Frage an Ralph Lenkert bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Ralph Lenkert
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Frage von Christina H. •

Frage an Ralph Lenkert von Christina H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Lenkert,

ich studiere Rechtswissenschaften in Jena und habe bezüglich meiner Hausarbeit eine Frage an sie als Bundestagsabgeordneten:
Es geht um das Thema "Fragerecht", speziell um Kleine Anfragen. Die Ergänzung um einen §104a GoBT soll wie folgt lauten:
(a) Das Recht, Kleine Anfragen zu stellen, kommt fraktionsangehörigen Abgeordneten nur im Verhältnis der Stärke der Fraktionen zueinander zu.

Frage: Darf das Fragerecht ihrer Meinung nach gemäß der Fraktionsstärke gestaffelt werden?

und nun

(b)Die Anzahl der Kleinen Anfragen darf 300 pro Fraktion nicht übersteigen.

Reichen 300 Kleine Anfragen aus, um eine hinreichende Kontrolle der Regierung durchzuführen und ausreichende Informationen für die Parlamentsarbeit zu bekommen?

Ich bedanke mich jetzt schon für ihre Mühe, sich meiner Frage anzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen, Christina H.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Hellrung,

bitte entschuldigen Sie den etwas längeren Zeitraum bis zur Beantwortung der Fragen.

Zu diesem Komplex musste ich mich selbst erst einmal informieren. Nein, eine Staffelung des Fragerechts entsprechend der Fraktionsstärke wäre aus meiner Sicht nicht verfassungskonform. Eine Deckelung des Fragerechts ist schon heute möglich, jedoch nicht an Zahlen festgemacht. Ich denke aber 300 Kleine Anfragen je Legislaturperiode wären zu wenig.

Beispielzahlen aus der letzten Periode:

kleine Anfragen große Anfragen Anträge
DIE LINKE 1496 11 436
FDP 1005 17 589
BÜNDNIS 90/ 786 34 656
DIE GRÜNEN

Die ausführliche Begründung wäre:

um Punkt a), der angenommenen Ergänzung des Fragrechts in der GO:

Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Fragerecht leitet das BVerfG aus Art. 38 Abs. 1 GG ab, die Literatur aus Art. 43 Abs. 1 GG, dem parlamentarischen Regierungssystem, dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue oder der Ministerverantwortlichkeit.

Das Fragerecht ist ein Recht des einzelnen Abgeordneten bzw. der Minderheit. Der VerfGH NW führt unter Bezug auf die Rechtsprechung des BVerfG in seinem Urteil vom 04.10.1993 (Az. 15/92) aus:

"Das Fragerecht als originäres Recht des Abgeordneten stärkt zugleich den Schutz der parlamentarischen Minderheit und das Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung der Opposition (BVerfGE 2, 1 <13>, 44, 308 <321>). Das prinzipielle Gebot gleichberechtigter Mitwirkung aller Abgeordneten (BVerfGE 44, 308 <316>; 56, 396 <405>; 80, 188 <218>) ist gleichermaßen Vorbedingung und Gewährleistung für das Recht der Minderheit, ihren Standpunkt in den parlamentarischen Willensbildungsprozess einzubringen (BVerfGE 70, 324 <363>). Schließt die Rechtsstellung des Abgeordneten ein originäres Fragerecht ein, so ist der Minderheit ein zusätzliches Mittel an die Hand gegeben, um eine von der Mehrheitsmeinung abweichende Haltung zu verdeutlichen. Verstärkt werden dadurch vor allem die Möglichkeiten zu einer wirksamen Kontrolle der Regierungstätigkeit. Die Kontrollfunktion des Parlaments als grundlegendes Prinzip des parlamentarischen Regierungssystems (BVerfGE 67, 100 <130>) ist angesichts des in der Verfassungswirklichkeit regelmäßig bestehenden Interessengegensatzes zwischen regierungstragender Mehrheit und oppositioneller Minderheit wesentlich von den Wirkungsmöglichkeiten der Minderheit abhängig (vgl. Stern, a.a.O., Band I, S. 1031 ff., Band II, S. 55 f.; H. P. Schneider, AöR 99, 629 f.; Scheuner, DÖV 1974, 433 <437 ff.>). Dem trägt ein für die Mehrheit indisponibles, in die Verantwortung allein des einzelnen Abgeordneten gestelltes Fragerecht angemessene Rechnung."
Es dürfte also einiges dafür sprechen, dass eine Regelung wie die in § 104 a a), die die Mehrheit privilegiert, verfassungswidrig wäre.

Zum Punkt (b), Begrenzung des Fragerechts;

Was die zahlenmäßige Deckelung angeht, so ist zunächst auf die verfassungsrechtliche Bedeutung des Fragerechts hinzuweisen. In seinem Flick-Urteil vom 17.07.1984 hat das BVerfG ausgeführt:

"Das parlamentarische Regierungssystem wird grundlegend auch durch die Kontrollfunktion des Parlaments geprägt. Der Grundsatz der Gewaltenteilung, der zu den tragenden Organisationsprinzipien des Grundgesetzes gehört und dessen Bedeutung in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsgewalt liegt (vgl. BVerfGE 3, 225 (247); 34, 52 (59)), gebietet gerade im Hinblick auf die starke Stellung der Regierung, zumal wegen mangelnder Eingriffsmöglichkeiten des Parlaments in den der Exekutive zukommenden Bereich unmittelbarer Handlungsinitiative und Gesetzesanwendung, eine Auslegung des Grundgesetzes dahin, dass parlamentarische Kontrolle wirksam sein kann."

Eine pauschale Begrenzung der Anzahl der Kleinen Anfragen scheint vor diesem Hintergrund verfassungsrechtlich zumindest fraglich. Zumal auch jetzt schon anerkannt ist, dass die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung das Fragerecht im Einzelfall begrenzen kann.

In dem oben zitierten Urteil des VerfGH NW findet sich hierzu folgende Ausführung: "Die Regierung muss als Teil ihrer politischen Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament die Bindung von Arbeitskapazität durch die Beantwortung parlamentarischer Anfragen einkalkulieren, auch wenn solche Anfragen, wie dies in zunehmendem Maß der Fall ist, in großer Zahl und mit umfangreicher Thematik eingebracht werden. Allerdings werden der Antwortpflicht durch die Notwendigkeit, die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Regierung aufrechtzuerhalten, Grenzen gesetzt. Die Regierung ist ihrer Antwortpflicht ganz oder teilweise enthoben, wenn sie anderenfalls ihre sonstigen Aufgaben in unvertretbarem Umfang vernachlässigen müsste oder gar ein Zustand der Funktionsunfähigkeit in diesen Bereichen zu besorgen wäre."

Der Regierung wird eine verfassungsrechtlich umgrenzte Einschätzungsprärogative, die die Art und Weise und den Zeitpunkt der Antwort betrifft, eingeräumt. Eine Deckelung wie in § 104 a b) wäre also gar nicht erforderlich.

( http://hdbpp.luchterhand.de/hdbpp/lpext.dll?f=templates&fn=main-h.htm ).

Mit freundlichen Grüßen

Ralph Lenkert

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