Frage an Petra Merkel bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Petra Merkel
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Frage von Siegfried S. •

Frage an Petra Merkel von Siegfried S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo Frau Merkel !

da ich davon ausgehe, daß Sie das Heise-Forum nicht lesen, bitte ich Sie, einmal diesen Beitrag zur Debatte um den BKA-gesetz-Entwurf dort zu lesen : http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Egal-was-noch-praezisiert-wird-daraus-wird-niemals-ein-gutes-Gesetz/forum-144084/msg-15568816/read/

Zitat daraus:
"...
Und was bringt uns das BKA-Gesetz?

Es können eventuell Fahndungserfolge z.B. gegen terroristische
Organisationen erzielt werden, die so mit herkömmlichen
Polizeimethoden nicht möglich gewesen wären und im besten Fall könnte
vielleicht sogar ein Bombenanschlag verhindert werden.

Dabei muss man aber im Auge behalten, dass es seit ca. 20 Jahren
keine größeren Terroranschläge in Deutschland gegeben hat.
Auf einer Skala der Gefahren würde die Terrorgefahr weit abgeschlagen
auf den allerletzten Plätzen landen. Irgendwo noch weit hinter
Blitzschlägen oder Hundebissen.
...
Oder auch gut: Man könnte einfach mehr Streifenpolizisten einstellen.
Die könnten dann wirklich etwas gegen die echte Kriminalität
ausrichten und die Sicherheit in Deutschland tatsächlich erhöhen.
Vielleicht würde es den zusätzlichen Polizisten, die z.B. an
Bahnhöfen oder anderen öffentlichen Orten Streife laufen, sogar
gelingen, Terroristen auf frischer Tat zu ertappen und den einen oder
anderen Anschlag zu verhindern?"

(Leider reicht der Platz hier nicht, um alles hier wiederzugeben.)

Dieser Beitrag zeigt m.E. die Stimmung bei vielen Mitbürgern sehr klar, er zeigt auch machbare Alternativen auf, die mit ungleich weniger Einschränkungen unserer Freiheit einhergehen würden.

Ich nehme an, Sie waren - da es nicht in Ihre Zuständigkeiten fällt - bei der Anhörung nicht anwesend. Wie ist denn Ihr Kenntnisstand über das neue BKAgesetz und dessen Folgen für uns alle ? Können Sie die Einschränkungen für unsere Freiheit mit Ihrem Gewissen vereinbaren?

Mit freundlichen Grüßen aus der Pfalzburger Str.

S. Schlosser

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SPD

Sehr geehrter Herr Schlosser,

bitte entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt zu den von Ihnen mehrfach angesprochenen Punkten zum BKA-Gesetz Stellung nehme. Hinweise wie Ihre sind mir wichtig und ich nehme Ihre Bedenken auch sehr Ernst. Dennoch stehe ich auf dem Standpunkt, dass wir in der Pflicht sind, alles nur Mögliche zu tun, um die Gefahren terroristischer Anschläge abzuwehren. Die Terrorgefahr in Deutschland ist ja nicht „aus der Luft gegriffen“. Es gab Vorkommnisse, die mehr zufällig vorab vereitelt wurden, wie zum Beispiel die Fälle der Sauerland-Terroristen oder der „Kofferbomber“ von Köln.

Dem Bundeskriminalamt war im Jahr 2006 im Rahmen der Föderalismusreform I mit der verfassungsändernden 2/3 Mehrheit von Bundestag und Bundesrat die neue Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus übertragen worden. Damals ist das Grundgesetz Artikel 73 Abs. 1 Nr. 9a entsprechend geändert worden. Diese generelle Aufgabenzuständigkeit wird nun mit den Änderungen zum BKA-Gesetz einfachgesetzlich nachvollzogen und ausgefüllt. Dies ist richtig und notwendig. Mit dem jetzigen Gesetz wird das BKA mit den entsprechenden Befugnissen für die Gefahrenabwehr des internationalen Terrorismus ausgestattet. Dadurch können künftig praktische Hindernisse entfallen, die in der Kompetenzteilung zwischen Bund und Ländern begründet sind. Das Gesetz übernimmt eine große Anzahl bereits vorhandener und bewährter Polizeibefugnisse aus längst geltenden Gesetzen der deutschen Länderpolizeien.

Ich habe dem Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BKA-Gesetz) zugestimmt. Glauben Sie mir, ich habe mir meine Entscheidung nicht leicht gemacht. Gerade die Frage der Online-Durchsuchungen sehe ich kritisch. Aber wir dürfen nicht verkennen, dass sich die Gefahr terroristischer Anschläge auch in Deutschland seit dem 11. September 2001 drastisch geändert und verschärft hat. Bei der Befugnis zum verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme (sog. Online-Durchsuchung) geht es um die Möglichkeit des BKA, mit der technischen Entwicklung im Kommunikationsbereich Schritt halten zu können. Wenn ein terroristischer Anschlag über das Internet geplant oder koordiniert wird, reichen die herkömmlichen Instrumente nicht aus. Die Polizei muss terroristische Kommunikation überwachen, um den internationalen Terrorismus effektiv bekämpfen zu können. Es ist deshalb unsere Pflicht, Sicherheitsbehörden technisch in die Lage zu versetzen, adäquat auf die veränderte Bedrohungslage reagieren zu können, genauso wie wir es als unsere Pflicht ansehen, dies so grundrechtsschonend wie möglich zu tun.

Bevor eine Online-Durchsuchung durch Beamte/Beamtinnen des BKA durchgeführt wird, soll grundsätzlich ein unabhängiger Richter prüfen, ob diese Maßnahmen auf einem informationstechnischem System der Zielperson durchgeführt werden darf. Dabei haben die Sicherheitsbehörden die engen Vorgaben der künftigen Regelung zu beachten. Gerade die sehr lebensfremd konstruierten Eilfälle kann ich mir nicht vorstellen. Der Eilfall kann und darf nur die ganz seltene Ausnahme sein. Er kann nur dann in Anspruch genommen werden, wenn ein Richter tatsächlich nicht erreichbar ist. Ein solcher Fall darf auch nur dann angenommen werden, wenn selbst ein effizienter Richter-Notdienst keine Abhilfe schaffen kann. Die SPD-Bundestagsfraktion wird darauf drängen, dass Bereitschaftsdienste an allen BKA-Standorten vorhanden sind. Dies ist im Übrigen auch verfassungsrechtlich geboten.

Besonders wichtig erachte ich den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Die gesetzliche Regelung muss zunächst darauf hinwirken, dass keine kernbereichsrelevanten Daten erhoben werden, soweit dies informationstechnisch und ermittlungstechnisch möglich ist. Bei dem heimlichen Zugriff auf ein informationstechnisches System kann aber praktisch unvermeidbar sein, dass Informationen zur Kenntnis gelangen, bevor ihr Kernbereichsbezug bewertet werden kann. Hier muss dann für einen hinreichenden Schutz in der Auswertungsphase gesorgt werden. Vor allem müssen erhobene Daten mit Kernbereichsbezug unverzüglich gelöscht und ihre Verwertung ausgeschlossen werden. Auf Druck der SPD wird außer zwei BKA-Beamten, von denen einer die Befähigung zum Richteramt hat, zusätzlich auch der unabhängige Datenschutzbeauftragte der Behörde prüfen, ob die gesichteten Daten den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren. Der Datenschutzbeauftragte ist im Übrigen nicht weisungsgebunden und muss sich in seiner Einschätzung an den Maßgaben des Grundgesetzes und insbesondere des Bundesdatenschutzgesetzes orientieren. In Zweifelsfällen sind die Daten zu löschen oder zur Entscheidung, ob der Kernbereich betroffen ist, einem Richter vorzulegen. Dieser gesamte Prozess muss dokumentiert werden. So hat auch der Bundesdatenschutzbeauftragte die Möglichkeit, den Vorgang zu kontrollieren. Zudem ist die Online-Durchsuchung auf höchstens drei Monate zu befristen und kann nur unter engen Voraussetzungen verlängert werden.

Die SPD hat erfolgreich für die Evaluierung und die Befristung insbesondere dieser neuen Maßnahme gekämpft. Bisher haben wir keine Erfahrungen mit der Durchführung von Online-Durchsuchungen bzw. deren praktische Auswirkungen. Nun muss ein unabhängiger Sachverständiger, der im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestellt wird, diese Maßnahme fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes begutachten. In Verbindung mit der Befristung der Maßnahme auf den 31.12.2020 haben wir so die effektiven Vorraussetzungen für Korrekturmöglichkeiten des Gesetzgebers geschaffen. Eine Befristung nach acht Jahren wäre angemessen gewesen, war jedoch nicht durchsetzbar. Eine Befristung von zwölf Jahren ist besser als keine.

Doch zur Klarstellung: Die Online-Durchsuchung auf der Grundlage des BKA-Gesetzes soll ausschließlich dazu dienen, Terroristen zu bekämpfen und ihre Anschlagspläne zu entdecken, d.h. nur zur Abwehr schwerwiegender Gefahren und nicht zur Strafverfolgung. Sie soll nur dann eingesetzt werden, wenn andere Mittel und Ermittlungsmöglichkeiten des BKA nicht ausreichen, um Attentatspläne offenzulegen und die Hintermänner zu identifizieren. Online-Durchsuchungen sollen nicht flächendeckend durchgeführt werden - und nicht zur Überwachung unbescholtener Bürger.

Die bisherige Arbeit des BKA im repressiven Bereich zeigt, dass es auch mit seinen neuen Präventivkompetenzen, insbesondere denen die schwerere Grundrechtseingriffe nach sich ziehen, verantwortungsvoll umgehen wird. In den letzten zehn Jahren hat das BKA ganze zwei Rasterfahndungen durchgeführt. Von 2001 bis zum zweiten Quartal 2007 gab es nur sieben Wohnraumüberwachungen, also im Schnitt eine Wohnraumüberwachung pro Jahr! Von dem Instrument der Online-Durchsuchung, so BKA-Präsident Zierke, werde nur restriktiv Gebrauch gemacht werden. Die Maßnahme sei sehr komplex und aufwendig im Hinblick auf Personal-, Zeit-, und Kosteneinsatz. Es ist also zu erwarten, dass das BKA auch von seinen präventiven heimlichen Ermittlungsbefugnissen nur maßvoll Gebrauch machen wird.

Es ist richtig, die Grundrechte der Freiheit der Person, des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses und der Unverletzlichkeit der Wohnung werden durch das neue BKA-Gesetz eingeschränkt. Aber auch Terroristen schränken unsere Rechte ein. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen, wenn wir Kriminellen erlauben, die Grundrechte mit den Füssen zu treten und nicht alles tun, um Gefahr von uns allen abzuwenden.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Ausführungen meine Entscheidung nahe bringen. In einer Koalition muss man auch immer wieder Kompromisse eingehen. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass dieses Gesetz, welches sicherlich durch das Verfassungsgericht überprüft wird und durch den Bundestag befristet worden ist, keine Gewissensentscheidung darstellt. Sie als Wähler haben es in der Hand, wie die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag ab 2009 aussehen.

Mit freundlichen Grüßen
Petra Merkel, MdB