Frage an Rainer Stinner bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Frage an Rainer Stinner von Thomas S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Dr. Stinner,

ich hab mir eben ihre Ausführungen zur rechtlichen Legitimation des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr durchgelesen, die sicherlich in der Sache zutreffend sind. Wir wissen allerdings auch um die demokratischen Defizite im von NATO-Mächten dominierten UN-Sicherheitsrat und dass sich das Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Sicherheitsrates nicht widersetzt und die bewaffneten Auslandseinsätze der Bundeswehr im Zweifel verfassungskonform auslegt, wissen wir auch alle. Dann wird eben Deutschland auch am Hindukusch "verteidigt", wie es Peter Struck so schön zum Ausdruck gebracht hat

Genausowenig hat es mich gewundert, dass sich Herr zu Guttenberg vor Oberst Klein stellt und diesen verteidigt, auch wenn er mittlerweile davon spricht, dass der Angriff auf die beiden Tanklaster "unangemessen" war und sich Oberst Klein in seiner Entscheidungsfindung "geirrt" hat. Tatsächlich soll es aber zuvor eine Anweisung der Bundesregierung gegeben haben, härter gegen die Taliban vorzugehen, wie die Leipziger Volkszeitung und BILD heute vermelden. Irgendwas muss ja diesen Oberst zu dieser Tat ermutigt haben.

Ich hab zu diesem Afghanistan-Einstz noch ein paar grundsätzliche Fragen:

- Würden wir (die NATO unter US-Führung) auch dann so mutig "den Weltfreiden verteidigen", wenn wir militärisch nicht hochüberlegen wären und wir ähnliche Verluste zu befürchten hätten?
- Wer beliefert eigentlich die Taliban mit Waffen und Geld, dass diese auch acht Jahre nach Kriegsbeginn den Alliierten noch so viel Gegenwehr bereiten können und Obama sich gezwungen sieht, das Truppenkontingent um weitere 30.000 Soldaten zu erhöhen? Gibt es unterirdische Waffenfabriken, von denen keiner was weiß oder werden die von Drittstaaten (China, Russland) oder gar eigenen Waffenhändlern beliefert?
- Welche langfristigen Pläne haben die USA mit Afghanistan, dass sie erst mal zig Milliarden in diesen Krieg investieren?

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Stockert

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Sehr geehrter Herr Stockert,

zunächst einmal finde ich es erstaunlich, dass Sie Demokratiedefizite im UN-Sicherheitsrat nun ausgerechnet bei den dort vertretenen demokratischen NATO-Mitgliedstaaten wahrnehmen und nicht bei Ländern wie China, Russland oder Libyen.

Auch Ihre Unterstellungen zum Bundesverfassungsgericht kann ich nicht nachvollziehen: Das Bundesverfassungsgericht ist befugt, unsere Verfassung letztinstanzlich auszulegen. Und das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach die eindeutige völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Legitimität der Bundeswehreinsätze festgestellt. Es ist Ihr gutes Recht, sich für eine Verfassungsänderung einzusetzen, aber derlei Andeutungen von Rechtsbeugung bitte ich zu unterlassen.

Zu Ihren konkreten Fragen:
1. Deutschland soll sich dann an UN-Missionen beteiligen, wenn eine genaue Kosten-Nutzen-Abwägung zu dem Ergebnis kommt, dass eine Beteiligung in unserem deutschen Interesse liegt. Dabei gilt natürlich: Je höher das Risiko für unsere Soldaten ist, desto höher muss auch der Nutzen sein. Es darf nicht noch einmal, wie in Somalia Mitte der 90er-Jahre, dazu kommen, dass die internationale Gemeinschaft mit viel Enthusiasmus einen Militäreinsatz beginnt, um dann bei den ersten Opfern überstürzt abzuziehen. Deshalb müssen wir vor jedem Einsatz gut überlegen, ob wir ihn auch politisch wirklich durchhalten können und wollen.

2. Es ist allgemein bekannt, dass sich Taliban aus dem Drogenhandel finanzieren. Deshalb ist die Bekämpfung des Drogenhandels ja auch so enorm wichtig. Waffen zu bekommen ist in einem Land, in dem seit Jahrzehnten Bürgerkrieg geherrscht hat, leider recht einfach. Außerdem brauchen Taliban keine ausgefeilte Bewaffnung: Mit einfach gebauten Sprengfallen und überall im Land vorhandenen Kalaschnikows können die Taliban, die sich ja keinerlei Gedanken über Opfer in der Zivilbevölkerung machen, genügend Angst und Schrecken bei der afghanischen Bevölkerung verbreiten. Die Aufgabe der ISAF-Truppen besteht ja darin, dass sie die Zivilbevölkerung schützen muss. Und das geht nur, wenn eine hinreichende Anzahl von Sicherheitskräften in die Fläche Afghanistans verteilt werden kann.

3. Die USA haben das gleiche Ziel wie Deutschland: Wir wollen in Afghanistan einen halbwegs gut funktionierenden Staat, der selber für seine Sicherheit sorgen kann, der keinen Terroristen Unterschlupf bietet und der stabil genug ist, um nicht die gesamt Region einschließlich des Atomwaffenstaates Pakistan ins Chaos abrutschen zu lassen. Ziele, die ich absolut teile, weshalb ich dem Einsatz- trotz aller Probleme im Einzelnen - auch weiterhin zustimme.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Stinner