vom 22. März 2012 haben erklärt, dass ihr Konzept in der Umsetzung mindestens sechs Jahre benötigt, wobei hierbei noch nicht einmal langjährige Rechtstreitigkeiten berücksichtig sind. Eine Energie-wende 2020-2025 ist aber zu spät für unsere Stadt.

Grundsätzlich gilt bei der Konzessionsvergabe in den regulierten Bereichen, dass unabhängig von den Eigentumsrechten ein transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren durchzuführen ist. In diesem Zuge könnten Vattenfall und E.ON erneut Konzessionen für die Nutzung öffentlichen Grundes erlangen. Kürzlich hat das Landgericht Kiel in zwei Verfahren festgestellt, dass Städte und Gemeinden bei der Vergabe von Konzessionen als Marktbe-herrscher auftreten und leistungsbereite Private daher nicht diskriminieren dürfen. Eine Vergabe an Eigenbetriebe ist daher höchst problematisch und kann einen Missbrauch dieser marktbeherrschenden Stellung bedeuten. Die Regelungen der sog. in-house-Vergabe gelten nicht.

2. Als Eigentümer von 100% der Netze hätte die FHH keinen Einfluss auf die Erzeugung in der Fernwärme (eine mögliche Rückübertragung des Kraftwerkes in Wedel ist rechtlich umstritten - wobei dann auch die Stadt alleine in der finanziellen Verantwortung für das Kraftwerk stünde) - die 25,1% Lösung erlaubt dagegen einen strategischen Einfluss auf die Investitionspläne.

3. Wesentliche Forderungen der Initiative wie z.B. Senkung der CO2-Emission, Verzicht auf die Moorburg Trasse, etc. können auch ohne 100 Prozent an den Netzen umgesetzt werden.

4. Zudem läge das unternehmerische Risiko vollständig bei der FHH. Im
FHH-Konzern besteht keinerlei operative Erfahrung mit dem Betrieb von Energienetzen. Hamburg Energie wurde als Produzent und Belieferer von Endkunden mit erneuerbaren Energien gegründet. Daneben bestehen aus gebührenrechtlichen und regulatorischen Gründen keine Möglichkeiten, den Gleichordnungskonzern Hamburg Wasser beziehungsweise Hamburg Energie für den Betrieb der Netze zu nutzen (hier entstünde auch das rechtliche Problem der Trennung von Produktion/Netz/Vertrieb). Hamburg müsste zudem die Investitionen in die Netze alleine schultern, was die Erlösmargen deutlich reduziert.

Außerdem ist die Finanzierung von 100% an den Energienetzen unrealistisch. Die Volksinitiative geht von unrealistischen Übernahmewerten in der Größenordnung von 1 bis 2 Mrd. Euro aus: Das Gutachten von Rödl & Partner und die vom Vorgänger-Senat beauftragten Gutachten der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt basieren auf Schätzwerten und keinen realen Unternehmensdaten und gehen von einer Übernahme der Netze zum kalkulatorischen Restbuchwert aus. Im Bereich der Fernwärme wird in diesen Gutachten überdies lediglich auf das Fernwärmenetz abgestellt (ohne Erzeugungsanlagen). Die Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen und die durchgeführte Due Diligence hat gezeigt, dass diese Werte unrealistisch sind und ein Erwerb nur der Fernwärme-Leitungen unsinnig sind.

Die Frage, nach welchem Bewertungsmaßstab der „angemessene Übernahmewert“ für das Netzanlagevermögen ermittelt wird (Ertragswert, Sachzeitwert, kalkulatorischer Restbuchwert), wäre mit E.ON und Vattenfall nur in einem langwierigen gerichtlichen Verfahren mit offenem Ausgang zu klären. Im Übrigen ist die Regelung im Konzessionsvertrag der E.ON Hanse hinsichtlich des Sachzeitwertes und Ertragswertes bereits auf der Grundlage des neuen Energiewirtschaftsgesetzes vereinbart worden, da der Vertrag Anfang 2008 neu abgeschlossen wurde. Die Initiative geht zweifelhafterweise weiter davon aus, dass die von der Bundesnetzagentur (BNetzA) festgelegten Eigenkapitalrenditen eine Refinanzierung in einem überschaubaren Zeitraum ermöglichen:

Die von der BNetzA festgelegte Eigenkapitalrendite für Neu- und Altanlagen (9,05% und 7,14% vor Körperschaftsteuer von 15%) ist dabei nicht zu verwechseln mit den tatsächlich jährlich erzielten Renditen im regulierten Netzgeschäft. Diese können im Spannungsfeld zwischen notwendigem Netzausbau/Netzersatz und der von der BNetzA geforderten Effizienzsteigerung in den Netzgesellschaften auch deutlich unterhalb der Eigenkapitalverzinsung liegen. Die unterstellte Eigenkapitalverzinsung ist nicht dauerhaft anzunehmen und ist deutlich niedriger anzusetzen. So kann diese in der Folge nicht den Kapitaldienst leisten und ebenfalls nicht notwendige Investitionen in den Ausbau/Erhalt der Netze.

Die Finanzierungsmodelle blenden die Finanzierungsbedarfe für Investitionen und die damit in Verbindung stehenden Risiken vollständig aus. Werden geplante oder durchgeführte Investitionen der Gesellschaften durch die BNetzA nicht anerkannt, können sie der Erlösobergrenze bzw. den Netzentgelten nicht zugeordnet werden. Sich daraus ergebende Finanzierungsrisiken wären über kontinuierliche Nachschussverpflichtungen der Stadt auszugleichen.

Die Refinanzierungszeiträume gehen von einer statischen Entwicklung der Regulierung aus. Wie die Regulierung in der zweiten und den weiteren Regulierungsperioden (Stichwort „yardstick“ Regulierung) ausgestaltet sein wird und ob die in diesen Perioden erzielbaren Renditen die Finanzierungskosten decken, ist nicht gesichert. Überdies wird die Entwicklung des Zinsniveaus auf den Kapitalmärkten in den von der Initiative vorgelegten Finanzierungsmodellen ungenügend berücksichtigt. Im Vergleich zu einem Anteilserwerb (mit Garantiedividende) würdigen die Gutachten nicht ausreichend die deutlich höheren unternehmerischen Risiken der Stadt, die sich bei einer vollständigen Übernahme der Netze ergeben würden.

Das Eigenkapital von Hamburg Wasser, das von den 100%-Vertreter/innen zur Finanzierung ins Spiel gebracht wird, ist größtenteils zweckgebunden (bei den Wasserwerken sogar gebührengespeist!) und kann schon aus gesetzlichen Gründen nicht zur Finanzierung eines Unternehmenskaufs verwendet werden.

Ich hoffe diese Gründe konnten Ihnen deutlich machen, warum die Entscheidung
gegen eine hundertprozentige Übernahme notwendig war.

Mit lieben Grüßen, Peri Arndt